Mag die Comic-Biographie über den Dadaisten Kurt Schwitters

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Bürgerschreck und unpolitischer Künstler – der Dadaist Kurt Schwitters arbeitete an einer eigenen Kunstform und führte ein ­Leben voller Widersprüche. Eine Comic-Biographie zeigt seinen Weg ins Exil.

So wie der Dadaist Kurt Schwitters Kunst aus Objekten schuf, die er von der Straße aufgelesen hat, mache ich Sounds aus dem Dreck, der mein Leben umgibt«, erklärt der japa­nische Musiker Masami Akita. Sein Noise-Projekt trägt den Namen Merzbow, der angelehnt ist an Schwitters Form des Dadaismus, die dieser als Merzkunst bezeichnete. Masami Akita ist nicht der einzige Künstler, der sich auf Schwitters beruft. Neben Lautpoeten wie Ernst Jandl und Franz Mon sieht auch die Performance Art seit den sechziger Jahren in Schwitters’ Idee der Merzbühne – einer Aufhebung der Grenze zwischen Schauspielern und Publikum – einen Vorläufer der eigenen Arbeit. Und einen Aspekt der Pop Art hat Schwitters ebenfalls vorweggenommen: die Aufhebung der Differenz von Hoch- und Popkultur, etwa durch die Integration von Comic-Panels in seine (späten) Collagen.
Nun hat sich Schwitters selbst in eine ComicFigur verwandelt. Der Norweger Lars Fiske hat ihn in der gezeichneten Biographie »Kurt Schwitters – Jetzt nenne ich mich selbst Merz. Herr Merz« liebevoll porträtiert. Dass ausgerechnet ein Norweger das Leben des bürgerlichsten deutschen Dadaisten, des »Kaspar David Friedrich der dadaistischen Revolution«, wie der Schriftsteller und Journalist Richard Huelsenbeck ihn einmal nannte, aufgreift, ist nicht verwunderlich. Schwitters hatte Zeit seines Lebens eine besondere Beziehung zu dem Land. Bereits vor seiner Flucht aus Deutschland Anfang 1937 hatte er, angetan von der Schwärmerei der Dadaistin Hannah Höch für Norwegen, einige Sommerurlaube dort verbracht und 1932 auf der Insel Hjertøya für 99 Jahre eine alte Schmiede gemietet. Am 2. Januar 1937 verließ er schließlich gemeinsam mit seinem Sohn Ernst Deutschland in Richtung Norwegen, um nie wieder zurückzukehren. Im gleichen Jahr wurden seine Freunde Christof und Luise Spengemann wegen antifaschistischer Aktivitäten verhaftet und er selber von der Gestapo in Hannover gesucht, nachdem seine Merzkunst in der Ausstellung »Entartete Kunst« gezeigt und diffamiert worden war. Im begleitenden Führer zur Ausstellung heißt es zu Schwitters: »Dieser Abteilung kann man nur die Überschrift ›vollendeter Wahnsinn‹ geben. Auf den Bildern und Zeichnungen dieses Schauerkabinetts ist meistens überhaupt nicht mehr zu erkennen, was den kranken Geistern vorschwebte. Der eine ›malte‹ schließlich nur noch mit dem Inhalt von Mülleimern.«
Das »Land des Irrsinns«, wie Schwitters Deutschland in einer Textsammlung nannte, hatte er noch rechtzeitig verlassen, während seine Frau Helma immer wieder zurückkehrte, um sich um die Hannoveraner Wohnungen zu kümmern und die Kunstwerke ihres Mannes, soweit möglich, außer Landes zu schaffen.
Fiske illustriert den Aufstieg des Nationalsozialismus im Stil der den Nationalsozialisten verhassten avantgardistischen Stilrichtungen des Kubismus, Expressionismus, Dadaismus und der Karikaturen von George Grosz. Nach der »Machtergreifung« waren diese Traditionen der Avantgarde für Schwitters der einzige Zufluchtsort. Sein Merzbau – eine über mehrere Stockwerke sich erstreckende Skulptur in seiner Wohnung in Hannover –, war ein persönlicher Beitrag zu dieser Tradition und wurde zum Ort seiner inneren Emigration.
Schwitters hatte sich nie als politischer Künstler verstanden. Eine der wenigen radikalen Gesten, die von ihm bekannt sind, ereignete sich 1934 bei einem Empfang des Futuristen und Ministers des faschistischen Italien, Filippo Tommaso Marinetti, in Berlin. Fiske hat die Szene in seinen Comic aufgenommen, in der Schwitters, »eingeklemmt zwischen dem Leiter der nationalsozialistischen Organisation für Volkskultur und dem Leiter von ›Kraft durch Freude‹«, wie die ebenfalls anwesende Dramaturgin, Schauspielerin und Kunstkritikerin Sibyl Moholy-Nagy berichtete, angetrunken zu einem Monolog anhob: »Ich liebe Sie, Sie Kulturvolk und Freude. Ehrlich, ich liebe Sie. Sie glauben, ich sei es nicht wert, Ihre Kammer zu teilen, Ihre Kunstkammer für Kraft und Volk, he? Auch ich bin ein Idiot, und ich kann es beweisen.« Später intonierte er lautstark sein Gedicht »Anna Blume«. »Den Lärm protestierender Stimmen und scharrender Stühle übertönend«, klammerte er sich schreiend an seine Kunst, die er als Gegenmittel zur Uniformität der Nationalsozialisten verstand. 1931 hatte er in einer der zahlreichen von ihm herausgegebenen Zeitschriften geschrieben: »Ihr aber, Ihr politischen Menschen, wenn Ihr eines Tages mal die Politik recht satt habt, so kommt zur Kunst, zur reinen unpolitischen Kunst, die ohne Tendenz ist, nicht sozial, nicht national, nicht zeitlich gebunden, nicht modisch.«
Gerade die Widersprüche der Person Schwitters faszinieren Fiske, was sich in den unterschiedlichsten Zeichenstilen zeigt, die verschiedene Einflüsse und Schaffensperioden von Schwitters spiegeln, aber auch seine Unsicherheit, zu politischen Fragen Stellung zu beziehen. Auf der einen Seite zeigte Schwitters während eines Treffens deutscher Maler Bilder von Hitler und Goebbels mit den Worten herum: »Gut, hier sind sie, Leute, wollen wir sie aufhängen oder an die Wand stellen?«, und musste als »entarteter Künstler« verfemt aus Deutschland fliehen, während er andererseits auf der Autonomie der Kunst beharrte und dieser jeglichen politischen Anspruch absprach: »Die Gazelle zittert, weil der Löwe brüllt, Die Hyäne wittert. Doch die Kunst erfüllt.« Politische Botschaften verachtete Schwitters, was ihn schon in den Zwanzigern der Häme der politischen Berliner Dadaisten aussetzte. Huelsenbeck nannte ihn einen »hochbegabten Kleinbürger« und lediglich Hannah Höch und Raoul Hausmann aus dem Umfeld der Ber­liner Dadaszene schätzten ihn – vermutlich ebenfalls gerade wegen seiner Widersprüche.
Fiske zeigt sehr schön die verstörende Wirkung, die der in bürgerlichen Verhältnissen lebende und entsprechend auftretende Schwitters erzeugte. Einerseits in Hannover, wo er als Bürgerschreck verschrien war, lange bevor die Nationalsozialisten seine Kunst stigmatisierten, andererseits bei den Vertretern der künstlerischen Avantgarde seiner Zeit. Zwar verstand sich Schwitters auch als Dadaist, allerdings war seine Form von Dada eine konstruktive, die sich ganz explizit als Kunst und eben nicht als dadaistische Antikunst verstand. Womöglich liegt einer der Gründe für diese grundlegende Differenz in der Erfahrung des Ersten Weltkriegs, die für die Entstehung von Dada entscheidend war. Der Dadaist Hugo Ball hatte 1916 in seinem Tagebuch notiert: »Da der Bankrott der Ideen das Menschenbild bis in die innersten Schichten zerblättert hat, treten in pathologischer Weise die Triebe und Hintergründe hervor. Da keinerlei Kunst, Politik oder Bekenntnis diesem Dammbruch gewachsen schienen, bleibt nur die blutige Pose.« Diese Wahrnehmung aus dem Zürcher Exil heraus ist grundlegend verschieden von jener Schwitters’, der während des Krieges zwar 1917 als Soldat eingezogen, aber wegen seines labilen Gesundheitszustandes nach wenigen Wochen als untauglich entlassen worden war und seine Zeit als zwangsverpflichteter Werkstattzeichner im Eisenwerk Wüfel sogar als positive Erfahrung beschreibt: »Seit dieser Zeit liebe ich die Zusammenfassung von abstrakter Malerei und Maschine zum Gesamtkunstwerk.«
Die Suche nach diesem Gesamtkunstwerk trieb Schwitters sein Leben lang um: »Mein letztes Streben ist die Vereinigung von Kunst und Nichtkunst zum Merz-Gesamtweltbilde.« Merz sollte Kunst und Leben, Dichtung und Malerei, Theater und Werbung, Müll und Dadaismus in sich vereinen, und auf diese Weise das Leben der Menschen von den sie umgebenden Zwängen befreien. Eine Kunst, die sich gegen die vertrauten Wert- und Kunstvorstellungen richtet. Enttäuscht von den Berliner Dadaisten, die dieses Vertrauen in die Kunst nicht teilten, suchte sich Schwitters andere Verbündete, etwa den niederländischen Konstruktivisten Theo van Doesburg, mit dem er 1923 eine Dada-Tournee durch Holland veranstaltete – bei Fiske sehr detailverliebt in der Ästhetik der von Doesburg mitbegründeten Kunstrichtung De Stijl gezeichnet.
Im Mittelpunkt von Schwitters’ Leben und dementsprechend auch der Comic-Biographie steht jedoch der Merzbau, der – was sich in der Erzählweise des Comics spiegelt – immer neue Wege und Formen suchte. Zunächst wuchs er in Schwitters’ Wohnhaus in Hannover von Stockwerk zu Stockwerk, Säule um Säule und Collage um Collage, dann in einem zweiten Anlauf im norwegischen Exil und zuletzt in Großbritannien, wohin Schwitters nach der deutschen Besatzung Norwegens fliehen musste.
Der Angriff der Deutschen auf Norwegen ist von Fiske ähnlich dem von den Dadaisten angesichts des Ersten Weltkriegs empfundenen Zusammenbruch aller Werte gezeichnet: Die Panelgrenzen verschwimmen, die Erzählung ist fragmentiert, die Bedrohung des Lebens angesichts von Luftangriffen der Deutschen schlägt sich in der Kunst nieder.
Und vielleicht ist dies eine der interessantesten Erkenntnisse aus der Comic-Biographie, die zwangsläufig nur Schlaglichter auf Leben, Werk und Theorie des in allen Kunstformen aktiven Schwitters legen kann: Sie dokumentiert den Weg eines sich als unpolitisch verstehenden, »entarteten Künstlers« ins Exil, über Norwegen nach England; ein Weg, der aus dem bürgerlichen Künstler aus Hannover einen Weltbürger gemacht hat, einen Wurzellosen, der verwundert auf eine Anfrage des deutschen Kulturbundes antwortete: »Ich arbeite meine Bilder und Skulpturen und meine Gedichte für jeden, der sehen und fühlen kann, ganz gleich, ob er Deutscher, Russe oder Japaner ist. (…) Meine Kunstwerke gehören nicht zu einem typisch deutschen Kulturkreis. Seien Sie mir nicht böse, aber ich versuche weit mehr jetzt, da ich mich in England wohl fühle, englisches Fühlen und englisches Wesen zu verstehen, als das deutsche, das ich von Geburt her kenne.«
Schwitters Spätwerk ist derzeit im Sprengel-Museum in Hannover zu sehen.

Lars Fiske: Kurt Schwitters – Jetzt nenne ich mich selbst Merz, Herr Merz. Avant-Verlag, Berlin 2013, 112 Seiten, 29,95 Euro

Schwitters in England, 2. Juni–25. August, Sprengel Museum Hannover