Nationalistische Reaktionen auf den Freispruch für kroatische Kriegsverbrecher

Neuer Nationalismus auf dem Balkan

Kroatische Kriegsverbrecher sind in Den Haag freigesprochen worden, Verbrechen an der serbischen Bevölkerung bleiben dadurch ungestraft. Das stärkt nicht nur die Nationalisten in Serbien.

Serbische Überlebende des Kosovo- und Kroatienkrieges zeigten sich enttäuscht, nachdem der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag sein Urteil gesprochen hatte. Am 16. November wurden die Kriegsverbrecher Ante Gotovina und Mladen Markač in zweiter Instanz freigesprochen, nachdem sie voriges Jahr zu Haftstrafen von 24 und 18 Jahren verurteilt worden waren. Als Generäle der kroatischen Armee koordinierten die beiden unter anderem die »Operation Sturm«, bei der zwischen dem 4. und 7. November 1995 etwa 200 000 Serben von einem Fünftel des kroatischen Staatsgebiets, der sogenannten Krajina, vertrieben wurden. Die kroatischen Nationalisten versuchten, einen Staat ohne serbische Minderheit zu schaffen. Es war die größte Vertreibung in so kurzer Zeit während der Jugoslawienkriege. Serbische Zivilisten wurden verfolgt, gedemütigt und hingerichtet. Über die Opferzahlen kann man sich nicht einigen, wie so oft in der Region. Vermisst werden noch Tausende.

Die Freisprüche von Mitte November waren nur der Auftakt zu weiteren Urteilen zum Leidwesen serbischer Vertriebener. Am 29. November wurden Ramush Haradinaj und zwei mitangeklagte Kosovaren freigesprochen. Der ehemalige Oberkommandierende der paramilitärischen »Befreiungsarmee des Kosovo« (UÇK) und kurzzeitige Premierminister des Kosovo war wegen Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt. Nach dem ersten Freispruch 2008 wurde das Verfahren wieder aufgerollt, weil Zeugen eingeschüchtert worden seien sollen. Dem serbischen Sonderstaatsanwalt Vladimir Vukčević zufolge sollen 19 potentielle Zeugen, die gegen Haradinaj aussagen sollten, unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sein. Angeklagt war Haradinaj unter anderem wegen der Beteiligung an Folter, Mord, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und der Verschleppung von Zivilisten. Unter den Opfern waren auch zahlreiche Roma und Albaner, die sich der UÇK widersetzt hatten.
Das Gericht sah die geschilderten Verbrechen zwar als erwiesen an, argumentierte aber, dass es »keine direkten Beweise« für die Beteiligung der Angeklagten an einem »gemeinsamem kriminellen Unternehmen« gebe, und sprach sie daher frei. Es wurde sogar bezweifelt, dass die Angeklagten damals überhaupt von den Verbrechen wussten. Florence Hartmann, die ehemalige Sprecherin des ICTY, interpretiert dies als eine Niederlage des Gerichts, das sich von der Wahrheit abgewendet habe, und als einen Zusammenbruch des internationalen Justizsystems. »Wenn die drei ranghöchsten UÇK-Mitglieder unschuldig sind, wer hat dann diese Verbrechen begangen?«, kritisierte John Dalhuisen, Leiter der Europa- und Nahost-Sektion von Amnesty International.

Auch in Serbien stießen die Freisprüche auf Unverständnis. So erklärte Präsident Tomislav Nikolić: »Das Tribunal wurde geschaffen, um Serben vor Gericht zu stellen. Für die Verbrechen an Kosovo-Serben und Serben aus Kroatien wird niemand bestraft.« Die Nationalisten in Serbien gewinnen dank der Urteile wieder an Zustimmung. Der demokratischen Opposition hat das Gericht damit keinen Gefallen getan. In Priština im Kosovo und in der kroatischen Hauptstadt Zagreb kam es nach Bekanntwerden der Freisprüche zu Freudenfeiern. In Tirana vermischte sich die Freude über den Freispruch mit den Feierlichkeiten zum 100. Jahr der Unabhängigkeit Albaniens, bei denen wieder verstärkt die Schaffung eines Großalbanien propagiert wurde, das den Kosovo und große Teile der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien einschließen soll. Statt die Geschichte aufzuarbeiten, hegen Kroaten, Serben, Kosovaren und Albaner wieder Großmachtträume. Der bosnisch-serbische General Ratko Mladić und der ehemalige Präsident der Republika Srpska in Bosnien, Radovan Karadžić, werden zumindest für das Massaker in Srebrenica und die Belagerung von Sarajevo verurteilt werden. Für Verbrechen, die an Serben begangen wurden, wird anscheinend niemand zur Verantwortung gezogen.