Der Umgang mit homosexuellen Migranten in Deutschland

Bitte etwas Zurückhaltung!

Im Sudan ist er als Schwuler von der Todesstrafe bedroht, in Deutschland erhält er kein Asyl – wie Deutschland mit Menschen umgeht, die in ihrem Herkunftsland wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden.

Eine öffentliche Auspeitschung oder eine lange Gefängnisstrafe hätten ihm gedroht. Oder im schlimmsten Fall die Todesstrafe, wenn seine sexuelle Orientierung bekannt geworden wäre. Stattdessen hat Tarek Abdallah* jahrelang verschwiegen, dass er schwul ist. Er wurde im Sudan geboren, in kaum einem anderen Land der Welt sind schwule Beziehungen stärker tabuisiert, LGBT-Communities existieren allenfalls im Untergrund. Seit gut vier Jahren lebt der mittlerweile 32jährige Abdallah in Deutschland. Ob er bleiben darf, ist ungewiss: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat seinen Asylantrag abgelehnt. Seine sexuelle Orientierung sei, so heißt es in dem Ablehnungsbescheid, nicht so bedeutsam, »dass er nicht darauf verzichten könnte«, er habe ja »bis zu seinem 27. Lebensjahr problemlos im Sudan« leben können.

Das BAMF weiß selbst nicht, wie viele Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung einen Asylantrag stellen oder als Flüchtlinge anerkannt werden, dies wird statistisch nicht erfasst. Die Behörde geht aber davon aus, dass eine Verfolgung eher selten vorgetragen wird, und noch viel seltener wird Asyl gewährt. Nach dem »State Sponsored Homophobia«-Report der International LGBTI-Association von 2012 sind in 78 Staaten homosexuelle Handlungen durch staatliche Gesetze verboten. In mindestens fünf Staaten droht die Todesstrafe. Hinzu kommen brutale Diskriminierungen durch die Familie, das soziale Umfeld oder nichtstaatliche Gruppen.
Zwar wird mittlerweile von niemandem mehr bestritten, dass Asyl erhalten kann, wer in seinem Herkunftsland wegen der sexuellen Orientierung verfolgt ist. Aber das BAMF lehnt diese Asylanträge immer wieder ab, sie könnten ja, so wird den Betroffenen dann mitgeteilt, ihre sexu­elle Orientierung »diskret« oder »im Verborgenen« leben, dann müssten sie auch keine Sanktionen befürchten. Auch Abdallah wird von der Behörde dazu aufgefordert, zurückhaltend zu sein. Wenn die Behörden keine Ahnung davon bekämen, dass er schwul sei, könne er auch in Zukunft problemlos im Sudan leben. Antje Becker hält das für unerhört: »Das Bundesamt verlangt, dass er sich seine sexuellen Bedürfnisse verkneifen soll, dabei ist doch die sexuelle Orientierung an sich geschützt, also die Möglichkeit, dies auch auszuleben.« Becker ist Rechtsanwältin in Frankfurt am Main, sie vertritt Abdallah und hat gegen die Entscheidung des BAMF geklagt. Aber auch zahlreiche Verwaltungsgerichte muten den Betroffenen zu, ihre sexuellen Vorlieben vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten und in der ständigen Angst zu leben, entdeckt zu werden, wenn sie auf ihre Beziehungen nicht verzichten wollen. So kam das Verwaltungsgericht Bayreuth im Fall von Samira Ghorbani Danesh aus dem Iran, wo seit dem Sturz des Schah 1979 etwa 4 000 Schwule und Lesben hingerichtet wurden, in seinem im März verkündeten Urteil zu dem Schluss, dass »bei entsprechend zurückhaltendem Lebenswandel, den alle Homosexuellen im Iran praktizieren, die unbehelligt leben wollen, keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten« seien. Erst nachdem der Fall öffentlich geworden war, erhielt Danesh eine befristete Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr – bevor der Fall im kommenden Jahr endgültig entschieden wird.
»Wenn Menschen wegen ihrer Religion verfolgt werden, ist man da, zum Glück, mittlerweile weiter. Auch hier kann man den Menschen nicht mehr zumuten, nur im Verborgenen religiös zu leben«, sagt Becker. Sie bezieht sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Der hat im September geurteilt, dass von Asylantragstellern nicht verlangt werden kann, auf Glaubensbekundungen in der Öffentlichkeit zu verzichten, um staatliche Sanktionen zu vermeiden. Ob das auch für die sexuelle Orientierung gilt, hat der Gerichtshof noch nicht entschieden. Aber andere Urteile gehen in diese Richtung, wegweisend war eine Entscheidung des britischen Supreme Court aus dem Jahre 2010. Wenn man verlange, so die Richter damals, die sexuellen Vorlieben zu verstecken, bedeute dies, den Menschen das Grundrecht schlechthin zu verweigern. Oder, wie es das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Na­tionen in seinen Leitlinien zur sexuellen Orientierung von 2008 formuliert: »Ein verheimlichtes Recht ist kein Recht.«
Als Abdallah vor vier Jahren nach Deutschland kam, hat er den deutschen Behörden erzählt, dass er politisch aktiv gewesen sei im Sudan, gegen den Präsidenten, der Geheimdienst habe ihn im Visier gehabt, und einmal sei er deswegen auch im Gefängnis gewesen. Das BAMF glaubte ihm nichts davon. Dass er schwul sei, das hat er den Beamten des BAMF erst einmal nicht erzählt. »Ich hatte einfach nur Angst«, sagt er heute. Es war ein langer Kampf, bis er sich zu einem Coming-out entschied, ein Kampf gegen die Scham, die gesellschaftlichen und religiösen Konventionen zu brechen. Seine Familie im Sudan weiß bis heute nichts. »Ich liebe meine Mutter, aber ich kann ihr das nicht sagen, im Sudan herrscht eine andere Mentalität«, sagt er beinahe verständnisvoll. Ein Gutachten des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg zeichnet den schweren Weg nach, den Tarek Abdallah gegangen ist. Der zuständige Beamte des BAMF hat das Gutachten gelesen, aber kein Verständnis dafür gezeigt, dass Abdallah erst im vorigen Jahr, in einem zweiten Asylantrag, seine sexuelle Orientierung offenbart hat. Und nicht schon bei seiner Einreise, in einem fremden Land, vor fremden deutschen und vermutlich heterosexuellen Beamten, die seine Sprache nicht sprechen, und nachdem er sein Leben lang gelernt hat, dass seine sexuelle Orientierung pervers sei. Dass er schwul sei, so das BAMF, habe er bereits damals darlegen können: »Anhaltspunkte dafür, dass er hierzu ohne grobes Verschulden außer Stande gewesen wäre, liegen nicht vor.«

»Ich habe so lange gekämpft, mittlerweile bin ich ganz leer im Kopf«, sagt Abdallah. Seit vier Jahren lebt er in einer Gemeinschaftsunterkunft, irgendwo in Süddeutschland. In einem Zimmer von zwölf Quadratmetern, anfangs allein, seit einiger Zeit mit einem Mann aus Äthiopien, die beiden sprechen nicht die gleiche Sprache, sie haben sich nichts zu sagen. Alle Leute, mit denen er sich in der Unterkunft gut verstanden hat, leben mittlerweile wieder woanders. Zwischenzeitlich hatte er einen Ein-Euro-Job auf einem Friedhof, vor einiger Zeit bekam er eine Stelle als Koch angeboten, ein idealer Arbeitsplatz, denn Abdallah kocht gern, aber die Ausländerbehörde erlaubte ihm nicht, die Stelle anzunehmen, er weiß nicht warum. Wenigstens hat er ein paar Freunde in der Nähe seiner Unterkunft. Vor allem mit Claudia und Thorsten* trifft er sich häufig, und wenn die mal etwas alleine unternehmen möchten, passt er auf ihre Kinder auf. »Ich liebe Kinder«, sagt er. Am liebsten aber würde er ohnehin nach Berlin gehen, dort lebt Martin Hinz*, sein Freund, die beiden sind seit gut einem Jahr zusammen. Es sei gleich ein Grundvertrauen da gewesen, als er Tarek kennengelernt habe, sagt Hinz. Sie besuchen sich regelmäßig, aber nach Berlin kommt Abdallah eher selten, er muss eine Ausnahmegenehmigung von der Residenzpflicht beantragen, das kostet zehn Euro, dazu 50 Euro für die Mitfahrgelegenheit, das kann er sich ohne ein Gehalt nicht oft leisten. So fährt Hinz meist nach Süddeutschland, dort nehmen sie sich dann manchmal eine Pension in der Nähe, um zu zweit zu sein. »An sich führen wir eine ganz normale Fernbeziehung, mit all ihren Problemen«, sagt Hinz. Um sogleich einzuschränken: »Natürlich können wir nicht unter den Tisch kehren, dass unsere Perspektive unsicher ist.« Tarek Abdallah ist die Freude anzumerken, wenn er über seine Beziehung redet, dass er sie in der Öffentlichkeit leben kann und dass er seine Gefühle auch nicht mehr vor sich selbst verstecken muss: »Endlich muss ich mich nicht mehr selber belügen.« Nun aber fühlt sich das BAMF belogen, und von der Beziehung zwischen den beiden will man hier erst recht nichts wissen.

Der Vortrag von Abdallah über seine Homosexualität sei ebenso unglaubwürdig wie das Gutachten des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg. Diesem zufolge ist Abdallah während seiner Schulzeit zunächst von den Mitschülern und später von Erwachsenen vergewaltigt worden. Es sei unklar, so das BAMF, »wie es dem Antragsteller dann noch möglich sein konnte, homosexuelle Beziehungen zu führen«. Wieso kann ein Mensch, der mehrfach vergewaltigt wurde, keine schwule Beziehung führen?
Vermutlich stammt auch diese These von einem heterosexuellen Beamten – ein Anspruch auf eine Anhörung durch einen schwulen Beamten oder eine lesbische Beamte besteht jedenfalls nicht. Laienpsychologische Diagnosen, subjektive Einschätzungen, Stereotype, all dies ist keine Seltenheit in einem solchen Verfahren. Das BAMF verlangt den Nachweis einer »irreversiblen Homosexualität«. Geschützt wird nicht eine bestimmte Vorliebe oder ein Verhalten, sondern eine Identität. Einen zweifelsfreien medizinischen Nachweis gibt es nicht. So liegt es nahe, auf Klischees zurückzugreifen: Wer schwul ist, muss tuntenhaft wirken, eine Lesbe muss maskulin auftreten – für Bedürfnisse und Verhaltensweisen, die den gängigen Stereotypen nicht entsprechen, ist da kein Platz.
»Ich bewundere, dass Tarek trotz allem die meiste Zeit so gut drauf ist«, sagt Martin Hinz. Im Sudan hat Tarek Abdallah als Architektur­ingenieur gearbeitet – wenn er endlich in Berlin ist, möchte er weiterhin, wie schon jetzt bei seinen Freunden, auf Kinder aufpassen, am liebsten würde er eine Ausbildung zum Kindergärtner machen.

* Namen von der Redaktion geändert