Die politischen Verhältnisse in den Fankurven

Die Rückkehr der Nazi-Hools?

Aachen, Dortmund, Braunschweig, Essen, Duisburg … Die Liste von Orten mit Auftritten, Angriffen und Drohungen Rechter oder Rechtsradikaler, die sich gegen antirassistische Fußballfangruppen richten, wird immer länger. Doch die politischen Verhältnisse in den Kurven sind komplexer.

Jetzt auch noch Duisburg: Als hätten Verein und Stadt nach dem Abstieg des MSV in die dritte Liga keine anderen Probleme, kam es beim Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken am 19. Oktober auch noch zu einem Angriff der rechten »Division Duisburg« auf die Ultras der Duisburger »Kohorte«. Augenzeugen berichten von brutalen Jagdszenen, auch Nazi-Kader aus dem Umfeld des verbotenen Nationalen Widerstands Dortmund sollen unter den Angreifern gewesen sein. Auslöser des Übergriffs war ein Plakat zur Solidarisierung mit den linken, antirassistischen Ultras Braunschweig, die der Verein kürzlich aus dem Stadion geworfen hatte – nachdem diese ebenfalls gewalttätig attackiert worden waren.
Gegen rassistische und diskriminierende Parolen oder die Anwesenheit von Neonazis und rechtsgerichteten Hooligans wird häufig nicht eingeschritten, und das schlicht aus Angst – auch an anderen Orten als den genannten. Denn das Gewaltmonopol in der Kurve liegt häufig weder beim Staat noch bei den Ultras, sondern bei den Hooligangruppen der achtziger Jahre, von denen einige gute Verbindungen mit der organisierten Neonaziszene haben. Die Dortmunder »Borussenfront«, Essens »Alte Garde«, die »Division Duisburg« und die »Alten Kameraden« in Braunschweig melden sich derzeit nur scheinbar zurück, in Wirklichkeit waren sie nie richtig weg.
Es hat eine Vielzahl von Gründen (Familie, Arbeit, Stadionverbote, Umzüge oder schlicht eine veränderte Freizeitgestaltung), dass die Fancliquen mit zunehmendem Alter der Mitglieder zerfallen und diese nicht mehr regelmäßig im Stadion anzutreffen sind. Ihre Legende aber bleibt bestehen und zu gewissen Spielen, Jubi­läen oder Anlässen lassen sich auch mehr Personen mobilisieren. Das reicht, um für Nachwuchs zu sorgen und zumindest immer Stellvertreter in den Kurven, im oder ums Stadion herum zu haben, die dieser oder jener Gruppe und Aktion ihr Plazet geben. Ein Vorfall wie der in Duisburg macht diese Prozesse schlagartig auch für Unbeteiligte sichtbar.
Die stärkere Präsenz rechter Gruppen ist allerdings ebenso eine Reaktion auf die Ausdifferenzierung der Fanszenen: Die Ultrakultur hat sich seit ihrer Etablierung in Deutschland verändert und an mehreren Orten gespalten, nicht nur, aber auch aus politischen Gründen. Es gibt Ultras, die sich als unpolitisch verstehen, ohne nach rechts anschlussfähig zu sein, und andere, denen eine solche Abgrenzung nicht gelingt – oder die sie gar nicht erst versuchen. Und es gibt Ultras, die sich klar gegen Diskriminierung, gegen Rassismus aussprechen. Ein Soli-Banner für eine gleichgesinnte Gruppe im Stadion wie in Duisburg, eine Lesung zum Thema Rechtsextremismus wie in Aachen oder eine Filmvorführung zum Rechtsrock-Milieu wie in Essen: Was als selbstverständliches Bekenntnis zu demokratischen Werten, Toleranz und Gleichberechtigung erscheint, kann der entscheidende Anlass sein, der zu Konflikten führt.
Problematisch sind selbstverständlich weder Banner noch Lesung oder Filmvorführung. Problematisch ist, dass diese als Störung betrachtet werden und nicht das bestehende Kräfteverhältnis als gestört. Noch häufiger als im Stadion werden die vielerorts schwelenden Konflikte außerhalb desselben ausgetragen: Auf der Straße und sogar bei überfallartigen sogenannten »Besuchen« in der Schule, am Arbeitsplatz oder bei Privatwohnungen. Szeneinterne Ehrenkodizes wie die systematische Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit mit der Polizei erleichtern den Gewalttätern dabei ihr Handeln. Anzeigen bleiben aus, auch aus Angst, dass die Gegenseite dadurch an die Adresse des Betreffenden gelangen könnte. In Aachen, wo die linken »Aachen Ultras« schließlich aufgaben, weil sie der Gewalt der »Karlsbande« und anderer Aachener Hooligangruppen wie »Westwall« nichts entgegensetzen konnten, war die Angst der Beteiligten zum Teil so groß, dass sie die Stadt verließen.
Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Fans im eigenen Stadion, rassistische und antisemitische Parolen, rechtsextreme Symbolik und die Nähe zu Neonazi-Organisationen sind imageschädigende Vorfälle. In den vergangenen zwei Jahren haben die betroffenen Vereine darauf in aller Regel mit einem identischen Abwehrverhalten reagiert: Der Konflikt innerhalb der Fanszene wird entpolitisiert, angegriffene Gruppen werden nicht in Schutz genommen und das gemeinsame Bekenntnis zum Verein wird über alle (unausgesprochenen) politischen Differenzen gestellt. Beispielhaft dafür ist die Erklärung des MSV Duisburg zu den jüngsten Vorfällen, in der es heißt: »Sowohl die Intensität der Ausschreitungen als auch die Hintergründe werden sehr unterschiedlich dargestellt. Eine politische Motivation scheint in diesem Fall nicht vorrangig vorzuliegen.« Mit anderen Worten: Es gibt zwar unterschiedliche Darstellungen, aber wir haben bereits entschieden, welcher wir glauben, nämlich der unpolitischen.
Dieser Betrachtungsweise folgen auch viele Fans: Politik habe beim Fußball nichts suchen, weder von links noch von rechts, heißt es gern. Die Vorstellung von politischen Extremen, die sich gleichmäßig um eine breite, neutrale Mitte gruppieren, hat gerade beim Fußball eine lange Tradition – und ist trotzdem falsch. Denn so erscheint das sichtbare Handeln antirassistischer Fans, die im Prinzip nichts als eine Durchsetzung geltender Antidiskriminierungsgesetze fordern, bereits als Linksextremismus. Dieser ist »schuld« an Konflikten, stört den Kurvenfrieden oder beschmutzt gar den eigenen Verein. Für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung sorgen dann die Rechten – mit Einschüchterung und Gewalt.
Hier könnten die Ereignisse in Aachen, Braunschweig und möglicherweise auch Duisburg eine unglückliche Vorbildfunktion haben: Es sind die antirassistischen Ultras, die in den Augen des Vereins und eines großen Teils der übrigen Fans als die Störenfriede dastehen. Es sind die antirassistischen Ultras, die das Stadion verlassen haben – in Aachen aus Angst oder Resignation, in Braunschweig aufgrund des Gruppenverbots durch den Verein. Damit wird den Schlägern signalisiert: Gewalt lohnt sich, man kommt damit durch. Eine fatale Botschaft, deren Wirkung kaum zu überschätzen ist und die von den betroffenen Vereinen und ihren Fankurven dennoch nicht wahrgenommen wird.