Syrische Flüchtlinge in Griechenland

Abschottung mit aller Gewalt

Fast täglich stranden syrische Flüchtlinge auf griechischen Inseln und dem Festland, obwohl die Polizei sie an der Einreise zu hindern versucht. Wer es bis nach Griechenland schafft, ist von rassistischer Gewalt bedroht.

Der 30jährige Elias K. hockt auf dem Boden eines Zimmers in Dourgouti, einem Athener Stadtviertel, in dem Dutzende Flüchtlinge aus Syrien vorübergehend Zuflucht gefunden haben. Er wirkt traurig und erschöpft, an seinen Füßen sind Narben zu erkennen. Vor ein paar Wochen hat er in der Nacht mit seiner 80jährigen Mutter und einer Gruppe von Syrern und Palästinensern die türkisch-griechische Grenze überquert. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen die griechische Polizei.
»Die Polizei hat uns gefasst, als wir die Grenze nach Griechenland überquert haben. Nach 18 Stunden brachten sie uns wieder zum Grenzfluss zurück. Sie fuhren uns mit einem Boot bis zur Mitte des Flusses. Sie warfen uns alle in den Fluss, mit all unserem Besitz. Unter uns waren vier Kleinkinder. Ich wollte den Kindern helfen, aber ich konnte es leider nicht, denn die starke Strömung hatte sie schon fortgetrieben.«
In dem kleinen Raum sitzt unweit von Elias der junge Ziad inmitten einer Gruppe von Landsleuten aus Syrien und spielt nervös mit seinen Fingern. Er berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Als er vor drei Monaten mit anderen Flüchtlingen versuchte, in einem Schlauchboot den Grenzfluss Evros zu überqueren, seien sie von griechischen Grenzbeamten aufgefordert worden, in Richtung Türkei umzukehren, hätten sich jedoch geweigert. »Dann richteten sie ihre Waffen auf uns und schossen ins Wasser. Sie fuhren mit ihrem Boot direkt auf unser Schlauchboot zu und rammten uns. Wir schrieen um Hilfe. Sie hörten nicht auf uns, sondern ritzten mit ihren Messern auch noch Löcher in unser Boot. Es fing an zu lecken.« Ziad kann nicht schwimmen. Ein Grenzpolizist habe ihm mehrfach auf die Hand getreten, mit der er sich am Boot festklammerte, erzählt er. Nur dank der Hilfe eines anderen Syrers sei es ihm gelungen, sich an Land zu retten. Von ähnlichen Fällen haben Organisationen für den Schutz der Flüchtlinge sowie Anwälte und Anwältinnen in Griechenland und der Türkei in letzter Zeit öfter gehört. »Fast jeder Flüchtling, dem ich in den Haftlagern begegne, erzählt von solchen Erfahrungen«, sagt Levent Dinçeli, ein türkischer Anwalt in der Stadt Edirne, der seit sechs Jahren mit Flüchtlingen arbeitet. »Es gibt zwar ein Rückführungsabkommen zwischen Griechenland und der Türkei, die meisten Flüchtlinge werden jedoch irregulär in die Türkei zurückgedrängt. Diese Aktionen auf dem Fluss Evros sind sehr gefährlich. Der Wert des Lebens der Flüchtlinge wird dabei völlig ignoriert.«
Auch das Büro des UN-Flüchtlingshilfswerks in Athen wurde über solche Vorfälle in der Region Evros informiert. »Der UNHCR ist besorgt über Berichte aus verschiedenen Quellen, in denen syrische Staatsangehörige berichten, dass sie an der griechischen Grenze angekommen sind, ihnen aber der Zutritt verweigert wurde oder sie von Griechenland in die Türkei zurückgeführt worden sind«, sagt ein Mitarbeiter des UNCHR.

Fast täglich kommen syrische Flüchtlinge an der Grenze in der Präfektur Evros und auf den Inseln der Ägäis an. Die einzige Reaktion der griechischen Regierung ist bislang der Versuch, sowohl den Land- als auch den Seeweg abzuriegeln. Mit der Operation »Ioni« – zynisch benannt nach der ersten antiken griechischen Kolonie in Syrien – plant die Regierung nach Informationen der Polizei, den Syrern den Weg nach Griechenland zu versperren. Diejenigen syrischen Flüchtlinge, die es dennoch unter Einsatz ihres Lebens bis nach Griechenland geschafft haben, müssen mit langer Internierung rechnen und sind nach ihrer Freilassung rassistischer Gewalt ausgesetzt. Die meisten haben keinen Zugang zum Asylsystem und werden nach Angaben syrischer Verbände von der Polizei sogar gezielt verfolgt. Die griechische Presse berichtete kürzlich, dass die Regierung über 20 000 syrische Flüchtlinge in Aufnahmelagern auf Inseln unterbringen will.
Trotz der offensichtlichen Eskalation des Kriegs in Syrien wurde in diesem Jahr bislang nur sechs Syrern in Griechenland internationaler Schutz gewährt. In der Erstinstanz werden weiterhin fast alle Anträge auch von syrischen Asylsuchenden abgelehnt. Nach Angaben des Büros des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Athen wurde im Jahr 2011 nur 352 der 9 311 Asylanträge in Griechenland von syrischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gestellt. In den ersten acht Monaten dieses Jahres waren es lediglich 129 Asylanträge. Kaum jemand möchte in einem Land bleiben, das keinen Schutz bieten will. Im Gegensatz zu den griechischen Behörden entscheiden die meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten inzwischen bei der Mehrheit der Asylanträge von Syrern und Syrerinnen positiv. Nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat wurde syrischen Flüchtlingen in der EU im zweiten Quartal 2012 bei neun von zehn Asylanträgen Schutz gewährt.

In den überfüllten Polizeizellen auf den Inseln der Ägais, in den Internierungslagern des Evros-Gebiets, deren Haftbedingungen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für unzumutbar erklärt hat, und in den neuen Haftanstalten in Komotini, Xanthi und Korinth werden Hunderte Syrerinnen und Syrer unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt. Der Grund ist »illegale Einreise« oder »illegaler Aufenthalt«, die administrative Haft, die bei Undokumentierten und Asylbewerbern bis zu 18 Monate dauern kann, dient der Abschiebung. Allerdings ist die Abschiebung wegen des Krieges in Syrien nicht durchführbar, damit entfällt der Grund für eine Inhaftierung. Das wissen auch die griechischen Behörden, die aber von der Inhaftierung der Syrer nicht absehen wollen.
Der menschenunwürdige Umgang mit den syrischen Flüchtlingen soll offenbar vor ausländischen Beobachern verborgen werden. So berichtet ein kürzlich aus dem Haftlager Fylakio in Evros entlassener Flüchtling, die örtliche Polizei habe beim offiziellen Besuch einer internationalen Repräsentantin im Oktober dafür gesorgt, dass alle Syrer aus ihren Zellen verschwinden. Wie ihm später erzählt wurde, seien sie bis zur Abreise der Besucherin teilweise mit Bussen herumgefahren worden, bevor einige wieder zurückgebracht und die übrigen in andere Haftanstalten Griechenlands transferiert wurden.

»Als ich in Griechenland angekommen bin, wollte ich vor Glück den Boden küssen«, sagt Amina*. Die alleinerziehende Mutter aus Syrien steht neben Elias in dem dunklen Zimmer. Als sie zu weinen beginnt, drückt sie ihre Hände an die Brust. Auf der Fassade des Gebäudes, in dem sie mit ihren drei Kindern vorläufig untergekommen ist, hat sich Ruß festgesetzt, vor ein paar Wochen haben Unbekannte diesen Wohnblock wiederholt mit Molotow-Cocktails angegriffen. Die Fensterflügel sind seitdem immer geschlossen.
Amina und ihre Kinder schliefen aus Angst vor erneuten Angriffen tagelang im Freien. Einkäufe kann sie sich nicht leisten, sie muss ihre Familie aus dem Müll ernähren. Das geht aber nur, wenn sie sich auf die Straße traut. »Wenn ich gewusst hätte, wie die Situation hier ist, wäre ich lieber in unserer Heimat gestorben«, sagt sie. »Immer öfter frage ich mich, ob ich tatsächlich in Europa angekommen bin, dort, wo jedes Menschenleben angeblich respektiert wird.« Wie viele andere will sie nach all den schrecklichen Erfahrungen in einem anderen europäischen Land Schutz suchen. Doch auch dieser Weg ist versperrt. »Wenn Griechenland uns nicht helfen kann, warum lässt es uns nicht einfach gehen?«

* Name von der Redaktion geändert