Talmi

Babytalk

<none>

Niedlich, neugierig und noch nicht von Lügen und Trauer zerfressen – so präsentiert die Werbung Babys. Allerdings nur, wenn es um etwas anderes als Kleinkindpflege geht (dann sind Babys still schlafende, raupenhafte Puppenwesen); meist werden Autos und andere Vehikel der Regression so beworben. Denn das will jeder gern: den Fortschritt genießen, jedoch frei von der psychologischen Deformation, die ebendieser Fortschritt über das Leben verhängt; unmündig sein, aber mit 300 Sachen durch die Pampa brettern. Aber auch der Werber hat im Infanten die ideale Projektionsfläche: den auf seine Bedürfnisse reduzierten Konsumenten, der weder Widerworte geben noch über Zeitpunkt und Inhalt des Konsums bestimmen kann; darüber der Werber selbst als väterlicher Beschützer, der zwischen dem Chaos der Warenwelt und dem Chaos der Bedürfnisse vermittelt. Mit viel Eititei und »Hier kommt das Flugzeug« flößt er dem Konsumenten ein, was dieser im gesellschaftlichen Interesse verzehren muss. Eine werberische Masturbationsphantasie muss man also nennen, was nun auf dem Potsdamer Platz geschieht: Für Evian und seine neue Kampagne »Baby & Me« soll man sich dort an einer Photostation knipsen können, um mit Hilfe einer App das Porträt in das eines Kleinkinds zu verwandeln. »Anschließend«, so Werben & Verkaufen, »sehen die Teilnehmer auf einer drei mal fünf Meter großen Multimedialeinwand sich selbst und ihr inneres Kind als tanzendes Baby – ganz wie im Video zu Baby & Me.« Alle sind sie unmündig, und alle tanzen sie im Takt. Das Bedürfnis nach Regression geht noch stets einher mit dem nach der Autorität, die den Takt vorgibt. Wenn dereinst ein neuer Hitler kommt, er wird Evian trinken.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.