Linke Analysen zum NSU

Das Problem heißt nicht nur ­Rassismus

Im Zusammenhang mit dem NSU fehlt der radikalen Linken vor allem eines: eine Staatsanalyse.

Die politische Zurückhaltung autonomer Antifaschisten zur Mordserie des NSU ist verwunderlich. Denn vieles, was die Behörden heute über neonazistische Strukturen wissen und in den Medien berichtet wird, stammt aus antifaschistischen Recherchegruppen. Angesichts der Tatsache, dass der Staatsanteil am NSU längst keine böse Annahme mehr ist, sondern im Detail belegt werden kann, bleiben die Analysen der radikalen Linken dennoch auffallend vage. Während fast alle Medien, Parteien und Aufklärer von »Versagen«, »Pannen« und »Behördenwirrwarr« reden und damit eher zur Verschleierung der Ursachen als zur Aufklärung beitragen, stellt die radikale Linke den Rassismus in den Vordergrund ihrer Erklärung. Das ist richtig, wenn man betonen will, dass Rassismus heute aus der po­litischen Mitte heraus wirkt, wie die Asyldebatte in den neunziger Jahren, die Debatte über unauffällig unter uns lebenden »kriminellen Ausländers« am Anfang des neuen Jahrtausends und jüngst die Kampagne gegen Roma als »Armutszuwanderer« gezeigt haben.
Die 13jährige Existenz des NSU lässt sich aber nicht nur durch Rassismus erklären. Dank der vorliegenden Dokumente und Fakten kann man wissen, dass sich hinter dem, was heute als »Panne« bezeichnet wird, ein Konflikt zwischen verschiedenen Behörden verbirgt, der 1998 begann, als man Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes abtauchen ließ, und 2006 mit dem Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn eskalierte.
Dass diese Konflikte elf Jahre lang nicht aufbrachen, dass teilweise führende Polizeibeamte keine Dienstaufsichtsbeschwerde stellten, dass man trotz vieler in eine andere Richtung weisender Indizien der Anweisung folgte, die Ermittlungen ausschließlich am Konstrukt der »kriminellen Ausländer« zu orientieren, kann nicht mit Rassismus erklärt werden.
Die radikale Linke wird in diesem Zusammenhang ohne eine Staatsanalyse nicht auskommen. Einig ist man sich, dass die Geheimdienste ab­geschafft werden müssen. Dass aus dieser Forderung keine Handlungsoptionen abgeleitet werden, hat nicht nur mit der Schwäche der radikalen Linken zu tun. Ihr ist auch eine Vorstellung unterlegt, die mehr von bösen Zuschreibungen und Ahnungen als von einer Staatsanalyse geprägt ist. In vielen Ausführungen schwingt die Idee mit, die Geheimdienste bildeten einen »Staat im Staat« oder seien außer Kontrolle geraten. Durch die zahlreichen Unterlagen, die mittlerweile an die Öffentlichkeit gelangt sind, kann man diese Annahmen durch Fakten überprüfen. Dabei kann man feststellen, dass der mehrfach dokumentierte Konflikt zwischen Polizei und Geheimdiensten nicht außerhalb vor­geschriebener Dienstwege, sondern im Rahmen bestehender Institutionen entschieden worden ist. Die Mär von einem sich verselbständigenden Geheimdienst verschleiert die tatsächliche Mitverantwortung der jeweiligen Innenministerien an mindestens neun Morden. Es ist an der Zeit, nicht eine ominöse, im Verborgenen operierende Schaltzentrale der Macht, sondern den real existierenden Staat in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen.