Theresa Kalmer im Gespräch darüber, wofür man die Grünen noch braucht

»Die Neuausrichtung ist ein Prozess«

Von Ivo Bozic

Theresa Kalmer (22) ist seit 2007 Mitglied der Grünen. Sie studiert Philosophie und Politikwissenschaften in Halle und ist seit zwei Wochen Bundessprecherin der Grünen Jugend.

Seit der Bundestagswahl suhlen sich die Grünen in Selbstmitleid. Dabei waren 8,4 Prozent ein für grüne Verhältnisse doch recht durchschnittliches Ergebnis. Wie erklären Sie die ungewöhnlich harten Reaktionen darauf?
In den Umfragen in den Monaten davor waren die Grünen um einiges besser, teilweise bei 15 Prozent. Da hat man schon mit einem ähnlichen Ergebnis bei der Bundestagswahl gerechnet. Wir hatten ein Wahlprogramm beschlossen, das wirklich etwas zu bieten hatte, aber wir haben es nicht geschafft, diese Inhalte zu kommunizieren.
Es war also eine Enttäuschung über den ganzen Wahlkampf?
Das Wahlergebnis war natürlich auch ein Ergebnis des Wahlkampfs, der es nicht geschafft hat, zen­trale Inhalte rüberzubringen, obwohl sich so viele Parteimitglieder draußen auf der Straße extrem engagiert haben.
Wichtige Führungspersonen wie Claudia Roth und Jürgen Trittin sind zurückgetreten. War dieser plötzliche Generationenwechsel überfällig oder schmerzt Sie der Verlust?
Claudia wird der Partei fehlen, weil sie ihr ein sehr klares Profil gegeben hat. Sie hat Inhalte gesetzt und wurde immer mit den Grünen in Verbindung gebracht. Sie wäre auf jeden Fall noch mal als Parteivorsitzende gewählt worden, hätte sie sich aufstellen lassen. Aber es war allen klar, nach so einem Wahldebakel war es Zeit, neuen Menschen eine Chance zu geben und die Partei neu auszurichten. Personen wie Simone Peter sind vielleicht noch recht unbekannt, haben aber Potential, der Partei ein neues Gesicht zu geben.
Der Parteitag hat als Richtung ausgegeben: nicht links, nicht rechts. War die Festlegung auf die SPD im Wahlkampf ein Fehler?
Ja. Es gibt eine linke, rot-rot-grüne Mehrheit, die man hätte nutzen können, aber das wurde von keiner Seite vorbereitet. Es war ein Fehler, sich von Anfang an darauf festzulegen, dass wir, wenn wir regieren, das dann nur mit der SPD tun. Da­raus muss man lernen und sich auch anderen Optionen öffnen.
Auch der CDU?
Da sind die Positionen einfach zu unterschiedlich. Die CDU will eine stärkere Überwachung, versucht die Energiewende auszubremsen, ist für Braunkohle, will Frauen und Homosexuelle nicht wirklich gleichstellen. Das sind aber alles zentrale grüne Themen, die bei einer Koalition umgesetzt werden müssten. Eine Öffnung zur CDU ist, auch wenn sie von einigen in der Partei als sinnvoll erachtet wird, nicht machbar.
Das bedeutet, Ihnen bleibt, wenn Sie je wieder regieren möchten, nur, die SPD zu überzeugen, sich für Rot-Rot-Grün zu öffnen?
Nein, wir müssen vor allem am eigenen Profil und an der Kommunikationsfähigkeit arbeiten! Wir wollen als Grüne Jugend aber auch mit den Jusos und Solid zusammenarbeiten, um Druck auszuüben, dass SPD und Linkspartei miteinander reden.
Da sind also nur SPD und Linkspartei gefragt?
Es geht darum, eine rot-rot-grüne Mehrheit vorzubereiten. Deswegen sind alle Parteien gleich gefragt. Dennoch müssen sich die Parteien erst einmal gesprächsbereit erklären und da liegt die Verantwortung vor allem bei SPD und Linkspartei.
Sie sprachen von Neuausrichtung der Grünen, aber genau davor scheint man sich zu drücken. Oder hat sich der konservative Flügel längst still und heimlich durchgesetzt?
Ich glaube nicht, dass sich die Realos durchgesetzt haben. Die Neuausrichtung ist ein Prozess, der gerade erst angefangen hat. Erstmal mussten wir das Wahlergebnis auswerten. Und jetzt ist es die Aufgabe der gesamten Partei, Wege zu finden, zentrale grüne Inhalte für die Zukunft zu setzen.
Wenn allein Grüne und Linkspartei die Opposition im Bundestag bilden, müssen die sich dann nicht eher besonders stark gegeneinander abgrenzen?
Wenn sich Linkspartei und Grüne nur zoffen, hat man gar keine Opposition mehr im Bundestag. Da wird man eher strategisch öfter zusammenarbeiten müssen, um mit einer Stimme zu sprechen, um Druck machen zu können.
Wofür braucht man die Grünen? Sozialpolitisch gibt es Alternativen und den Atomausstieg hat die CDU durchgesetzt. Darum hatte man ja wohl auch im Wahlkampf den Eindruck, die Grünen wissen es selbst nicht mehr, und kommen aus Verlegenheit mit Schnapsideen wie dem Veggieday um die Ecke.
Es gibt viele Themen, für die die Grünen stehen und die sich in gewisser Weise um den Freiheitsbegriff drehen. Wenn man sich die Debatte um den Veggieday anschaut, sieht man, dass die FDP Freiheit ganz anders definiert als wir. Freiheit zeichnet sich nicht dadurch aus, dass eine einzelne Person ihre Wurst essen kann, sondern man muss das global betrachten. Wir wollen fragen: Welche Auswirkungen hat unser Lebensstil global? Den Atomausstieg hat die CDU nur umgesetzt, weil die Grünen das Thema all die Jahre gepusht haben. Jetzt müssen wir klare Akzente für den Ausstieg aus der Braunkohle setzen. Ein dritter wich­tiger Punkt für uns ist die Gleichstellung von Frauen und nichtheterosexuellen Menschen.
Welche Forderungen stellt die Grüne Jugend an die Partei?
Wir werden dafür eintreten, dass es auf Bundesebene nicht zu schwarz-grünen Koalitionen kommt, auch in Zukunft nicht, solange die CDU sich nicht politisch stark verändert. Inhaltlich ist unser Fokus gerade die Asylpolitik. Wir wollen Frontex abschaffen. Da wollen wir, mit Blick auf die Europawahl, Druck machen.