Undine de Rivière im Gespräch über Sexarbeit und den Appell gegen Prostitution der Zeitschrift Emma

»Wir brauchen Rechte«

Die feministische Zeitschrift Emma hat einen »Appell gegen Prostitution« veröffentlicht. Die prominenten Unterzeichnerinnen und Unterzeichner wollen Prostitution abschaffen und Frauenhandel stärker bekämpfen. Nun halten Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter mit einem »Appell für Prosti­tution« dagegen. Sie haben vor kurzem den »Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen« gegründet. Die Jungle World sprach mit Undine de Rivière über die Kritik am Appell von Emma und die Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit. De ­Rivière ist Sprecherin des Verbandes und betreibt ein SM-Studio in Hamburg.

Ihren Berufsverband gibt es jetzt seit rund drei Wochen.
Wir haben den Verband im Oktober gegründet, die Vorbereitungen laufen allerdings schon seit über einem Jahr. Es ist eine Antwort auf den Rollback, der im Moment im Gange zu sein scheint. Wir haben in den Medien immer öfter gehört, dass wir alle Opfer seien, dass man uns retten und unsere Kunden kriminalisieren müsse – dem wollten wir etwas entgegensetzen, bevor man das in Gesetze gießt. Wir haben uns im April zum ersten Mal in einer großen Gruppe getroffen, über 50 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aus allen Unterbranchen, da waren Dominas dabei, Callboys, Straßenprostituierte, Bordellprostituierte, Escorts, Tantramasseurinnen und so weiter. Im Moment werden noch die juristischen Feinheiten ausgearbeitet, danach kann man dann offiziell bei uns Mitglied werden.
Ihren ersten größeren Fall haben Sie jetzt prompt auf dem Tisch, die Zeitschrift Emma hat einen Appell gegen Prostitution veröffentlicht, Ihr Verband einen für Prostitution.
Ja, wir sagen, wer zum Thema Ausbeutung und Menschenhandel nur von Sexarbeit redet, der will kein Problem lösen, sondern der versucht, eigene moralische Befindlichkeiten durchzusetzen. Es gibt in der Sexarbeit, genau wie in anderen Branchen, unterschiedliche Preissegmente, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Vieles von dem, was als Ausbeutung oder Unfreiwilligkeit interpretiert wird, ist einfach dem Wohlstandsgefälle innerhalb der EU geschuldet. Wir wünschen uns natürlich auch gute Arbeitsbedingungen und hohe Einkommen für alle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, aber das ist ganz sicher nicht durch eine Kriminalisierung erreichbar.
Das deutsche Prostitutionsgesetz, das 2002 von Rot-Grün eingeführt wurde, hat die rechtlichen Bestimmungen zur Sexarbeit liberalisiert. Im Emma-Appell heißt es, damit sei Deutschland zu »Europas Drehscheibe für Frauenhandel« geworden.
Das Prostitutionsgesetz war auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung und die Lageberichte des Bundeskriminalamtes zeigen auch, dass Menschenhandel eben nicht zugenommen hat. Die Erweiterung der EU ist schlicht zufällig in diesen Zeitraum gefallen. Natürlich haben wir im Moment recht viel Arbeitsmigration aus Rumänien und Bulgarien. Wir hatten aber auch schon immer Migrationswellen in der Sexarbeit, aus Afrika, Südamerika und Asien. Es ist jetzt nur so, dass man die Rumäninnen und Bulgarinnen nicht einfach abschieben kann, weil sie nämlich legal hier arbeiten und das ist auch gut so.
Leiden nicht gerade diese Frauen unter schlechten Arbeitsbedingungen?
Es ist tatsächlich so, dass hier Leute Arbeitsbedingungen akzeptieren, die für andere nicht akzeptabel sind – weil sie auf diese Weise immer noch genug Geld nach Hause schicken können, mehr als sie dort verdienen könnten. Aber das gibt es auch auf dem Bau, in der Gastronomie, in der Landwirtschaft, in der Pflege und überall.
Müsste man Sexarbeit stärker überwachen, um das zu ändern? Etwa mit einem schärferen Strafrecht oder durch mehr Kontrollen?
Die Ausbeutung von Sexarbeiterinnen ist ja bereits verboten. Menschenhandel ist verboten, Vergewaltigung ist verboten, Freiheitsberaubung ist verboten. Und kein Gewerbe ist so gut überwacht wie Prostitutionsbetriebe. Da zusätzlich zur Polizei noch die Gewerbeaufsicht hinzuschicken, nützt niemandem etwas. Und die Probleme sind nicht unbedingt gewerberechtliche, dass es nicht genug Toiletten gibt oder kein Fenster im Aufenthaltsraum, das gibt es natürlich auch, aber problematisch sind ganz andere Sachen.
Welche?
Es ist zum Beispiel so, dass wegen der Internalisierung des sozialen Stigmas viele Frauen so ­einen Job nur vorübergehend machen wollen – und ihn dann jahrelang »nur vorübergehend« machen. Sie machen keine langfristigen Pläne und eigenen Investitionen, sondern bleiben abhängig von den hohen Mieten der Bordellbetreiber. Das heißt, was wir brauchen, ist vor allem Professionalisierung, Weiterbildung, Empowerment, der Abbau des sozialen Stigmas und mehr Rechte für Sexarbeiterinnen. Die Beratungsstellen müssten etwa nicht nur Ausstiegsberatung anbieten, was natürlich sehr wichtig ist, sondern ebenso eine Einstiegsberatung. Damit die Menschen vorher wissen, worauf sie sich einlassen in der Sexarbeit.
Sie haben Ihr eigenes Studio, da sind die Arbeitsbedingungen anders als im Laufhaus. Sprechen Sie mit dem Berufsverband denn tatsächlich für die Mehrheit Ihrer Kolleginnen, wenn Sie sagen, Sexarbeit sei freiwillig?
Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass wir für die Mehrheit sprechen, das sagen alle unsere Erfahrungen in der Sexarbeit. Ich selbst bin seit 20 Jahren tätig, ich kenne Hunderte Kolleginnen und definitiv ist die Mehrheit freiwillig tätig. Ich habe neulich gelesen, dass eine Sexarbeiterin unfreiwillig arbeitet, wenn sie das Geld auch nehmen würde, ohne Sex mit ihrem Kunden zu haben. Also, wenn man mal eine Sekretärin fragt, ob sie großzügig ihr Gehalt akzeptieren würde, ohne montagmorgens im Büro aufzutauchen, dann sieht man, wie absurd solche Argumente sind. Selbstverständlich sind nicht alle von uns der Inbegriff der glücklichen Hure, aber auch wir haben das Recht, einfach für unser Geld zu arbeiten. Kapitalismuskritik sollte dann bitte auch da ansetzen, wo sie hingehört, und nicht auf unserem Rücken ausgetragen werden.
Haben Ihre Kolleginnen in großen Bordellen Schwierigkeiten, die Sie nicht haben?
Ich habe kürzlich in einem Laufhaus gearbeitet, was recht verrufen ist, um mir das mal anzuschauen. Die Arbeitsbedingungen aus arbeits- und gewerberechtlicher Sicht waren dort wirklich gut, das heißt, die sanitären Bedingungen, die Sicherheitslösungen. Ein Problem waren aber recht ungesunde Beziehungen zwischen Kunden und Anbieterinnen. Es gab eine gewisse gegenseitige Respektlosigkeit, jeder hat versucht, so viel wie möglich für sich rauszuschlagen. Das kenne ich sonst von meinem Arbeitsalltag kaum. Meine Kunden begegnen mir mit Respekt und ich schätze und mag meine Kunden.
Und was kann der Berufsverband gegen solche Arbeitsbedingungen tun?
Eine Idee, an der wir arbeiten, ist etwas wie ein Gütesiegel für Bordelle mit besonders guten ­Arbeitsbedingungen. Wir wollen, dass die Frauen und Männer in der Sexarbeit die Alternativen kennen und wissen, dass das riesige Laufhaus nicht die einzige Möglichkeit ist zu arbeiten, wenn auch für manche sinnvoll. Es gibt auch Frauen, die arbeiten gerne auf dem Straßenstrich und auch das muss erhalten bleiben. Wir brauchen hier eine große Diversität und Aufklärung, so dass jede und jeder sich eine Arbeitsform aussuchen kann, die gut zu ihm oder ihr passt.
Man könnte sagen, Sexarbeit ist an sich patriarchal, ein Ausdruck des Machtgefälles zwischen Männern und Frauen – das steht auch im Emma-Appell.
Sexarbeit, so wie sie derzeit stattfindet, nämlich in allererster Linie Frauen als Anbieterinnen und Männer als Nachfragende, ist natürlich patriarchal geprägt. Die Antwort darauf ist allerdings nicht eine Abschaffung oder Kriminalisierung der Sexarbeit, sondern auch da Gleichheit der Geschlechter. Frauen als Kundinnen haben in den vergangenen Jahren zugenommen, vor allem bei den Tantramassagen, aber ich sehe auch in meinem SM-Studio mehr Frauen. Auch Frauen, die alleine kommen, nicht nur als Teil eines Paares, um ihrem Mann einen Gefallen zu tun.
Sind in ihrem Verband auch Männer dabei?
Ja klar. Wobei die nochmal ein eigenes Stigma haben, sie arbeiten ja häufig auch für Männer. Aber ich denke, alle diese Wünsche, die wir haben, und diese Forderungen, die wir stellen, kommen Männern und Frauen gleichermaßen zugute.