Die neuesten Trends zur Selbstverbesserung

Neues Jahr, neues Optimum

Es geht voran: Nach den Suchmaschinen wird nun der Mensch optimiert.

Blaise Pascal hat natürlich recht, denn »das ganze Unglück der Menschen« rührt »aus einem einzigen Umstand« her, »nämlich dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können«. Dabei konnte der Mathematiker, Physiker und Literat den Selbst­optimierungsterror noch gar nicht kennen, der vor allem zu Beginn eines jeden neuen Jahres um sich greift und nur deswegen weitgehend unbeachtet bleibt, weil er keine Geräusche macht.
Selbstoptimierung geht so: Man bildet sich irgendeinen körperlichen Mangel ein, von ein paar Kilos zu viel über Lachfalten bis hin zu einem zu kurzen Penis oder labberigen Schamlippen, und setzt fortan alles daran, ihn zu beheben. Schließlich steht fest, dass es nur an ein paar Zentimetern zu wenig Schwellkörper oder ein bisschen zu unglatter Haut liegt, dass die Sache mit dem aufregenden, erfüllten Leben bislang nicht so richtig geklappt hat. Oder vielleicht sogar an den Stimmbändern, denn – in der BRD noch unbemerkt – Stimmbänder straffen ist in den USA total in, weil sie nämlich mit zunehmendem Alter ausleiern und das ganze Gelifte nix nutzt, wenn man gleichzeitig alt klingt.
Nun könnte man die Leute, die sich gern Zuvieles wegschneiden lassen, bequem ignorieren, wären da nicht zugleich auch noch prekariatsfreundliche Selbstoptimierungsmöglichkeiten, die natürlich, was auch sonst, mit irgendwelchen schicken Internetangeboten verknüpft sind, die dabei helfen sollen, das, was im Deutschen gern als »innerer Schweinehund« bezeichnet wird, zu bekämpfen. (Schweinehund, so erklärte der norwegische Schriftsteller Ingvar Ambjørnsen übrigens mal, gehört zu den deutschen Wörtern, die in Skandinavien praktisch jeder kennt, weil sie in WW2-Comics zu den standardmäßigen Wehrmachts-Vokabeln gehören, aber das nur am Rande.)
Selbstoptimierungsexperten sind eine ähnliche Pest wie die SEO (Search Engine Optimizer)-Leute, was vielleicht daran liegen könnte, dass einige dieser Idioten, die bislang davon lebten, Websites so zu optimieren, dass sie ganz vorne im Google-Ranking landen, einfach das Fach gewechselt haben, nachdem sich herumgesprochen hat, dass auch in einer Welt voller auf Suchmaschinen-Positionen ausgerichteter Internetseiten gar nicht alle auf den Rängen 1 bis 10 landen können. Und nun werden also Menschen optimiert. Zum Beispiel, indem man ihnen täglich Mails schickt, in denen neben vielen Durchhalteparolen Binsenweisheiten verkündet werden, gegen Geld natürlich. Oder indem man kostenlose Tagebuch-Apps anbietet, mit denen unzufriedene Körperbesitzer ihre Fortschritte festhalten können. »Life­tracking« nennt sich dieses Sammeln von Daten über sich selbst, von den täglichen Ausgaben über die absolvierten sportlichen Übungen bis hin zum Produktivitäts-Logbuch lässt sich jegliches Versagen festhalten.
Und auch das wäre alles noch okay, wenn die Selbstoptimierer nicht so elendiglich nerven würden. Mit der Penetranz und Vehemenz von Sektenmitgliedern versuchen sie, andere von den ab-so-lut großartigen Dingen zu überzeugen, und zitieren mit Hingabe den Schrott, der ihnen von den Betreibern täglich zugeschickt wird. Immerhin: Ungefähr ab Februar ist das Elend dann in aller Regel auch schon vorbei, denn nach ein paar Wochen – gepriesen sei der Schweinehund – ist die Optimiererei schon wieder langweilig geworden. Und die Seitenbetreiber verfügen über eine schöne Sammlung von E-Mail-Adressen mit sich selbst extrem unzufriedener Personen.
Im übrigen wären die Welt – und ihr Internet – ganz einfach zu einem besseren Ort zu machen, und zwar indem alle mal ein paar Tage zu Hause blieben und ein paar einfache Merksätze verinnerlichten: 1. Ein großer Penis (oder eine faltenfreie Vagina) ist nicht dazu geeignet, Mängel in den Bereichen Intelligenz und Empathie auszugleichen. 2. Faltenfrei doof zu sein ändert am Problem Doofsein nix. 3. Es ist ganz abscheulich dusselig, unter viel Alarmgetöse uralte Artikel aus obskuren Publikationen in sozialen Netzwerken zu verbreiten. 4. Sport zu treiben ist okay, solange man andere damit in Ruhe lässt. 5. Erst das Komma, dann das Leerzeichen.