Über den Wahlsieg von Beppe Grillo

Der Feind meines Feindes

Über den Wahlsieg von Beppe Grillos Bewegung freuen sich in Italien nicht nur die Anhänger des Komikers, sondern auch viele in der radikalen Linken.

Es herrscht großes Chaos unter dem italienischen Himmel, doch vielen außerparlamentarischen Linken erscheinen die Bedingungen exzellent. Mao zitierend, lässt sich einmal mehr die revolutionäre Hoffnung beschwören. »Es lebe Grillo! Es lebe die Instabilität!« frohlockt Antonio Negri im Interview mit dem postoperaistischen Netzwerk Uninomade (www.uninomade.org). Der Medientheoretiker Franco »Bifo« Berardi erklärt, er habe mit seiner Stimme für Grillo einen Beitrag zur »Unregierbarkeit« Italiens und zur Nieder­lage der europäischen Austeritätspolitik leisten wollen.
Wie eine zukünftige Regierung aussehen wird, ist derzeit völlig offen. Fest steht, dass der Erfolg des »Movimento 5 Stelle« (M5S) der wirtschaftsliberalen Haushaltskonsolidierung, wie sie von Ministerpräsident Mario Monti durchgesetzt worden ist, ebenso wie ihrer geplanten linksliberalen Fortsetzung unter der Führung des Demokraten Pier Luigi Bersani eine Absage erteilt hat. Und so erklärt die außerparlamentarische Linke in ihrer Euphorie den Feind des Feindes zum Freund. Weniger reflektiert wird, dass die euro­skeptische Stimmung im Wahlkampf vor allem Silvio Berlusconis Rechtsbündnis stärkte und Grillos Popularität auf der kulturellen Hegemonie des Berlusconismus basiert.

Bekannt geworden ist der ehemalige TV-Komiker aus Genua in den achtziger Jahren, als sich alle Unterhaltungsprogramme den neuen Formaten von Berlusconis Privatsendern anpassten. Seine Auftritte waren schon damals nicht komisch. Grillo machte keine Witze, er schürte Empörung. Gelacht wurde über seine Inszenierung als wutschnaubender Besserwisser, der daran verzweifelt, dass das Publikum die von ihm angeprangerten gesellschaftlichen Missstände nicht durchschauen will. Diesem Muster folgten auch seine berühmten Werbespots für Joghurt. In den alten Videomitschnitten ist der politische Agitator von heute schon zu erkennen. Grillo brüllt sein Publikum so lange an, bis ihm frenetischer Applaus totale Zustimmung signalisiert.
Früher als andere entdeckte er das Internet als ideales Propagandainstrument. Nachdem er 2009 zusammen mit dem Marketingunternehmer ­Gianroberto Casaleggio den Movimento gründete, verwandelte sich sein Blog in eine riesige Konsensmaschine.
Die anfängliche Aufmerksamkeit für sein Blog verdankt Grillo der Krise der Linken. Nachdem der globalisierungskritische Protest beim G8-Gipfel in Genua 2001 gewaltsam zurückgedrängt worden war, zerfiel die große Bewegung in den folgenden Jahren in kleine, auf territoriale Proteste beschränkte Gruppen. Versuche, über Rifondazione Comunista eine Verbindung zwischen der institutionellen Partei- und der lokalen Bewegungslinken herzustellen, gestalteten sich schwierig und scheiterten schließlich endgültig zusammen mit Romano Prodis zweiter Linkskoalition 2008. Bei den anschließenden Neuwahlen verpassten die linken Parteien den Einzug ins Parlament. In dieser Situation bot Grillo den Themen der außerparlamentarischen Bewegungen ein neues nationales Forum. Er griff in seinem Blog vornehmlich deren umweltpolitische Ziele auf. Die fünf Sterne seines politischen Programms stehen für die Erhaltung der öffentlichen Wasserversorgung, den Ausbau des Nahverkehrsnetzes, die Schaffung freier Internetzugänge, nachhaltiges Wachstum und ökologische Stadtplanung. Im Frühjahr 2011 trat Grillo als Sponsor des Referendums gegen die Privatisierung der Wasserversorgung auf. Bei den Wahlen hat sich nun der M5S auch als politischer Repräsentant der Protestbewegung »No Tav« gegen die Hochgeschwindigkeitstrasse Turin-Lyon im piemontesischen Val di Susa etabliert.

Weil sich der M5S als Bewegung versteht, die sich an »alle« richtet, konnte Grillo sich nicht lange auf die fünf Sternchenthemen beschränken. Er begann also, sein Publikum schon bald mit wüsten Hasstiraden gegen die »Politikerkaste« zu unterhalten. Schon bei seinem legendären ersten »V-Day« 2007 galt der kollektive »Leck-mich-am-Arsch«-Ruf jeder etablierten Vermittlungsinstanz, den Parteien, Gewerkschaften und parlamentarischen Institutionen. Grillos »antipolitischer« Diskurs verschob sich immer mehr nach rechts: Den Kampf für das Gemeinwohl überlagert mittlerweile der Zorn gegen jede öffentlich-staatliche Subventionierung, die Kritik an der Euro-Sparpolitik bietet nur noch den Vorwand für nationalchauvinistische Forderungen nach einem Ausstieg aus der gemeinsamen europäischen Währung.
Den außerordentlichen Stimmenzuwachs für den M5S brachten deshalb keineswegs nur frustrierte Linke. Mit seiner Wahlkampf-Show hat Grillo vor allem in Norditalien viele enttäuschte Rechte für sich gewonnen. Zwei unterschiedliche soziale Gruppen bilden die M5S-Wählerbasis: Einerseits mittelständische Kleinunternehmer, die in den vergangenen Jahrzehnten zur Stammwählerschaft der Lega Nord zählten, und andererseits die erste Generation der hochqualifizierten Arbeitslosen und prekär Beschäftigten, deren Interessen von keiner Partei vertreten werden. In der digitalen Fangemeinde von »Beppe« sind alle realen ökonomischen und sozialen Gegensätze aufgehoben. Der Webmaster hat sich ein einig Volk von grillini geschaffen.

Das Autorenkollektiv Wu Ming mahnt seit Monaten zur kritischen Auseinandersetzung mit Grillo und seiner Bewegung. Auf Wu Mings Blog Giap werden die Widersprüche und repressiven Tendenzen des M5S diskutiert. Noch am Wahlabend widersprachen Wu Ming der optimistischen Einschätzung, Grillos Bewegung trage zur Destabilisierung des politischen Systems bei. Im Gegenteil, der Grillismus habe die Radikalisierung der so­zialen Bewegungen verhindert. Eine der Hauptforderungen der M5S ist beispielsweise die Einführung eines monatlichen »Bürgereinkommens«. Dahinter verbirgt sich jedoch nicht das von der Linken geforderte bedingungslose Grundeinkommen, sondern eine dreijährige Arbeitslosenhilfe, die weder den prekär Beschäftigten zugutekäme noch all jenen, die keine italienische Staatsbürgerschaft haben. Das Staatsbürgerrecht will Grillo jedoch auf keinen Fall ausweiten. Auch andere Forderungen, die immerhin zum Minimalprogramm des linksliberalen Wahlbündnisses gehörten, wie die Abschaffung des rassistischen Immigrationsgesetzes Bossi-Fini oder die zivilrechtliche Gleichstellung homosexueller Paare, stehen nicht auf der Prioritätenliste des M5S.
Obwohl Wu Ming für all jene Verständnis zeigen, denen der sozialdemokratische Kompromiss von Nichi Venodals Linkspartei SEL mit der Demokratischen Partei zu vage blieb und die deshalb ausgerechnet für Grillo stimmten, wurden ihre kritischen Einwände umgehend zurückgewiesen. Bifo beschimpfte die Autoren als »raffinierte Intellektuelle«, Uninomade dozierte in ­einem eigenen Blogbeitrag, noch jede neue Klasse sei aus der Ambivalenz des Kampfes hervor­gegangen. Phantasiert wird hier die Möglichkeit, die grillini für eine Generalisierung der Proteste zu mobilisieren, als wären nicht umgekehrt weite Teile der kritischen Schüler- und Studentenbewegung in den vergangenen Jahren zum M5S übergelaufen.
Jede Kritik an der unheimlichen Nähe der Linken zu Grillos Populismus ist unerwünscht. Doch gerade aus dieser Nähe erklärt sich die anhaltende Krise, das allmähliche Verschwinden der politischen Linken in Italien. Denn schon lange teilen viele linke Gruppen mit Grillo nicht nur das antiintellektuelle Ressentiment, sondern auch den unkritischen, positiven Bezug zum popolo, zu den »einfachen Leuten«. Besonders in den territorial organisierten Bewegungen verbinden sich Forderungen nach direkter Demokratie mit lokalpatriotischer Borniertheit. Alberto Perino, ein überregional bekannter No-Tav-Aktivist, sagte vor der Wahl, er werde den M5S wählen, denn dessen Kandidaten seien »Einheimische«, so könne er sie notfalls persönlich mit »Fußtritten« an ihre Wahlversprechen erinnern.
Zur Einhaltung der Wahlkampfzusagen verpflichtet die zukünftigen Parlamentsabgeordneten des M5S ein von Grillo publizierter »Verhaltenskodex«. Dieser hebt unter Androhung des Fraktionsausschlusses nicht nur die Mandatsfreiheit auf, er untersagt auch ausdrücklich jede Koalitionsabsprache mit anderen Parteien. Unter diesen Bedingungen scheint eine gemeinsame Regierung mit dem Linksbündnis von vornherein unmöglich. Andererseits regt sich gegen diese strikte Vorgabe Widerstand. Zwar erklärt Grillo die kritische Blogeinträge verschwörungstheoretisch zur Einmischung M5S-feindlicher Blogger. Doch auch sein Freund und Fürsprecher, der ­Literaturnobelpreisträger Dario Fo, wirbt offen für eine Zusammenarbeit mit dem Linksbündnis. Wie die Diskussionen ausgehen werden, ob und unter welchen Bedingungen eine neue Regierung zustande kommt, bleibt vorerst reine Spekulation. Für einen Stimmungsumschwung bei den grillini genügt ein einziger Tweet.