Über Rechtsextreme in Dortmund

Tief im Westen

Dortmund hat sich innerhalb eines Jahrzehnts zu einem Zentrum der rechtsextremen Szene entwickelt.

Von einer politischen Partei hört man nicht oft solche Töne. »Ab wann der offene Widerstand gerechtfertigt ist«, fragte sich Anfang Juli ein namentlich nicht genannter Autor auf der Internetseite der Partei »Die Rechte« (DR) im westfälischen Hamm. So ganz genau beantwortete er die Frage zwar nicht, verriet aber immerhin, »ganz allein das deutsche Volk« und »natürlich kein regime­treuer Richter oder Parlamentarier« entscheide, wann der »aktive Widerstand« zur Pflicht werde.

Überraschend ist es nicht, dass gerade im öst­li­chen Ruhrgebiet Neonazis sich solche Fragen stellen. Seit mehr als zehn Jahren gilt die Szene in der Region als besonders militant – verbal, aber auch ganz praktisch. Am 23. August vorigen Jahres verbot das Düsseldorfer Innenministerium drei der wichtigsten Neonazivereinigungen in Nordrhein-Westfalen, darunter der »Nationale Widerstand Dortmund« und die »Kameradschaft Hamm«. Auf 62 beziehungsweise 47 Seiten begründete das Ministerium im Detail die Verbote. In einem Satz zusammengefasst: Auf der Basis des Nationalsozialismus und in Anlehnung an die SA hätten sich Vereinigungen gebildet, deren Mitglieder Gewalt nicht nur rechtfertigen, sondern teilweise selbst ausübten. Als die Polizei am Tag der Verbote eine erste Bilanz der morgendlichen Razzien zog, konnte sie auch eine stattliche Auswahl an einkassierten Waffen präsentieren, inklusive funktionsfähiger Schusswaffen.
Fünf Menschen kamen seit der Jahrtausendwende in Dortmund und Umgebung durch rechte Gewalt ums Leben. Am 14. Juni 2000 erschoss der Neonazi Michael Berger den Polizisten Thomas Goretzky bei einer Verkehrskontrolle. Auf der Flucht tötete Berger die Polizistin Yvonne Hachtkemper und ihren Kollegen Matthias Larisch von Woitowitz durch Kopfschüsse. Am 28. März 2005 erstach Sven Kahlin, der der »Skinhead-Front Dortmund-Dorstfeld« zugerechnet wurde, den Punk Thomas Schulz in einer U-Bahn­station. Am 4. April trafen mehrere Schüsse, mutmaßlich abgefeuert von den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, den Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık; er war das achte von zehn Mordopfern des NSU.
Vor 13 beziehungsweise acht Jahren solidarisierten sich Neonazis ganz offen mit den Tätern. »Antifaschismus ist ein Ritt auf des Messers Schneide«, war auf Aufklebern zu lesen, nachdem Thomas Schulz erstochen worden war. »Drei zu eins für Deutschland«, hatten ebenso makabere Aufkleber verkündet, nachdem Berger zunächst die drei Polizeibeamten getötet und sich schließlich selbst umgebracht hatte. Noch im Sommer 2010 hieß es auf der Internetseite der »Kameradschaft Hamm«, aus der der Kreisverband Hamm der Partei »Die Rechte« hervorgegangen ist: »Zum 10. Todestag: Berger war ein Freund von uns!«

Zum Mord an Mehmet Kubaşık fehlen bislang ähnlich offensive Solidaritätsbekundungen mit den Tätern. Auf einer Internetseite des DR-Kreisverbands Dortmund heißt es zurückhaltender, es gebe »keinerlei Beweise« dafür, dass es sich bei >den Morden, die dem NSU angelastet werden, tatsächlich um eine rechte Gewaltserie handele: »Wahrscheinlich ist ebenso ein Hintergrund im kriminellen Bereich, sowie eine staatliche Mordkonstruktion.«
Verbindungen zumindest zwischen Teilen der Dortmunder Szene und den Terroristen des »Nationalsozialistischen Untergrunds« könnte der Münchener NSU-Prozess ans Tageslicht bringen. Thomas Bliwier, einer der Anwälte aus den Reihen der Nebenkläger, stellte Ende Juni mehrere Beweisanträge diesbezüglich. Ihm geht es um die genauen Umstände eines Auftritts der Dortmunder Rechtsrockgruppe Oidoxie am 18. März 2006 in Kassel. Auch Mundlos und Böhnhardt sollen bei dem Konzert anwesend gewesen sein und sich dort mit Sebastian Seemann und Robin Schmiemann, zwei Neonazis aus dem Ruhrgebiet, getroffen haben. Seemann, so wurde 2007 bekannt, arbeitete als V-Mann für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Schmiemann machte unlängst Schlagzeilen, weil er Adressat eines längeren Briefes der im NSU-Prozess angeklagten Beate Zschäpe war; er sitzt derzeit wegen eines Überfalls auf einen Supermarkt in Haft, bei dem er einen aus Tunesien stammenden Kunden niederschoss und schwer verletzte.
Gewalt als Konzept wird offen empfohlen: Für Teile der Neonaziszene im Ruhrgebiet war das vor einem Jahrzehnt selbstverständlich. Oidoxie und ebenso die mit der Dortmunder Gruppe personell verbundene Band Weisse Wölfe galten als typische »Blood & Honour«- und »Combat-18«-Bands. Ein aus Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung von Dortmund in die Niederlande umgezogener Neonazi plädierte in Foren der Szene für rechten Terror, als handele es sich um eine Blaupause für den NSU.
So schrieb er beispielsweise: »Es geht um unsere Zukunft, um die unserer Nachkommen, ja unserer gesamten Art. Zeigt kein Erbarmen und keine Reue. Der Weiße Arische Widerstand lebt.« Seinen Kameraden empfahl er: »Bildet Zellen nach dem Vorbild des führerlosen Widerstandes, unterstützt die nationalrevolutionären Zellen. Sieg oder Walhalla!« An anderer Stelle schrieb er: »In der Situation, in der wir uns nun mal befinden, bleibt uns wohl nur noch der Widerstand mit allen Mitteln. Legalität ist ein Wunschdenken, das vor 20 Jahren evtl. noch machbar war. Es bleibt einem nur das Zellenprinzip (Drei-Mann-Gruppen) oder das des ›lone wolf‹.« Moralische Bedenken seien fehl am Platze: »Ich denke, dass es derzeit nur über ›Terror‹ geht.« In den Niederlanden wurde der Dortmunder Neonazi, der als Mitglied der »Racial Volunteer Force«, eines Ablegers des »Combat 18« galt, später zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er einen Schwarzen überfallen und brutal misshandelt hatte.

Die Begleitmusik steuerten unter anderem die Band Weisse Wölfe bei. Ihre 2002 veröffentlichte Debüt-CD gefiel besonders denen, die auf rechtsextreme Parolen standen. »Wenn wir uns finden beim Marsch durch das Land, dann brennt in jeder Stadt ein Asylantenheim ab«, johlte die Band, forderte den »heiligen Rassenkrieg«, verfluchte »diesen gottverdammten Judenstaat« und bedrohte Polizisten: »Am Tag der Rache woll’n wir euch bluten seh’n!« Auf dem Cover präsentierte sich die Gruppe martialisch und maskiert, mit Schusswaffen und Baseballschlägern in den Händen.
Seemanns wichtigstes Metier in der Szene war Mitte des vorigen Jahrzehnts die Organisation von Konzerten. Nach einem »Blood & Honour«-Event Ende 2004 mit Top-Bands der Szene in Belgien schrieb er seinen »Kameraden« im Ruhrpott: »Wie ich ja schon vorher sagte, fließt der Erlös ohne Ausnahme wieder zurück in die Bewegung. Also in deutsche und belgische politische und m … 
Widerstandsdivisionen.« »M … Widerstandsdivisionen« kann als »militante Widerstandsdivisionen« verstanden werden. Seine Beiträge in einem Neonazi-Forum pflegte er mit einem Goebbels-Zitat in der Signatur zu versehen: »Hass ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei!« Goebbels hatte dies als Motto den Werwolf-Gruppen mit auf den Weg gegeben.

Ein knappes Jahrzehnt später sind die Kameradschaftsstrukturen Dortmunder Neonazis verboten. Die, die dort zuletzt Regie führten, sind nun in führenden Funktionen im Landesverband von »Die Rechte« zu finden. Vom verbalen Spiel mit der Militanz möchten die nunmehr unter dem Schutz des Parteienprivilegs aktiven nordrheinwestfälischen Neonazis aber nicht lassen. Etwa wenn sie darüber philosophieren, ab wann »offener Widerstand« zur Pflicht werde. Oder wenn der Wuppertaler Kreisverband einen Mobi­track für einen Aufmarsch im September veröffentlicht: »Kommt alle zur Schlacht von Wuppertal!«, fordert der Neonazi-Rapper »MaKss Damage« am Ende seines Songs zur Teilnahme auf. Sie seien »zum Glück bald tot«, droht er den Gegnern der Neonazis: »Wir machen weiter und weiter, bis euer Blut in unsere Wupper fließt.«