Katinka Zeuner spricht über ihren Film »Jalda und Anna. Erste Generation danach« und über modernes Judentum

»Keine Lust, als Opfer gesehen zu werden«

Von Zoé Sona

Der Dokumentarfilm »Jalda und Anna. Erste Generation danach« begleitet die jüdischen Künstlerinnen Jalda Rebling und Anna Adam, die zusammen in Berlin leben. Ihre Mütter hatten beide Auschwitz überlebt. Der Film beschreibt die Auseinandersetzung der Protagonistinnen mit den traumatischen Erlebnissen ihrer Eltern und ihr Verständnis von einem modernen Judentum. Nachdem der Film in Deutschland, Polen und Rumänien in verschiedenen Kinos und auf Filmfestivals gezeigt wurde, läuft er in Berlin wieder am 13. Februar im Dokfilmsalon in der »Privatwirtschaft«. Die Jungle World sprach mit der Regisseurin Katinka Zeuner über ihren Film und die Reaktionen darauf.

Warum lautet der Titel »Erste Generation ­danach«?
Er bezieht sich auf die Kinder von Shoa-Überlebenden, die stark von den Traumata ihrer Eltern geprägt sind. Die Bezeichnung meint aber nicht nur die innerjüdische, die innerfamiliäre Auseinandersetzung. Genauso geprägt hat sie das Aufwachsen in der deutschen Gesellschaft und wie diese mit ihnen umgegangen ist. In den Fami­lien haben die Traumata der Eltern ihnen abverlangt, selbst die Elternrolle zu übernehmen, aber gleichzeitig gab es draußen die Gesellschaft, die sie weiterhin ausgrenzte. Sie waren immer »die Anderen«.
Haben Jalda und Anna persönlich Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht?
Beide erzählen, dass sie selbst eher wenig aggressiven Antisemitismus erlebt haben. Ihre Erklärung dafür ist, dass sie ihr Leben mit einer sehr großen Selbstverständlichkeit leben und so auch auf ihre jeweiligen Gegenüber zugehen, weshalb sie selten auf Ablehnung stoßen. Im Kleinen haben sie Antisemitismus sehr häufig erlebt. »Sie sind Jüdin? Sie sprechen aber gut Deutsch!« und ähnliche Sätze bekommen sie oft zu hören. Neulich im Radio wurde Anna gefragt, was sie sich eigentlich wünschen würde und sie hat geantwortet: »Dass die Polizei vor den Synagogen verschwindet.« Die beiden haben sich dafür entschieden, sich nicht die ganze Zeit auf Antisemitismus und Probleme reduzieren zu lassen, sondern ihr Leben zu leben wie sie es wollen.
Wie sind Sie auf Anna und Jalda gestoßen?
Wir haben nach engagierten, jüdischen Menschen in Berlin gesucht und sind dabei zufällig auf die beiden gestoßen. Sie sind natürlich kein repräsentatives Pärchen. Sie leben etwas vor, was viele andere vielleicht nicht von alleine leben würden. Aber sie bekommen positives Feedback, weil die Leute durch sie entdecken, dass sie freier entscheiden können, wie sie eigentlich leben möchten.
Im Film geht es viel darum, »dass es Spaß machen darf, jüdisch zu sein«, wie Jalda zu Beginn sagt. Woher kam dieses Motiv?
Das haben wir von den beiden so oft gehört, dass es automatisch zu einem zentralen Thema des Films wurde. Die beiden wollen als das gesehen werden, was sie heute sind und tun. Sie wollen nicht nur über ihre Mütter, die in Auschwitz waren, definiert werden. Deshalb gab es auch keine so große Bereitschaft, der Trauer viel Raum zu geben.
Jalda beschäftigt sich viel mit der jüdischen Geschichte und unternimmt im Film eine Studienreise nach Jerusalem. Was haben Sie dort zusammen erlebt?
Ausgehend davon, was wir über Jaldas Art, Jerusalem und die Conservative Yeshiva, in der sie gelernt hat, wussten, dachten wir: »Da muss es krachen.« Hat es aber nicht. Natürlich haben wir Jalda gefragt, ob die Leute in der Conservative Yeshiva wissen, dass sie mit einer Frau zusammenlebt. Sie hat geantwortet, dass sie sich das nicht auf die Fahnen schreibe, es aber auch niemandem verheimliche. Für einen Rabbi, bei dem sie gelernt hat, war klar, dass nach seiner Auslegung der Halacha Homosexualität nicht erlaubt ist. Jalda erklärte uns, dass sie das nicht mit ihm diskutieren wolle, ihn aber aus den verschiedensten anderen Gründen respektiere. Da wurde uns klar, dass wir aufhören müssen, immer nach den Problemen zu suchen. Das ist nicht Jaldas und Annas Weg.
Anna fährt im Film mit einem »Happy Hippie Jew Bus« durch die deutsche Provinz. Was will sie damit erreichen?
Anna möchte den Menschen mit dem Bus einen Zugang zum Judentum ermöglichen, den sie bisher nicht hatten, weil es oft Hemmungen gibt. Im Bus präsentiert sie Dinge wie ihr Davidstern-Kirschkernkissen. Das hat sie als Reaktion auf die Aussage des Dachauer Bürgermeisters, die Leute würden immer nur über sein Konzentrationslager reden, er habe aber doch auch eine schöne Altstadt, angefertigt. Mit dem Kissen sollen die Leute die Gedenkfeiern bei schlechtem Wetter besser überstehen. Das Kissen ist Teil des Ausstellungsprojekts »Feinkost Adam«, das schon Anfang der nuller Jahre sowohl auf jüdischer als auch nichtjüdischer Seite für Furore gesorgt hat. Das nimmt sie in Kauf, auch wenn sie es nicht absichtlich provoziert. Sie will mit ihrem Bus etwas machen, das völlig quer zu allem steht. Dann stellt sie sich zur Verfügung, um über die Sachen, die das Publikum komisch oder seltsam findet, zu reden. Sie hat bei Joseph Beuys studiert und sagt, wenn man ihn als Referenz nimmt, wäre der Bus eine soziale Plastik.
Sie sind mit dem fertigen Film durch ganz Deutschland gereist. Wie waren die Reaktionen auf den Film?
Bislang durchweg positiv. Nur einmal gab es eine unangenehme Reaktion, als eine Täternachfahrin bemerkte, dass sie eigentlich auch aus der ersten Generation danach stamme und wie schön es sei, zu sehen, dass Jalda und Anna einen Schritt weiter seien als ihre Verwandten, weil sie jetzt auch freudvoll jüdisch leben könnten. Das ermögliche es ihr auch, sich nicht mehr so schuldig fühlen zu müssen. Mit solchen Auslegungen fühle ich mich komplett missverstanden in meinen Intentionen mit dem Film. Wir hatten aber auch tolle Erlebnisse bei Filmvorführungen in Schulklassen. Die Schülerinnen und Schüler haben erzählt, dass bei ihnen auf dem Schulhof »Jude« ein Wort für Schwächling sei, dass Juden aber auch in allem, was sie über sie lernen würden, immer die Schwachen seien. Wir haben daraufhin darüber diskutiert, wie es möglich sein kann, dass allen Menschen in einer Gruppe, die fast keine gemeinsamen Merkmale haben, unterstellt wird, Schwächlinge zu sein. Diese Auseinandersetzung hat auch mich gefordert, aber ich konnte merken, wie das Thema reflektiert wurde und sich Ansichten geändert haben.
Verstehen Sie den Film als Aufklärungsprojekt gegen Antisemitismus?
Ich denke, er lässt sich dafür einsetzen, aber eher auf Umwegen. Es geht in dem Film eigentlich nicht um Antisemitismus, sondern um jüdisches Leben, um jüdische Kultur. Jalda und Anna empfinden es als Reduzierung, wenn sie permanent nur auf Antisemitismus angesprochen werden. Das ist nicht das, womit sie sich beschäftigen wollen. Sie wollen sich mit ihren Kunstprojekten beschäftigen, mit ihrer Gemeinde, mit ihrem Leben und sie haben keine Lust, als Opfer gesehen zu werden. Das ist auch ein Grund, warum sie sich auf den Film eingelassen haben. Sie haben gesehen, dass es auch darum geht, was sie machen, ihre Kunst, ihre Aktivitäten.
Wie haben die jüdischen Gemeinden auf den Film reagiert?
Die Haltung der Jüdischen Gemeinden ist ambivalent. Jalda und Anna sehen sich schon als enfants terribles, aber sie bekommen auch Anerkennung. In Hamburg haben wir den Film schon in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde gezeigt und der Vorstand hat das Grußwort gehalten. Die Berliner Jüdische Gemeinde in der Oranienburger Straße hat Interesse geäußert, den Film zu zeigen.
Wie stehen Sie selbst zu Religion?
Ich bin atheistisch und habe mit Religion eigentlich nichts am Hut. Mit jüdischer Kultur, Geschichte, Religion, Identität beschäftige ich mich schon lange, aber eher, weil ich deutsche Täternachfahrin bin und über die Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung zu diesem Thema gekommen bin. Eines der spannenden Dinge an Jalda und Anna war für mich, dass sie mir in ihrer Sicht auf die Welt und der Idee, wie eine Gesellschaft funktionieren sollte, sehr nah sind und sich dennoch so sehr auf Religion beziehen. Das war für mich eigentlich nicht nachvollziehbar. Aber ich wollte mit dem Filmprojekt auch verstehen, wie beispielsweise Jalda es schafft, sich auf Religion als ihr kulturelles Erbe zu beziehen und dennoch nicht zu vergessen, dass sie ein erwachsener Mensch ist, der heute lebt, und selbst entscheidet wie sie leben möchte.
Was war Ihre persönliche Motivation für den Film?
Ich habe vorher den Film »Es war ein anderes Leben – Mit der Jugend-Alijah nach Palästina« als Co-Regisseurin und Kamerafrau gedreht. Er handelt von einer Gruppe von Kindern, die 1939 ohne ihre Eltern mit Hilfe der Jugend-Alijah nach Palästina gebracht worden und dort zusammengeblieben sind. Sie haben den Kibbuz Maagan Michael gegründet. Einige Protagonistinnen und Protagonisten dieses Films, die seit 1939 in Israel leben, konnten nicht verstehen, wie Juden heute in Deutschland leben können. Das ist eine verbreitete Vorstellung in Israel. Aus diesem Grund und weil ich nicht immer nur über Verfolgung und Ermordung filmen wollte, habe ich »Jalda und Anna« gedreht. Ich wollte einfach auch mal zu dem arbeiten, was heute da ist, weil das viel weniger in den Blick rückt.