Der israelische Film »The Congress«

Digital ist schlechter

Irrer Trip und Diskussion über die Zukunft des Kinos: In »The Congress« holt der israelische Regisseur Ari Folman zum Rundumschlag aus.

Fünf Jahre ist es nun her, dass Ari Folman mit »Waltz with Bashir« internationale Wertschätzung erlangte. Der beklemmende Zeichentrickfilm, in dem der israelischen Regisseur seine Erlebnisse als Soldat im Liba­non-Krieg 1982 verarbeitete, brachte Folman den israelischen Filmpreis, einen Golden Globe sowie eine Oscar-Nominierung in der Kategorie »Bester ausländischer Film« ein. Genießen konnte er den Rummel um seine Person jedoch nicht. »Die Promotion-Tour war eine Qual«, sagt der 50jährige Folman rückblickend. »Zehn Monate, 800 Interviews – und weil es ein so persönlicher Film ist, ging es immer nur um mich. Von morgens bis abends habe ich nur über meine Kindheit und den Krieg gesprochen und in den Interviews auch nichts dazulernen können. Das war unglaublich anstrengend. Mit meinem nächsten Film wollte ich deshalb so weit wie möglich weg von mir und dem Thema Naher Osten.«
Das Ergebnis trägt den Titel »The Congress« und ist so eine Art Science-Fiction-Film. Zu Beginn befinden wir uns in der Gegenwart: Die Schauspielerin Robin Wright – verkörpert durch die Schauspielerin Robin Wright – muss sich von ihrem Agenten eine Gardinenpredigt anhören. Ihr Leben lang habe sie die falschen Entscheidungen getroffen und sich dadurch die Karriere versaut. Statt ein wohlhabender Weltstar zu sein, lebt Wright mit ihrer Tochter und ihrem kranken Sohn in einem umgebauten Hangar eines Flughafengeländes. Ihr Agent, großartig gespielt von Harvey Keitel, fleht sie an, ihn zu einem Termin mit dem Geschäftsführer eines Filmstudios zu begleiten. Er wisse zwar nicht, was sie dort erwarte, aber Robin bekomme womöglich ein letztes großes Angebot. Der Chef entpuppt sich als schmieriger Zyniker, der den beiden eröffnet, dass er Robin Wright scannen, ein digitales Abbild von ihr erschaffen und es für alle erdenklichen Filme nutzen wolle. Einige ihrer Kollegen hätten sich bereits scannen lassen, die Vorteile seien offensichtlich: keine kranken Schauspieler mehr, keine geplatzten Drehtage und keine Befindlichkeiten. Nach einigem Zögern stimmt Robin einem Vertrag mit 20jähriger Laufzeit zu, der ihr jedes Mitspracherecht bei der Auswahl der Filme, die mit ihrem Ebenbild produziert werden, vorenthält und ihr verbietet, selbst vor die Kamera zu treten. Als Gegenleistung erhält Robin viel Geld sowie das Versprechen, in allen Filmen wie eine Mittdreißigerin auszusehen.
Folmans Drehbuch basiert lose auf »Der futurologische Kongress«, einem Roman von Stanislaw Lem, was zunächst wenig augenfällig ist. »The Congress« bietet in der ersten Filmhälfte eine gelungene Satire auf die Filmbranche, die wirkungsvoll die Frage nach der Zukunft des Kinos aufwirft. »Ich hatte den Eindruck, dass endlich mal jemand das Thema Digitalisierung auf den Tisch bringen müsste«, sagt Folman. »Es gibt diese Scan-Technik bereits und wir sollten uns fragen: Wie finden wir es eigentlich, wenn Schauspieler eines Tages komplett durch Computerfiguren ersetzt werden? Verliert das Kino dadurch nicht seine Faszination? Vielleicht stamme ich aus der Steinzeit, aber ich glaube, dass nur mit echten Schauspielern und dem klassischen Filmhandwerk etwas Magisches entstehen kann.«
Dass 3D-Computeranimationen wie »Avatar – Aufbruch nach Pandora« ein ziemlich großes Publikum erreichen, ist ihm natürlich nicht entgangen: »Wenn die Menschen so etwas sehen wollen, kann man das nicht ignorieren. Ich bin für einen pluralistischen Weg: Macht gerne weiter solche Filme, aber sorgt dafür, dass auch die altmodischen Produktionen ihren Platz finden.« Eine interessante Diskussion, die Folman in der zweiten Hälfte von »The Congress« leider komplett aus den Augen verliert. Denn unmittelbar nachdem sich Wright scannen lässt, springt der Film 20 Jahre in die Zukunft, um dann auch Motive aus Lems Roman zu verarbeiten. Es wird wild und konfus. Robin Wright, deren digitale Ausgabe immer noch ein schöner Superstar ist, der mit Trash-Filmen die Massen begeistert, reist zum futurologischen Kongress nach Abrahama, eine Art ultramoderner Vergnügungspark, der von ihrem Filmstudio betrieben wird. Statt Drehbuchautoren und Regisseuren arbeiten jetzt vor allem Chemiker und Pharmazeutiker für den Konzern. Am Eingang muss Wright an einer Ampulle schnüffeln und verwandelt sich in eine animierte Figur – Abrahama ist eine gänzlich animierte Zone, »The Congress« fortan ein komplett animierter Film. Stilistisch irgendwo zwischen den Figuren der Fleischer Studios – dazu zählen unter anderem Popeye und Betty Boop – und dem Beatles-Film »Yellow Submarine« angesiedelt, wurden alle Animationen mit der Hand gezeichnet. Etwas seltsam, dass Folman als Fürsprecher von Schauspielern aus Fleisch und Blut auch in diesem Film so stark auf Trick setzt. »Ich bin süchtig nach Animationen«, sagt er. »Sie erlauben mir vollständige Freiheit.« Die Freude daran merkt man dem Film an, die visuellen Eindrücke sind teilweise überwältigend.
In Abrahama ist es möglich, durch die Einnahme von Chemikalien alle möglichen Stimmungszustände zu erleben und sich in Phantasiegestalten und andere Menschen zu verwandeln. Vor allem Prominente stehen hoch im Kurs. Folman wirft die Zuschauer unvermittelt in diese seltsame Welt und verzichtet leider auf notwendige Erklärungen. Immer neue, manchmal überhaupt nicht mehr nachvollziehbare Handlungsstränge werden eröffnet. Unter anderem wird ein Anschlag verübt, eine Rebellenarmee (zu der auch Robins Wrights Tochter gehört) greift an, Robin trifft auf den Mann, der als Animateur für die Film-Robin zuständig war und sich in sie verliebt hat. Und damit nicht genug: Nachdem sie eine Überdosis Chemikalien abbekommen hat, wird Robin für 70 Jahre eingefroren und erwacht in einer Welt, in der fast alle Menschen der Realität durch einen Dauertrip entfliehen und in Traumwelten leben. Robin macht sich auf die Suche nach ihrem Sohn (der irgendwann wohl verschwunden sein muss – es lässt sich nur mutmaßen) und nimmt schließlich ein Gegenmittel, um die Welt zu sehen, wie sie wirklich ist. Puh! »The Congress« lässt wenig aus: Identität, freier Wille, Ageism, Kontrolle, Liebe, Zukunft des Kinos, Technik, Eskapismus, Familie und Krankheit sind nur einige der Themen, die Folman anreißt, wobei er sich dabei gewaltig verhebt.Trotzdem oder gerade deshalb fällt es schwer, den Film nicht wenigstens ein bisschen zu mögen. Die Kühnheit, mit der Folman den großen Rundumschlag wagt und dabei scheitert, ist sehr sympathisch.

The Congress (2013). Regie und Buch: Ari Folman. ­Filmstart: 12. September