Das hierzulande vergessene Massaker im KZ Sonnenburg

Das vergessene Massaker

Der Opfer des Massakers im Konzentrationslager Sonnenburg wird in Frankreich, Luxemburg und Polen gedacht. In Deutschland findet das KZ Sonnenburg hingegen selten Erwähnung.

Das Konzentrationslager Sonnenburg war bereits 1934 zum Inbegriff des NS-Terrors geworden. Dazu hatte ein Bericht des KPD-Politikers Rudolf Bernstein beigetragen, der unter der Überschrift »Folterhölle Sonnenburg« in der in Prag herausgegebenen Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) erschienen war. Bernstein war wie Hunderte Nazigegner nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 verhaftet worden. Weil die Gefängnisse in Berlin schnell überfüllt waren, nahmen die Nazis das ehemalige Zuchthaus Sonnenburg wieder in Betrieb.

Diese war 1930 von der preußischen Regierung wegen katastrophaler hygienischer Verhältnisse geschlossen worden. Gegen die Schließung hatte die NSDAP bereits damals protestiert und, wie die Wahlergebnisse zeigen, in der Region des damaligen Landsberg viel Zustimmung erhalten. Wenige Wochen nach dem Beginn ihrer Regierungsbetei­ligung machten die Nazis ihr Versprechen wahr. Bis zu 1 000 Häftlinge, in ihrer großen Mehrheit Kommunisten aus Berlin und Umgebung, aber auch prominente Pazifisten wie Carl von Ossietzky und Erich Mühsam sowie der Rechtsanwalt Hans Litten wurden dort ab April 1933 in die beengten Zellen gepfercht. Dort litten sie unter der miserablen Verpflegung und waren durch die SA-Wachmannschaften ständigen Demütigungen und Folter ausgesetzt. Das KZ wurde im April 1934 geschlossen. Einige Häftlinge, darunter Bernstein, wurden entlassen, viele wurden in andere Konzentrationslager verschleppt. Mühsam, Ossietzky und Litten überlebten das NS-Lagersystem nicht. Vom Beginn des Zweiten Weltkriegs an wurde das Gebäude wieder als Zuchthaus genutzt.
Ab 1942 waren dort sogenannte »Nacht- und Nebelhäftlinge« aus sämtlichen okkupierten Ländern inhaftiert. Viele von ihnen gehörten zu den über 800 Häftlingen, die in der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 im Hof des Zuchthauses wenige Stunden vor der Befreiung durch die Rote Armee von einem SS-Kommando erschossen wurden. Opfer dieses größten Massakers in der Endphase des NS-Regimes waren Gefangene aus allen von der Wehrmacht besetzten europäischen Ländern. Besonders groß war der Anteil der Opfer aus Frankreich und Luxemburg. In diesen Ländern ist der Jahrestag des Massakers ein Gedenktag. In Deutschland hingegen ist das KZ Sonnenburg fast vergessen.

Obwohl das Massaker in Sonnenburg bereits durch die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse bekannt geworden war, wurde niemand dafür verurteilt. Zahlreiche Folterer aus Sonnenburg, wie Emil Krause oder Wladislaus Tomschek, setzten in der Bundesrepublik ihre Arbeit als Wachpersonal in Haftanstalten bis zu ihrer Verrentung fort. Die für das Massaker verantwortlichen Gestapo-Männer Heinz Richter und Wilhelm Nickel wurden 1970 vom Kieler Landgericht freigesprochen.
Das Gedenken an die Opfer haben hingegen Gruppen und Einzelpersonen aus der Region des seit 1945 zu Polen gehörenden Słońsk aufrechterhalten. So wurde 1974 auf Initiative des polnischen Staatsanwalts Przemysław Mnichowski, des Leiters der lokalen Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen und an der Bevölkerung in der Region Słońsk, ein Museum errichtet. Auch das jährliche Gedenken an das Massaker wird von der Gemeinde Slońsk organisiert und getragen. Seit einigen Jahren beteiligen sich auch Mitglieder der Berliner Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) daran. »Aus den dort geführten Gesprächen ist die Idee zu einer gemeinsamen Tagung in Słońsk entstanden«, sagt Kamil Majchr­zak der Jungle World. Der Publizist ist Mitbegründer des Arbeitskreises zur Geschichte des Konzentrationslagers und des Zuchthauses Sonnenburg bei der Berliner VVN-BdA. Bei der Tagung, die am 13. September stattfinden soll, werden Angehörige der Opfer des Massakers aus verschiedenen europäischen Ländern über das Erinnern und Gedenken nach 1945 sprechen.
Damit setzt die VVN-BdA die 2012 begonnene Kooperation mit polnischen Zeitzeugen und Widerstandskämpfern fort, durch die einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, dass fast 200 000 polnische NS-Gegner 1945 an der Schlacht um Berlin teilnahmen. Einige der noch lebenden polnischen Befreier und ihre Angehörigen hatte die VVN-BdA im Mai vorigen Jahres nach Berlin eingeladen. Am diesjährigen Tag der ­Erinnerung in Berlin wird am 8. September mit Philip Bialowitz einer der letzten Überlebenden des Vernichtungslagers Sobibór aus Polen anreisen.

Die späte Würdigung des polnischen Widerstands zumindest in linken Kreisen ist umso bedeutender, weil nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen ehemalige NS-Widerstandskämpfer von Rechten unter Druck gesetzt werden. So verzichtete der polnisch-britische Soziologie Zygmunt Bauman nach antisemitischen und antikommunistischen Angriffen auf die Ehrendoktorwürde der Universität Breslau. »Wir sind Polen! Auf Wiedersehen, Kommunist! Wen hat der Bürgermeister eingeladen?« riefen die Störer, als Baumann in der Geburtsstadt von Ferdinand Lassalle eine Rede anlässlich des 150jährigen Jubiläums der Sozialdemokratie halten wollte. Im Deutschlandfunk setzte der nationalkonservative Publizist Łukasz Warzecha die Angriffe auf Bauman fort. Nicht die rechten Störer, sondern die Rede des jüdischen Antifaschisten erklärte er zum Skandal: »Für mich ist das dasselbe, wie wenn man einen ehemaligen SS-Mann einladen würde, der offen redet darüber, dass er in der SS war, sich dafür aber nicht entschuldigt, und er auch noch gefeiert wird.«