Die Aktion »Plagiatfreies Deutschland«

Arm, aber redlich

Die Suche nach akademischen Plagiaten nimmt absurde Formen an. Dabei ist der Universitätsbetrieb längst so geistlos ordentlich, wie die Schützer des korrekten Zitats ihn sich wünschen.

Uwe Kamenz muss zu jener Spezies von Bürgern gehören, wie sie sich im Bund der Steuerzahler, in der »Volksinitiative Transparenz schafft Vertrauen« oder eben auf dem »Blog für wissenschaftliche Redlichkeit« tummeln, um mit pingeligem Stümpertum allen möglichen Leistungsträgern Verschwendung, Ineffizienz und Schluderigkeit nachzuweisen. 2007 hat Kamenz das Buch »Professor Untat« veröffentlicht, um darüber aufzuklären, »was faul ist hinter den Hochschulkulissen«. Die Professoren, so enthüllt er, finanzierten mit Nebenjobs ihre Häuser in der Toskana, ließen ihre Hilfskräfte zu Hungerlöhnen schuften, schusterten ihre Bücher aus Aufsatzfragmenten zusammen und seien in der Mehrheit dumm und nutzlos. Das Buch hatte den absehbaren Erfolg bei einer Leserschaft, die jeden Mitmenschen, dem noch nicht ganz der Geist ausgegangen ist, für arrogant, jeden, der mehr als drei Bücher im Jahr liest, für verschwurbelt und jeden Lehrer für einen Oberlehrer hält.
Durch den Erfolg ermutigt, rief Kamenz, der an der FH Dortmund Betriebswirtschaft lehrt und »ProfNet«, ein Institut für Internet-Marketing, leitet, die Aktion »Plagiatfreies Deutschland« ins Leben, mit der er für eine von ihm entwickelte Software zur Plagiatsaufdeckung warb, die Studenten unentgeltlich nutzen sollten, um ihre Abschlussarbeiten auf deren »Gesamtplagiatswahrscheinlichkeit« zu überprüfen. Die Kosten von bis zu 1 500 Euro pro Arbeit sollten von Sponsoren getragen werden. Da die meisten Examenskandidaten sich offenbar selbst erinnern konnten, ob sie abgeschrieben hatten oder nicht, floppte das Projekt, und Kamenz machte sich, um seine Software zu popularisieren, an die Überprüfung der 1992 erschienenen Dissertation von Frank-Walter Steinmeier über Obdachlosigkeit in Deutschland. Ergebnis: 63 Prozent »Gesamtplagiatswahrscheinlichkeit«.
Von der Petitesse abgesehen, dass Plagiate nachgewiesen werden müssen, also dem Bereich der Tatsachen und nicht der Wahrscheinlichkeit angehören, hat sich Kamenz mit seinem Steinmeier-Check auch ganz pragmatisch blamiert. So hat der Politologe Stephan Leibfried in der FAZ nachgewiesen, dass Kamenz’ Software sowohl die Wiederverwendung eigener Texte als Plagiat veranschlagt, also Plagiat und Eigenverwertung verwechselt, wie auch korrekte Quellennachweise, die sich in anderen Büchern in gleicher Form finden, als Plagiate zählt. In Internet-Foren wie Vroniplag wird nun diskutiert, ob das Denunziantentum, wie im Fall Kamenz, zwecks ökonomischen Profits oder eher, wie in Deutschland Tradition, ehrenamtlich ausgeübt werden sollte. Klar ist aber jetzt schon, dass ehrenamtliche und gewerbliche Plagiatsjäger sich in ihrem Ziel einig sind: Der Nachweis politisch oder juristisch relevanter Regelverstöße ist Nebensache, tatsächlich geht es darum, jedem ob seiner Prominenz grundlos Beneideten das geistige Eigentum an seiner Arbeit streitig zu machen. Dabei ist die Mühe, den Universitätsbetrieb als Abschreibbüro zu entlarven, vergebens. Die meisten, die dort arbeiten, zitieren längst genauso überraschungslos korrekt und denken ebenso redlich, also arm im Geiste, wie die Betriebswirtschaftler der Republik es sich nur wünschen können.