Elisabeth Ngari im Gespräch über die Probleme von geflüchteten Frauen in Deutschland

»Frauen sollen nicht mehr in Lager«

Von Zoé Sona

Women in Exile (WIE) ist eine 2002 von Asylbewerberinnen gegründete Gruppe, die sich der Probleme von Flüchtlingen in Deutschland annimmt. Die Jungle World sprach mit Elisabeth Ngari, einer der Gründerinnen von WIE, über die Arbeit der Gruppe und die Probleme speziell weiblicher Flüchtlinge in Deutschland. Ngari kommt aus Kenia und lebt seit 17 Jahren in Deutschland. Zuerst wohnte sie sieben Jahre in Prenzlau, 2004 zog sie nach Berlin.

Wie kam es 2002 zur Gründung von Women in Exile?
Wir Frauen kamen alle aus Brandenburg und waren zu der Zeit Asylbewerberinnen. Wir haben alle in Flüchtlingsgruppen gearbeitet, die sich gegen gesellschaftliche Diskriminierung zur Wehr gesetzt haben. Damals haben sich ungefähr sieben Frauen zusammengetan, um ein Interview für die BBC zu geben. Die Journalistin war besonders daran interessiert, etwas über die Probleme von Frauen und Kindern in den Flüchtlingsheimen zu erfahren. Deshalb entschieden wir, eine Frauengruppe zu gründen, die sich genau um diese Probleme kümmern sollte.
Welche spezifischen Probleme sind das?
In den Flüchtlingsheimen gibt es für Frauen keine Privatsphäre. Heimmitarbeiter kommen ohne zu klopfen in ihre Zimmer, und sie werden sexuell belästigt. Sie können ihre Räume zwar abschließen, aber wenn sie nachts über die langen Flure zur Toilette müssen, sind sie ungeschützt. Aus Angst gehen manche Frauen nachts nicht mehr zur Toilette und benutzen stattdessen einen Eimer in ihrem Zimmer. Es ist andauernd laut, auch nachts. Die Kinder sind unkonzentriert in der Schule, weil sie nachts nicht schlafen können.
Gibt es auch Probleme mit anderen Flüchtlingen?
Die Frauen werden auch von den männlichen Flüchtlingen mit sexuellen Angeboten belästigt. Viele Leute betrinken sich aus Frustration und Langeweile, weil sie in den Heimen isoliert sind, und die Männer werden dann zudringlich. Das liegt an der Art der Unterbringung in den Heimen. Es sind einfach zu viele Leute auf zu wenig Raum zusammengedrängt. Die Menschen dort haben keine Perspektive und sie wissen nicht, worauf sie warten. Häufig für sehr lange Zeit. Manchen geht es dadurch so schlecht, dass sie psychologisch behandelt werden müssen.
Wir organisieren Sie Ihre Arbeit gegen diese Missstände?
Wir sind nur drei bis vier Frauen, die kontinuierlich bei WIE arbeiten, darüber hinaus gibt es keine festen Mitglieder. Die Frauen kommen und gehen, weil sie sich in erster Linie um ihr Aufenthaltsrecht kümmern müssen. Wenn sie es nicht bekommen, müssen sie das Land wieder verlassen, und wenn sie es bekommen, müssen sie sich um Arbeit kümmern, oder sie ziehen in eine andere Stadt. Aber es kommen immer wieder neue Leute und wir versuchen natürlich ständig, Frauen aus den Heimen dazu zu motivieren, bei uns mitzumachen. Jeden ersten Samstag im Monat haben wir ein offenes Treffen im Bethanien (eine Art soziales Zentrum in Berlin, Anm. d. Red.), zu dem auch Freundinnen und Freunde und andere Menschen kommen, die uns bei unserer Kampagne »Keine Lager für Frauen und Kinder. Alle Lager abschaffen!« unterstützen.
Wie genau sieht die Kampagne aus?
Sie begann 2011 mit der Übergabe eines Memorandums an den Brandenburgischen Sozialminister Günter Baske, in dem wir die Schließung aller Flüchtlingsheime und eine Unterbringung in Wohnungen fordern. Aktuell haben wir eine finanzielle Unterstützung von der Bewegungsstiftung erhalten und wollen die Kampagne jetzt auf ganz Deutschland ausweiten. Gerade planen wir ein bundesweites Treffen mit interessierten Leuten. Außerdem wollen wir einen Newsletter einrichten und unsere Website (http://women­inexile.blogsport.de) aktualisieren. Auf der Ebene der Bundesländer wollen wir verstärkt die Ministerien ansprechen. Beispielsweise in Brandenburg schien sich die Situation für Flüchtlingsfrauen zu bessern, weil das Sozialministerium dem Heimpersonal verbot, ohne Klopfen die Zimmer der Flüchtlinge zu betreten, und in manchen Heimen die Einrichtung getrennter Frauentoiletten anwies. Aber jetzt wird in Potsdam gerade darüber beraten, die Flüchtlinge in Containern unterzubringen. Deshalb planen wir Demonstrationen, offene Briefe und Pressemitteilungen, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Auf der lokalen Ebene wollen wir Flüchtlingsheime besuchen und den Frauen Treffen anbieten, um herauszufinden, was ihre speziellen Probleme dort sind. Wir wollen sie dabei unterstützen, ein Recht auf Unterbringung in Wohnungen zu bekommen, und ihnen dabei helfen, Wohnungen zu finden.
Welche Pläne haben Sie, um auf Bundesebene mehr Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu gewinnen?
Der Newsletter, den wir alle zwei Monate veröffentlichen wollen, soll über die Lage der Flüchtlinge in den verschiedenen Bundesländern berichten. Auf dieser Grundlage wollen wir herausfinden, wie wir am besten bundesweit zusammenarbeiten können. Wir können unsere Ziele nur verwirklichen, wenn wir sie alle zusammen auf Bundesebene angehen. Und dafür brauchen wir Flüchtlinge, die nicht nur zu uns kommen, um über ihre Probleme zu berichten, sondern auch bereit sind, bei uns mitzuarbeiten.
Welche Angebote haben Sie für andere Flüchtlingsfrauen?
Wir helfen Frauen, Beratungsstellen für ihre individuellen Probleme zu finden. Das kann soziale, juristische oder medizinische Beratung sein. Außerdem haben wir einen Flyer mit wichtigen Anlaufstellen verfasst, den wir den Frauen geben und auch in Flüchtlingsheimen verteilen.
Mit anderen zusammen organisieren wir einen Deutschkurs im International Women Space in der Schule in der Ohlauer Straße (besetzte Schule im Berliner Bezirk Kreuzberg, Anm. d. Red.), an dem momentan ungefähr 15 Frauen teilnehmen, die aus Berlin und Heimen in Brandenburg kommen. Wir bieten auch Peer-Education-Seminare für die Frauen an, damit der Informationsfluss besser läuft. Menschen lernen voneinander und von den Erfahrungen, die sie gemacht haben. Mit PeerEducation können sie sich gegenseitig weiterbilden, indem sie ihr Wissen effektiv weitergeben.
Was sind die größten Probleme der Flüchtlingsfrauen?
Neben sexistischer und rassistischer Diskriminierung ist es das größte Problem, an Aufenthaltspapiere zu kommen. Aber auch die schwierige Arbeitssuche und das mangelnde Angebot von Deutschkursen sind große Probleme.
Im April fand in Hamburg die erste Konferenz von Flüchtlingsfrauen statt, und auch während des »Flüchtlingstribunals gegen Deutschland« Mitte Juni haben sich Frauen zusammengetan. Wie haben Sie diese Veranstaltungen zur weiteren Vernetzung genutzt?
Die Konferenz in Hamburg war nicht als Treffen von Flüchtlingsgruppen geplant, weil dort den Flüchtlingsfrauen aus den Heimen der Raum geboten werden sollte, über ihre Probleme zu sprechen. Deshalb haben nur Einzelpersonen von uns teilgenommen. Beim Tribunal haben wir uns mit Frauen von der »Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen« und vom International Women Space getroffen. Wir wollen uns auch zukünftig treffen, um weitere gemeinsame Pläne zu schmieden.
Welche Forderungen haben Sie auf dem Tribunal vertreten?
Wir wollen, dass Frauen nicht mehr in Lagern untergebracht werden, damit sie keinen sexistischen Übergriffen ausgesetzt sind. Darüber hinaus haben wir uns gegen die Residenzpflicht ausgesprochen und gegen die Isolation, die sie erzeugt. Wir wenden uns gegen das Gutscheinsystem. In Brandenburg gibt es immer noch drei Heime, die Essen nur über Gutscheine herausgeben. Außerdem haben wir die medizinische Versorgungssituation kritisiert und die rassistische Behandlung durch das racial profiling.
Mit wem arbeiten Sie noch zusammen?
Wie arbeiten zusammen mit No to Racism, No Border Lasts Forever, Refugees Emancipation, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg und anderen antirassistischen Gruppen aus Brandenburg. Auch die Flüchtlinge aus dem Camp auf dem Oranienplatz (in Berlin-Kreuzberg, Anm. d. Red.) sind uns verbunden. Als sie eine Pressekonferenz anlässlich ihrer Bustour im März organisierten, haben sie uns den Raum gegeben, um auch eine unserer Demonstrationen anzukündigen. Und es gibt noch weitere Gruppen, die mit uns solidarisch sind, wie zum Beispiel Les Migras und der Transgeniale CSD.
Welche Probleme haben Sie bei Ihrer Arbeit?
Trotz der Unterstützung, die wir von anderen Gruppen bekommen, fehlt uns Geld für viele wichtige Dinge. Um den Leuten, die überall aus Brandenburg nach Berlin kommen, die Fahrt zu unseren Treffen zu ermöglichen, müssen wir zum Beispiel Fahrscheine besorgen. Außerdem fehlen uns Leute, die die Übersetzung unserer Informationsmaterialien übernehmen. Momentan gibt es sie nur auf Englisch, aber wir würden sie gerne auch auf Farsi, Arabisch und Französisch veröffentlichen.
Hatten Sie Probleme mit deutschen Unterstützerinnen und Unterstützern?
Das größte Problem ist bisher, dass wir festgelegt haben, dass die Zahl der Unterstützerinnen und Unterstützer die Zahl der Mitglieder von WIE nicht übersteigen sollte. Aber weil die Mitarbeiterinnen von WIE so häufig wechseln und mit existentiellen Problemen beschäftigt sind, ist es schwer, diese Vorgabe einzuhalten. Trotzdem versuchen wir immer, das Verhältnis auszubalancieren.
Gibt es Probleme in der Zusammenarbeit mit Männern in anderen Gruppen?
Manchmal ist es schwierig, Frauenthemen in die Diskussion und auf Veröffentlichungen wie Flyer zu bringen, weil der Fokus der Gruppen mehr auf den allgemein diskriminierenden Zuständen und der Gesetzgebung liegt.
Seit dem Münchner Kongress »Refugee Struggle« Anfang März kam die Unterscheidung zwischen »citizens« mit gesichertem Aufenthaltsstatus und »non-citizens« auf. Wie stehen Sie zu dieser Differenzierung?
Ich denke, dass einige Leute die Dinge manchmal einfach schwieriger machen, als sie sein müssten. Natürlich wissen die Leute aus den Flüchtlingsheimen am besten, welche Interessen sie haben und worunter sie leiden. Aber entscheidend ist doch, dass wir die selben Ziele haben. Dafür ist es egal, wo wir uns gerade befinden.