Repression gegen Antifaschisten in Dresden

Der Mann mit dem Megaphon

In Dresden wurde ein Berliner Aktivist zu 22 Monaten Haft verurteilt. Damit erreicht die Repression gegen Antifaschisten im Freistaat Sachsen eine neue Dimension.

Die sächsische Demokratie ist nachtragend. Weil 2011 ein Nazigroßaufmarsch durch massenhaften zivilen Ungehorsam blockiert und erfolgreich verhindert worden war, spürt sie jetzt den vermeintlichen Aufrührern und Rädelsführern nach. Angeklagt sind dabei die Antifaschisten Markus T. als »Mann mit der Flagge«, der Jugendpfarrer Lothar K. als »Mann mit dem Lautsprecherwagen« und Tim H. aus Berlin als »Mann mit dem Megaphon«. Als erster dieser vermeintlichen Rädelsführer wurde Tim H. am 16. Januar von einem Schöffengericht in Dresden zu 22 Monaten Haft – ohne Bewährung – verurteilt.
Gemeinsam mit anderen Linken, Antifas und Gewerkschaftlern hatte Tim H. am 19. Februar 2011 an den Protestaktionen in Dresden teilgenommen. 20 000 Menschen stellten sich damals Europas größtem Naziaufmarsch in den Weg. Bereits im Voraus hatte das Bündnis »Dresden nazifrei« erklärt, dass man bei den Protesten auf »massenhafte, kalkulierbare Regelüberschreitungen« setzen wolle. Gewalt gegen Menschen zählte ausdrücklich nicht zum Aktionskonsens. Auch Polizeiabsperrungen sollten nur gewaltfrei durchbrochen werden.
Nach Ansicht des Gerichts war Tim H. an diesem Tag in einer Gruppe von mehreren hundert Demonstranten unterwegs, die zur Marschroute der Nazis vordringen wollte. An der Ecke Bamberger Straße/Bernhardstraße wurde sie dabei von der Polizei aufgehalten. Als einige Demonstranten versuchten, sich durch die Polizeikette zu drängen, kam es zu einer kurzen Rempelei. Die Situation eskalierte, als die Polizisten versuchten, mit Schlagstöcken und Pfefferspray die Masse zurückzudrängen. Kurz darauf wurden sie von über hundert Demonstranten regelrecht überrannt. Vier Beamte gaben anschließend an, sie seien dabei leicht verletzt worden. Ein Polizist sei zudem als »Nazischwein« beschimpft worden.

Der vorsitzende Richter des Schöffengerichts, Hans-Joachim Hlavka, sieht es als erwiesen an, dass Tim H. in dieser unübersichtlichen Situation durch ein Megaphon »Kommt nach vorne« gerufen habe. Der Aufruf sei zwar nicht als direkte Aufforderung zur Gewalt zu interpretieren, aber dennoch sei Tim H. für die Körperverletzungen an den Polizisten mitverantwortlich. Er habe zwar »selbst keine Gegenstände geworfen oder Polizeibeamte getreten«, so der Richter in seiner Urteilsbegründung, er müsse sich aber trotzdem »mit anrechnen lassen«, was andere getan haben. Daher verurteilte er Tim H. wegen Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch und Beleidigung zu einem Jahr und zehn Monaten Haft ohne Bewährung.
Die extreme Härte des Urteils ist – selbst für sächsische Verhältnisse – überraschend. Der 36jährige Tim H. ist Familienvater, nicht vorbestraft und lebt in geordneten Verhältnissen. Vor diesem Hintergrund ist es eigentlich gängige Praxis, eine Haftstrafe erst einmal zur Bewährung auszusetzen.
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass die Verurteilung ohne eindeutige Beweise zustande gekommen ist. Der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft, ein Anwohner, der die Situation vom Balkon aus beobachtet hatte, sagte vor Gericht aus, dass Tim H. nicht der Mann sei, den er am Megaphon gesehen habe. Auch die vier geladenen Polizeibeamten konnten sich nicht an Tim H. erinnern. Ein Polizeivideo in bescheidener Qualität belegt lediglich, dass ein auffallend großer Demonstrant per Megaphon »Nach vorne, nach vorne« gerufen hat. Tim H.s Anwalt, Sven Richwin, bezweifelt, dass sein Mandant überhaupt auf den verpixelten Videobildern zu sehen ist. Richter Hlavka hingegen ist sich ganz sicher, der Angeklagte sei insbesondere durch seine große Statur ausreichend identifiziert worden.
Hlavka ließ durchblicken, dass ein milderes Urteil, also eine Strafe auf Bewährung, möglich gewesen wäre, wenn Tim H. vor Gericht nicht geschwiegen, sondern sich selbst zur Sache geäußert hätte. Der Angeklagte habe außerdem versäumt zu erklären, wie er »zur Gewalt steht«, tadelte der Richter.

Zweifellos soll das Urteil vor allem eine abschreckende Wirkung haben. Denn »irgendwann hat die Bevölkerung in Dresden es mal satt«, weiß Hlavka. Knapp vier Wochen vor dem erneuten Naziaufmarsch und den geplanten Gegenaktionen rund um den 13. Februar soll das überzogene Urteil offenbar klar machen, dass man sich nicht mit dem sächsischen Freistaat anlegen sollte.
Der Prozess reiht sich dabei ein in eine lange Kette von polizeilichen und juristischen Maßnahmen gegen linke Aktivisten rund um die alljährlichen Protestaktionen. So wurde etwa im Juni 2011 bekannt, dass die Polizei im Februar über eine Million Mobilfunkverbindungsdaten eingeholt hatte. Jedes Mobiltelefon, das in der Nähe der Blockaden bei einem Sendemast eingeloggt war, wurde dabei notiert. Bereits kurz nach den Protesten im Februar war zudem das provisorische Pressebüro des Bündnisses »Dresden nazifrei« von einem vermummten Polizei-Sondereinsatzkommando gestürmt und durchsucht worden.
Vergleichsweise harmlos erging es da noch einem Künstler im folgenden Jahr. Er hatte einen kleinen Plastik-Kothaufen mit einem »Nazis«-Fähnchen auf dem Dresdener Carolaplatz aus Protest gegen den Aufmarsch ausgelegt. Wegen »illegaler Müllentsorgung« bekam er vom Dresdner Ordnungsamt einen Bußgeldbescheid in Höhe von 63,50 Euro.
Im Fall von Tim H. dagegen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft sind gegen das Urteil in Berufung gegangen. »Das Strafmaß wird dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht«, heißt es in einem Behördenschreiben. Die Staatsanwaltschaft fordert eine noch längere Gefängnisstrafe.