Sookee im Gespräch über Gewalt gegen Frauen und die internationale Kampagne »One Billion Rising«

»Eine erschütternde Erfahrung im positiven Sinne«

Am 14. Februar soll im Rahmen des sogenannten V-Day weltweit gegen Gewalt ­gegen Frauen und Mädchen protestiert werden. Am Aufruf zur Kampagne »One Billion Rising« beteiligt sich unter anderem die Rapperin Sookee mit einem Song und einem dazugehörigen Videoclip. Mit der queer-feministischen Aktivistin aus Berlin sprach die Jungle World über die Kampagne und ihre erhoffte Wirkung.

Wie ist die Idee zu »One Billion Rising« (OBR) entstanden?
Eve Ensler ist eine zentrale Person in der Geschichte des mittlerweile seit 15 Jahren begangenen »V-Day«, auch wenn es sicherlich nicht nur eine Urheberin gibt. Sie ist eine US-amerikanische Künstlerin, Autorin, Menschen- und Frauenrechtsaktivistin, die global tätig ist und an vielen Orten schon wichtige Aktionen zu feministischen Forderungen und gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen veranstaltet hat. Sie hat vor 15 Jahren dazu aufgerufen, den Valentinstag am 14. Februar zu »reclaimen«, an dem sonst die Floristikindustrie romantisches, heteronormatives Leben abfeiert. Für den einen Tag schenkt man sich Blumen und vergisst vielleicht die Ungleichheit – das ist meine Lesart davon. Der »V-Day« beginnt wie der Valentine’s Day mit dem »V«, bei Eve Ensler steht das »V« einerseits für vagina, andererseits für victory over violence. Sie hat diesen Tag wiederangeeignet, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein weltweites Problem ist und bekanntermaßen vor allem im nichtöffentlichen Raum stattfindet, in privaten, beziehungsförmigen Konstellationen.
Traditionell werden am »V-Day« die »Vagina-Monologe« aufgeführt, das Theaterstück, das Ensler vor vielen Jahren verfasst hat, als Benefiz-Veranstaltung zugunsten von Projekten, die sich gegen Gewalt gegen Frauen einsetzen. Zum 15jährigen Jubiläum soll noch mehr Öffentlichkeit geschaffen werden, die Menschen werden aufgefordert, für einen Tag ihre Arbeit niederzulegen, zusammen auf die Straße zu gehen, zu demons­trieren und zu tanzen. Dieses Tanzen ist ein zentrales Motiv, sich »empowert« zu zeigen, sich mit­einander wohlzufühlen und miteinander zu bewegen – also »Bewegung« im doppelten Sinne. Statistisch wird jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens zur Betroffenen von Gewalt, vielfach von sexualisierter Gewalt. Daher kommt diese Idee, eine Milliarde Menschen, also die Menge der Betroffenen, auf die Straße zu bringen.
Wie bist du dazu gekommen, dich an OBR zu beteiligen?
Karin Heisecke, die ich vom Divida-Salon kenne – das ist ein generationenübergreifender feministischer Salon, der jedes halbe Jahr in Berlin stattfindet – und von der Aufführung der »Vagina-Monologe« im Rahmen des V-Day rund um den 14. Februar voriges Jahr, hat mich gefragt, ob ich Interesse hätte, mich mit einem kleinen shout out zu beteiligen, wie viele Leute rund um den Globus, oder sogar mit einem Song. Mir war es ein Anliegen im Rahmen meines feministischen Engagements, auch wenn es blöd ist, wenn eine Personalisierung stattfindet, wenn das nur beim name dropping bleibt oder als Werbemaßnahme der Promis missverstanden würde. Letztlich habe ich mich für einen Song entschieden und mit der Regisseurin Luci Westphal überlegt, wie man den Song visualisieren kann. Das hat gut geklappt.
Bei Großveranstaltungen wie OBR geht es vor allem um Symbolpolitik. Sind auch Maßnahmen über diesen Aktionstag hinaus geplant?
Mittlerweile beteiligen sich über 13 000 Gruppen und Organisationen in 190 Ländern an OBR. In vielen Städten werden unterschiedliche Sachen organisiert, von Flashmobs über Partys bis zu Aufführungen der »Vagina-Monologe« und dergleichen. Das ist schon ein ordentlicher Ruck. Sicherlich ist das eine symbolhafte Form des Protests, es ist erstmal nur eine Demonstration, bzw. wird gar nicht als solche bezeichnet, sondern einfach als »Strike, Dance, Rise!«.
Daran schließt der Aufruf an, einen sogenannten pledge zu machen, ein Versprechen, dass man im Laufe des Jahres zumindest eine Sache im Rahmen der eigenen Möglichkeiten tut, um Gewalt gegen Frauen zu beenden. Egal, ob es jetzt darum geht, deinem Freund zu sagen, er soll aufhören, blöde Sprüche zu machen, du dich deinem Chef gegenüber zur Wehr setzt, oder ob du im Rahmen deiner politischen Organisation etwas machst – der Rahmen ist total offen und frei. Jede Person gibt das Versprechen, eine Sache zu tun, und wenn eine Milliarde Menschen das tatsächlich verwirklichen, hätte das schon eine bestimmte Wirkung. Es ist nicht nur eine Lichterkette, sondern der Versuch, Menschen längerfristig zusammenzubringen und aktiv zu werden.
Es gibt auf jeden Fall im deutschsprachigen Raum, wo ich mich besser auskenne, genügend antisexistische, queer-feministische Zusammenhänge, die über das ganze Jahr viel machen. Es muss ja nicht nur das Etikett OBR sein, es gibt viele Formen von Unterstützungsarbeit, Demonstrationen, Infoveranstaltungen, Solipartys etc. Davon bekommt die bürgerliche Öffentlichkeit nicht immer so viel mit, weil diese Sachen oft in einem linken oder linksradikalen Zusammenhang stehen. Aber es ist trotzdem zuträglich. Das Ziel ist erstmal, diesen 14. Februar über die Bühne zu bringen und viele Leute zu mobilisieren – als erschütternde Erfahrung im positiven Sinne.
Sollten Frauen nicht lieber einmal zurück- oder alles kurz und klein schlagen statt zu tanzen?
Das ist auch eine Variante, wenn deine Zusage ist, dass du ab sofort jedem Typen auf die Schnauze haust, der Scheiße baut. Im Zuge einer großen Kampagne, die sich auch im Rahmen einer bürgerlichen Kommunikationskultur vollzieht, ist es nicht unbedingt möglich, bei Gewalt zu Gegengewalt aufzurufen, aber ich kann mir vorstellen, dass es viele Frauen gibt, die das zu ihrem pledge machen werden.
In den vergangenen Jahren waren auch die Slutwalks international sehr erfolgreich. Gibt es da Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit, gerade länderübergreifend?
Das kann ich nicht sagen. Ich habe 2011 Slutwalks mitorganisiert und bin dann aus verschiedenen Gründen aus der Gruppe ausgestiegen. Aber es wäre interessant zu sehen, wie die sich da posi­tionieren, und eine Ressourcenbündelung wäre erfreulich.
Wird OBR vor allem von feministischen Gruppen getragen?
Das ist schwer zu sagen, das hängt ja auch von der Selbstbezeichnung ab, inwieweit sie das »F-Wort« für sich verwenden oder wie offensiv sie damit umgehen. Ich glaube, in Deutschland gibt es mittlerweile in über 100 Städten Aktionen, und aus Berlin weiß ich, dass die Frauen, die die »Va­gina-Monologe« aufführen, aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen kommen: Viele sind frauenrechtsbewegt oder feministisch, auch aus bürgerlichen, nicht explizit linken und aus sozialdemokratischen Kreisen. Der Flashmob wird zentral von einem Mädchen- und Frauensportverein organisiert.
Es ist ein relativ breites Spektrum und ich finde es immer sehr spannend, wenn der Bus Feminismus durch die Jahrzehnte fährt, die Besatzung sich ab und zu ändert und unterschiedliche Treibstoffe verbraucht werden. Und dass da etwas generationenübergreifend stattfindet, auch wenn es an vielen Stellen große Kompromisse gibt. Wenn etwa lesbische oder Trans-Zusammenhänge sagen, sie sind ebenso von sexistischer oder he­terosexistischer Gewalt betroffen, auch wenn sie nicht immer als Frauen anerkannt werden. Implizit wird in den Köpfen eine Normidentität von einer weißen heterosexuellen Mittelschichtsfrau gezeichnet, wodurch andere wieder an Sichtbarkeit verlieren. Ich hoffe, dass die unterschiedlichen Erfahrungen bis zum 14. Februar von den Menschen, die an dem Tag tanzen und demons­trieren, stärker thematisiert werden. Und dass sie tatsächlich ihre Arbeit niederlegen als Zeichen gegen die kapitalistische Weltordnung von Gewalt und Sexismus und rape culture.
Es geht tatsächlich auch um einen Streik?
Es ist zunächst eine wortwörtliche Übersetzung von strike, ich fände es erfreulich, wenn das auch genauso verstanden wird, zu sagen: Heute kann die Verwertungslogik bitte für fünf Stunden auf mich verzichten, denn ich habe was anderes zu tun. Das hängt natürlich davon ab, welche Möglichkeiten die Leute dazu haben.
Bisher werden Ausbeutungsmechanismen wie Neokolonialismus und Kapitalismus nicht explizit im Aufruf thematisiert?
Er ist sehr offen und anschlussfähig konzipiert. Wenn die Medien wirklich über OBR berichten wollen, können sie nicht einfach nur fragen: Wo kommt das her? Da muss auch eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden. Es ist ein komplexes Thema und ein Problem, das sich mit einer Lichterkette nicht beheben oder zur Gänze darstellen lässt.
Warum wird homo- und transphobe Gewalt bei OBR noch so wenig thematisiert?
Das liegt auch an der Niedrigschwelligkeit. Wenn du eine Sensibilität bezüglich der Frage binärer Strukturen, Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität hast, dann fällt es natürlich auf, aber es gibt Möglichkeiten, das noch zusätzlich einfließen zu lassen. Es gab zwei Frauen im Video, die ein Plakat zeigten mit »Stop violence against … « und dann werden unterschiedliche Identitäten benannt, nicht nur Frauen und Mädchen. Ich glaube, dass da von linksradikalen und queer-feministischen Zusammenhängen etwas zusätzlich getan wird, was im bürgerlichen Milieu nicht passiert – einfach als Ergänzung, gar nicht als Vorwurf. Dann ist das halt unser Job, auch wenn es schön wäre, wenn es eine Selbstverständlichkeit wäre. Aber da würde ich erstmal keinen bösen Willen unterstellen, sondern zusehen, dass das politische Miteinander, der gemeinsame Aktivismus, über die Jahre wächst und ­gelernt wird, dass es nicht nur um Gewalt gegen Frauen und Mädchen geht. Ich hoffe, dass die Subthemen, deren explizite Thematisierung noch fehlt, mehr Raum finden: Was bedeutet Kapitalismus für die Gewalt, was Heterosexismus, und welche Identitäten stecken hinter dem Wort »Frau«, wie unterschiedlich können Frauen Gewalt erfahren aufgrund ihrer Position?
Gab es denn auch Kritik von queer-feministischen oder anderen Gruppen am eher bürgerlichen Eventcharakter von OBR?
Das habe ich bisher nicht wirklich mitbekommen. Ich glaube, dass die Menschen ganz schön beeindruckt sind, dass das Ganze so groß ist und nicht nur in Europa und den USA stattfindet, sondern den Globus einigermaßen umspannt. Das ist auch ein gutes Zeichen dafür, dass weiße Vereinnahmungen nicht so leicht möglich sind, weil einfach zu viele verschiedene Sprecherinnenpositionen hör- und sichtbar werden. Wenn du dafür sensibilisiert bist, fällt dir auf, dass bestimmte Benennungen nicht auftauchen, aber ich habe ein gutes Gefühl, dass es ein miteinander Lernen und wichtige Ergänzungen geben kann.