Die Privatisierung im Strafvollzug

Strafen und Rechnen

In Bremervörde wurde die vierte teilprivatisierte Justizvollzugsanstalt in Deutschland eröffnet. Es gibt jedoch auch Kritik an der Tendenz zur Privatisierung des Strafvollzugs.

»Die Privatisierung im Strafvollzug erweist sich als großer wirtschaftlicher und qualitativer Erfolg«, sagte der damalige hessische Justizminister Christean Wagner (CDU) 2004 nach der Vertragsunterzeichnung. Gerade hatte er mit der Firma Serco GmbH & Co. KG aus Bonn einen Betreibervertrag für die erste teilprivatisierte Justizvollzugsanstalt (JVA) der Bundesrepublik in Hünfeld unterzeichnet. Doch dieser Optimismus ist mittlerweile einer gewissen Zurückhaltung gewichen. Nach der europaweiten Ausschreibung hatte die Firma als »wirtschaftlichster Anbieter« den Zuschlag bekommen und übernahm bei der Eröffnung 2006 die privatisierbaren Aufgaben in der Anstalt. Dazu gehören Reinigung und Verpflegung sowie die medizinische Betreuung und die berufliche Ausbildung der Häftlinge. Die JVA Hünfeld ist seitdem immer wieder kritisiert worden, vor allem weil sie die eigenen wirtschaftlichen Planungen nicht einhalten konnte. Der hessische Landesrechnungshof bemängelte, zwischen 2006 und 2010 habe es vermeidbare Mehrkosten von rund 1,5 Millionen Euro gegeben. Opposition und Gewerkschaften waren von vornherein gegen das Projekt. Trotz allem beschloss die hessische Landesregierung im Juli 2012 die Fortführung des teilprivatisierten Betriebes.

Die inzwischen vierte teilprivatisierte JVA im Bundesgebiet wurde am 10. Januar in der niedersächsischen Kleinstadt Bremervörde eröffnet. Sie wird im Rahmen einer Public Private Partnership betrieben. Schon die Planung und der Bau der JVA erfolgten durch einen privaten Partner, die BAM Deutschland AG aus Stuttgart, die als Auftragnehmer fungierte und ihrerseits weitere Firmen beauftragte. Das Unternehmen investierte bislang rund 66 Millionen Euro und hat mit dem Land Niedersachsen einen Vertrag geschlossen, der über 25 Jahre läuft. Das Unternehmen ist künftig für den »technischen und sicherheitsrelevanten Bereich« der JVA verantwortlich. Mit dem »infrastrukturellen Objektmanagement« dagegen ist die Hectas Gebäudedienste Stiftung & Co. KG betraut. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Wuppertal kümmert sich um die Gebäudereinigung, Hausmeister- und Winterdienste, die Pflege der Außenanlagen, die Ausstattung und »Beschäftigung« der Gefangenen, sowie um Verwaltungsdienste. Die Verpflegung der Gefangenen übernimmt die Berliner Firma Dussmann Service GmbH Deutschland, die ihr Geld unter anderem damit verdient, Essenspakete in Abschiebeknäste zu liefern. Die staatlichen Vollzugsbeamten sind nur noch für hoheitliche Aufgaben, also die unmittelbare Bewachung der Insassen, zuständig.
Der niedersächsische Justizminister Bernd Busemann (CDU), der als besonders rigide in Sachen Sicherungsverwahrung, Sicherheits- und Flüchtlingspolitik gilt, begrüßte die Partnerschaft beim Festakt zur Eröffnung vor rund 400 Gästen: »Sichtbares Zeichen der praktizierten Professionalität auf beiden Seiten ist für mich, dass der Kostenrahmen und der Zeitplan eingehalten wurden.« Die Gesamtkosten für das Land belaufen sich auf 286 Millionen Euro. Dafür bietet der Gebäudekomplex in seinen Gefängniszellen, die hier »Haft­räume« genannt werden, Platz für 300 Gefangene. Bei der CDU erhofft man sich jedoch auch ein »Job- und Wirtschaftswunder« für die Region. Bisher sind allerdings statt der angekündigten 150 Arbeitsplätzen nur 130 entstanden.

Teilprivatisierungen im Strafvollzug werden derweil sehr kontrovers diskutiert. Eine einheitliche Linie scheint es dabei nicht zu geben. Kritisiert werden die neuen Modelle jedoch in der Regel wegen Zweifeln an ihrer wirtschaftlichen Rentabi­lität. Auch im Fall Bremervörde warnt der Strafrechtsexperte Helmut Pollähne von der Univer­sität Bremen vor einer »Kostenfalle«. »Auch hier ist es möglich, dass vom Betreiber Dinge in Gang gesetzt werden, die so nicht gedacht waren«, äußerte er gegenüber dem Weser-Kurier.
Uwe Oelkers, Vorsitzender des Verbandes Niedersächsischer Strafvollzugsbediensteter, ist der Meinung, Privatisierung habe im Strafvollzug keinen Platz, weil damit »massiv in die Grundrechte Einzelner eingegriffen« werde. Als problematisch wertet er auch die kurze Ausbildungszeit der privaten Mitarbeiter von drei Monaten gegenüber zwei Jahren bei Vollzugsbediensteten.
Anke Pörksen (SPD), mögliche nächste Justizministerin Niedersachsens, würde die Verträge mit den privaten Betreibern am liebsten gleich kündigen: »Die Frage ist, ob ein Ausstieg möglich ist. Deswegen habe ich einen Ausstieg noch nicht angekündigt. Aber ganz sicher werde ich es so bald wie möglich prüfen und, wenn es geht, das Projekt beenden.« Ob diesen Worten auch Taten folgen, wird sich zeigen.
Bei der neu entstandenen JVA Heidering in Großbeeren bei Berlin wurde dagegen bewusst auf die Teilprivatisierung verzichtet. Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) brach die Verhandlungen mit privaten Sicherheitsunternehmen im Oktober 2012 ab. Eine Einigung sei aufgrund unterschiedlicher finanzieller Vorstellungen nicht möglich gewesen. Für den Gefangeneneinkauf, also den monopolisierten Verkauf von Gebrauchsgütern an die Gefängnisinsassen, soll jedoch ein Anbieter gesucht werden, ob Küche und Kantine selbst betrieben werden, sei noch unklar. Man rühmt sich in Großbeeren damit, »faktische Vollbeschäftigung« erreichen zu wollen. Für die 648 Häftlinge sollen 410 Arbeitsplätze entstehen. Das nennt sich dann Resozialisierung. Man könnte auch von Zwangsarbeit sprechen.
Über die veränderten Bedingungen für die Gefangenen wird in den Debatten um die Teilprivatisierungen kaum ein Wort verloren. Aus den betroffenen Gefängnissen gibt es Berichte über zusätzliche Kosten für Gefangene für Strom und Medikamente. Die Hamburger Firma Telio verdient bundesweit viel Geld mit speziell für Gefängnisse konzipierten Telefonapparaten, auf die die Gefangenen angewiesen sind, weil ihnen nichts anderes gestattet ist. Auch die bayerische Logistikfirma Massak, die in über 50 Gefängnissen den Gefangeneneinkauf betreibt, verdient mit hohen Preisen an deren Abhängigkeit und ist deswegen bereits mehrfach kritisiert worden. Auf dem Internetportal knast.net wird über die teilprivatisierte JVA Offenburg in Baden-Württemberg berichtet, es gebe dort kaum Freizeitangebote, Fernsehanschluss und Einkauf seien zu teuer, der Arbeitslohn sei miserabel und der Hof zu klein. In der ebenfalls teilprivatisierten JVA Burg kam es seit 2009 sogar zu mehreren Hungerstreiks und Protestaktionen durch Inhaftierte und Sicherungsverwahrte.

Die durch die Neubauten steigende Zahl der Haftplätze birgt eine weitere Gefahr, denn Gefängnisse sollen nicht leerstehen. Langfristig könnte es zu einer Rückwirkung auch auf die Rechtsprechung der Gerichte kommen. Wenn mit Gefängnissen Geld verdient werden soll, muss es auch Gefangene geben. Dem öffentlichen Willen zum Strafen würde das nur entgegenkommen. Diejenigen jedenfalls, die die 9,75 Quadratmeter kleinen »Haft­räume« der JVA Bremervörde in unsäglichen Kommentarspalten unter Berichten im Internet mit Hotelzimmern vergleichen, werden dort vermutlich nicht einziehen, sie aber sicherlich auch nicht leer sehen wollen.