Proteste gegen Abschiebungen in Frankreich

Ausflug ohne Ende

In Frankreich hat die Abschiebung zweier Schüler große Proteste hervorgerufen. An der Abschiebepraxis ändert die Kritik jedoch kaum etwas.

Die Kunst, es allen recht machen zu wollen und es dabei niemandem recht zu machen, beherrscht Frankreichs Präsident François Hollande meisterhaft, wie sein Fernsehauftritt vom Samstag wieder einmal zeigte. An den zwei Tagen zuvor hatten in Paris Tausende Oberschülerinnen und Oberschüler gegen die Abschiebung zweier Gleichaltriger in den Kosovo bzw. nach Armenien protestiert. Auf der Place de la Nation demonstrierten sie am Freitag voriger Woche zusammen mit linken Aktivisten, Gewerkschaftern mit CGT- Fahnen und einigen Politprominenten wie Jean-Luc Mélenchon. Das Polizeiaufgebot war groß.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand die »Affäre Leonarda«, benannt nach der 15jährigen Romni Leonarda Dibrani, die während eines Schulausflugs im französischen Jura von der Polizei festgenommen und dann abgeschoben wurde. Ihr Vater war am 8. Oktober, die übrige Familie Dibrani einen Tag später in den Kosovo ausgeflogen worden. Die Meinung der französische Öffentlichkeit bezüglich der Abschiebung ist gespalten. Ähnlich wie beim Fall des 19jährigen Khatchik Kachatyran, eines armenischen Berufsschülers aus Paris, der drei Tage nach Leonarda Dibrani abgeschoben wurde. Khatchik war zusammen mit einer Gruppe von Jugendlichen festgenommen worden. Sie sollen in einem Einkaufsviertel in Paris versucht haben, ein Paar Schuhe zu klauen. Der Vorwurf wurde nicht weiter juristisch untersucht, sondern Khatchik binnen weniger Stunden ins Flugzeug gesetzt. Dem als guter Schüler geltenden jungen Mann droht nun, in Armenien als »Deserteur« verfolgt zu werden, weil er sich nicht bei der armenischen Botschaft in Paris registriert hatte, nachdem er mit seiner Familie vor zwei Jahren nach Frankreich geflohen war.

Über die Familie von Leonarda Dibrani wurde durch einen Bericht der Verwaltung, der die Überprüfung möglicher Unregelmäßigkeiten bei der Abschiebung zum Gegenstand hatte, eher Negatives in der Öffentlichkeit verbreitet. Ihrem Vater wird häusliche Gewalt zur Last gelegt – die Tochter sagte, sie habe einmal Prügel bezogen, als sie zum ersten Mal um vier Uhr früh nach Hause kam –, und die Verwaltung behauptet, er habe Jobangebote ausgeschlagen und »offen erklärt, er warte auf das Kassieren von Kindergeld, sobald er Aufenthaltspapiere habe«. Dies mag stimmen oder nicht, wahrscheinlich ist der Bericht einseitig zugespitzt. Er diente dazu, die Abschiebung als legitim darzustellen. 65 Prozent der Befragten erklärten in einer Umfrage am Wochenende dann auch, sie seien »gegen die Rückkehr Leonardas nach Frankreich«, 33 Prozent waren dafür. Solche Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen, aber dies dürfte die Merheitsverhältnisse im Land wirklichkeitsgetreu abbilden.

Hollandes »Kompromissvorschlag« lautet nun: Die 15jährige soll allein nach Ostfrankreich zurückkehren, ohne ihre Brüder, Schwestern und Eltern. Ein Vorschlag, der niemanden befriedigt, weder die Humanisten noch die Abschiebebefürworter, während Marine Le Pen wettert: »Leonardas Familie hat selbstverständlich nichts in Frankreich zu suchen.« Ferner ruft Hollandes Vorschlag auch juristische Bedenken hervor, da er im Kern dem Kinder- und Jugendschutz widerspricht. Die Abschiebung der Schülerin zusammen mit ihrer Familie war damit begründet worden, dass eine Ausweisungsverfügung für ihren Vater vorliege und man die Familie nicht auseinanderreißen dürfe – ihre Trennung widerspräche dem Jugendschutz.
Viele Französinnen und Franzosen hatten sich darüber empört, dass Polizeibeamte während eines Schulausflugs eingegriffen hatten. Schulen werden, ebenso wie Kirchen und Universitäten, traditionell als Zonen betrachtet, die vor polizeilichen Zugriffen geschützt werden müssen. Der umstrittene Innenminister Manuel Valls hat daher zugesichert, dass keine Festnahmen von Kindern und Jugendlichen im Schulbereich mehr stattfinden sollen – die mit Abschiebungen beauftragte Polizei wird künftig eben warten, bis die Kinder am Abend nach Hause kommen.