Über den Mord an einen britischen Soldaten in London

Jihadistische Nihilisten

Am Mittwoch vergangener Woche wurde der britische Soldat Lee Rigby in Woolwich, einem migrantisch geprägten Stadtteil im Süden Londons, ermordet. Die mutmaßlichen Täter, der 28jährige Michael Adebolajo und der 22jährige Michael Adebowale, sollen den 25jährigen Rigby in der Nähe der Woolwich Barracks zunächst mit einem Auto überfahren und dann mit Messern und einem Fleischerbeil auf offener Straße angegriffen und erstochen haben. Angeblich aus Rache dafür, dass britische Truppen »jeden Tag Muslime töten«, wie sie einem Augenzeugen zufolge, der sie kurz nach der Tat filmte, gesagt haben sollen. Nach dem Mord blieben die beiden noch am Tatort, um sich mit Handykameras filmen zu lassen. Sie wurden später von der Polizei angeschossen und festgenommen, aber noch nicht vernommen, da sie sich im Krankenhaus befinden. Weitere zehn Personen wurden inzwischen unter dem Verdacht des Mordkomplotts in Gewahrsam genommen. Premierminister David Cameron sprach von Hinweisen auf einen Terrorakt, die mutmaßlichen Mörder sollen den Sicherheitsbehörden bereits früher im Zusammenhang mit der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus aufgefallen sein. Adebolajo und Adebowale sind britische Staatsbürger mit nigerianischem Hintergrund. Vor einigen Jahren soll Adebolajo zum Islam konvertiert sein, Adebowale wahrscheinlich ebenso. Nach der Tat gab es Fälle von Beleidigungen gegen Muslime und antimuslimische Beiträge und Aufrufe in sozialen Medien. Am Samstag nahmen etwa 1 500 Menschen an einem Protestmarsch der rechtsextremen English Defence League teil. Dieser war jedoch bereits Monate zuvor geplant worden.

Es war ein verrückter, barbarischer Angriff, der mehr mit einer besonders grausamen Form von Straßengewalt gemein hatte als mit einer politisch motivierten Tat. Bemerkenswert war nicht nur die Grausamkeit des Vorfalls, sondern auch der Wunsch der mutmaßlichen Mörder, dass ihre Verdorbenheit auch filmisch festgehalten wird. Es war ein narzisstischer Horrorfilm, der Versuch, ein Spektakel zu schaffen, eine Performance aufzuführen und die Medien in Aufregung zu versetzen. Darin waren die Täter erfolgreich. Der Tat sollte aber nicht dadurch größere Legitimation verschafft werden, dass sie mit politischen oder religiösen Begriffen rationalisiert wird. Selbst den Angriff einen Akt des Terrorismus zu nennen, bedeutet, ihm zu viel Sinn zu verleihen.
Brutaler Nihilismus und narzisstischer Hass sind zentrale Charakteristika des gegenwärtigen Jihadismus. Auf die Anschläge in New York City vom 11. September 2001, diejenigen am 7. Juli 2005 in London und die jüngsten Attentate während des Boston-Marathons trifft dies ebenso zu wie auf den Mord in Woolwich. Aber waren 9/11 und 7/7 bereits verkommene Taten, zeigt der Angriff in Woolwich, wie viel verkommener derartige Angriffe im Verlauf der vergangenen Dekade geworden sind. Das war Jihadismus als verdorbene Straßengewalt.

Dieser verkommene Nihilismus ist keine Eigenart von Jihadisten. Er trieb die verdrehten paranoiden Phantasien des norwegischen Massenmörders Anders Breivik an, der »eine europäische Version von al-Qaida schaffen« wollte. Er bildete die Basis für die Massaker in den USA in Aurora und Sandy Hook. Solche Taten bleiben selten. Aber die rudimentäre, ungebundene, menschenfeindliche Wut, aus der sie entspringen, der Hass der Täter und die Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen Handlungen, die diese ausdrücken, sind typisch geworden für eine sehr gegenwärtige Art der Gewalt. Die Tatsache, dass Breivik für sich beanspruchte, einen Krieg zur Verteidigung des Christentums zu entfachen, oder dass die Angreifer von Woolwich »Allahu Akbar« riefen, macht ihre Taten nicht weniger verkommen oder nihilistisch oder in irgendeiner Form »politischer« als die der Täter der Massaker in Aurora oder Sandy Hook.
Davon auszugehen, dass der Angriff von Woolwich nicht durch politische Wut verursacht worden ist, bedeutet nicht, zu negieren, dass wir die Bedrohung durch den Islamismus ernst nehmen sollten. Aber wir sollten auch verstehen, was dem homegrown terrorism zugrunde liegt. Es hatte etwas Bizzares, ja sogar Surreales, einen jungen schwarzen Mann im breiten Dialekt Südlondons über britische Soldaten in »unserem Land« schimpfen und ihn davor warnen zu hören, dass »ihr Leute niemals sicher sein werdet«. Das zeugt weniger von seiner Bindung an den Islam als von seiner kompletten Abkoppelung von der britischen Gesellschaft. Islamismus ist zu einem Ausdruck einer derartigen Loslösung und Abwendung von gesellschaftlichen Normen geworden.

Die Reaktionen der Behörden und der Medien spielten den mutmaßlichen Tätern in die Hände. Die beste Art, mit Terrorismus umzugehen, stellte Premierminister David Cameron unmittelbar nach der Tat fest, sei es, weiterzumachen wie bisher. Doch indem der Vorfall zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit erhoben und angedeutet wurde, dass es eine Art »geplanter Terrorismus« gewesen sein könnte, indem nach möglichen Verbindungen zu al-Qaida gesucht wurde, verliehen sowohl die Behörden als auch die Medien dem Mord genau jene Art Legitimität, nach der die mutmaßlichen Täter gelechzt haben.
Es wurde länger darüber debattiert, ob die Filmaufnahme, die die Messer schwingenden mutmaßlichen Mörder dabei zeigt, wie sie ihre Taten zu rechtfertigen versuchen, im Fernsehen gezeigt werden dürfe. Zensur ist keine Antwort auf derlei Angriffe. Aber während die Medien ihre Berichterstattung über solche Episoden nicht zensieren sollten, sollten sie ebenso wenig einen grauenhaften Vorfall auf den Straßen von Woolwich zu einer Bedrohung für die ganze Nation erklären.

Im Gegensatz dazu waren die Reaktionen der Öffentlichkeit, insbesondere die der Menschen am Tatort, exemplarisch, wenn nicht heroisch. Passantinnen und Passanten versuchten, dem Opfer zu helfen. Eine Anwesende, Ingrid Loyau-Kennett, stellte sich einem der Machete schwingenden mutmaßlichen Mörder sogar entgegen, wie sie später den Tageszeitungen The Guardian und The Telegraph berichtete. »Wir wollen heute Abend einen Krieg in London beginnen«, habe dieser ihr gesagt. »Es seid nur ihr gegen ganz viele Menschen. Ihr werdet verlieren«, habe sie ihm geantwortet.
Rechtsextreme Gruppen, insbesondere die »English Defence League« (EDL), haben versucht, den Vorfall mit grober antimuslimischer Rhetorik auszuschlachten. Es gab einige Angriffe auf islamische Zentren. Aber das waren, bislang zumindest, einzelne, isolierte Fälle. Die allgemeine Antwort bestand in der Weigerung, sich terrorisieren zu lassen oder dem Fanatismus nachzugeben. In dieser maßvollen öffentlichen Reaktion liegt die wahre Hoffnung.

Der Text erschien zuerst auf dem Blog des Autors () unter dem Titel »Reflections on Woolwich«.

Aus dem Englischen von Nicole Tomasek