Der Umgang der griechischen Regierung mit der Nazi-­Partei

Mörderische Absichten

Die griechische Regierung hat in den vergangenen Monaten ihren Umgang mit der Nazi-Partei Goldene Morgenröte geändert. Plötzlich wird öffentlich über deren kriminellen Charakter geredet, ihre Anführer sitzen nun im Gefängnis. Eine gute Nachricht für die griechische Demokratie ist das noch lange nicht.

Es musste erst ein Grieche von der faschistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) ermordet werden, damit sich die Strafverfolgungsorgane, die Regierung und die Justiz, die den blutigen Attacken der »Sturmtruppen« der Parteiorganisation jahrelang mit Gleichgültigkeit begegneten, zur Reaktion veranlasst sahen.
Nach dem Mord an dem Antifaschisten und Musiker Pavlos Fyssas am 18. September hat der griechische Staat den »kriminellen« Charakter von Chrysi Avgi entdeckt, wie es im Untersuchungsergebnis der Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichts (Areopag) heißt. Seit dem 28. September befinden sich der Parteivorsitzende, Nikos Michalo­liakos, und einige seiner engen Mitarbeiter – darunter die Abgeordneten Christos Pappas und Ioannis Lagos – in Untersuchungshaft. Die Führung der Organisation wird heute schwerer Gewaltverbrechen beschuldigt.
Die scharfe Auseinandersetzung zwischen der Linken und der Rechten im griechischen Parlament ermöglichte zum ersten Mal seit langer Zeit eine parteiübergreifende Vereinbarung über den politischen Umgang mit Chrysi Avgi und die Einstellung ihrer staatlichen Finanzierung. Auch ­einige griechischen Medien, die bis dahin mit der Idee liebäugelten, die Neonazis als Träger eines neuen Lifestyles darzustellen, begannen plötzlich, über den kriminellen Charakter der Organisation zu berichten.
Wie von Zauberhand schienen sich die Verbindungen von Chrysi Avgi mit dem »tiefen Staat«, jene Verbindungen, die ihr bis heute die Straffreiheit sicherten, zu lösen. Sicherlich hat hauptsächlich der Schock über die Ermordung von Pavlos Fyssas hierzu geführt. Der 34jährige Rapper wurde von einem Mitglied der Chrysi Avgi durch einen Messerstich ins Herz getötet. Bis zum Tag dieses Mordes hatte Chrysi Avgi ihre Opfer unter Einwanderern gesucht, unsichtbare, anonyme und hilflose Ziele. Die Empörung der griechischen Bürgerinnen und Bürger und die antifaschistischen Massendemonstrationen zwangen die Regierung, ihre Politik der Duldung gegenüber den Verbrechen der Organisation aufzugeben. Die entscheidende Rolle in dieser Entwicklung spielte jedoch die Entscheidung von Chrysi Avgi, die Gewalt gegen alle, die sie für »Untermenschen« hält, in ganz Griechenland zu verstärken. Eine Woche vor der Ermordung von Fyssas hatte bereits ein anderer Schlägertrupps Mitglieder der Kommunistischen Partei angegriffen, dabei waren zehn Menschen verletzt worden. Einige Tage später, am 15. September, war die Chrysi Avgi mit einem militärisch aufgemachten Kommando im Ort Meligalas auf dem Peloponnes erschienen, wo die örtlichen Rechte eine Erinnerungsfeier zelebrierte. Erinnert wird dort jährlich an eine Schlacht, die nach dem Abzug der Deutschen Wehrmacht zwischen den Kollaborateuren der Deutschen und der dortigen Widerstandsarmee stattfand. Für die griechischen Rechtsextremen gilt dieser Tag als Beispiel für die Brutalität der Linken und ihrer Organisationen. Bei den Feierlichkeiten waren Vertreter rechter Organisationen anwesend, die von den Mitgliedern von Chrysi Avgi, angeführt von deren Abgeordneten, auf das Schändlichste beschimpft wurden. Damit zeigte Chrysi Avgi, dass sie sich nicht nur mit offen mörderischen Absichten gegen die organisierte Linke wendet, sondern auch gegen die Rechte, deren symbolische Anführerschaft sie für sich beansprucht.

Mit solchen Aktionen zeigt Chrysi Avgi ihre wirkliche Strategie, die sehr der »Strategie der Spannung« ähnelt, die die Ultrarechte in Italien in den siebziger Jahren unter der Anleitung der Geheimdienste angewendet hat. Ziel war es damals wie heute, Bedingungen für einen gewalttätigen Konflikt auf der Straße zu schaffen, einen »Bürgerkrieg niedriger Intensität« zu entfachen, um das Eingreifen des »tiefen Staats« herauszufordern: des reduzierten Unterdrückungsapparats, der Armee und der Justiz in Form von Notstandsgesetzen. Es ist der national-völkische Staat, den die Organisation propagiert. Es wundert daher kaum, dass der Angriff der Chrysi Avgi auf die Rechte und die Ultrarechte zu dem Zeitpunkt begann, als die Organisation sich stark genug fühlte, diese Initiative zu ergreifen, weil sie sogar Teile des Staatsapparats kontrollierte.
Am 1. November wurden zwei Mitglieder von Chrysi Avgi vor dem Athener Büro der Organisation ermordet. Die Täter wurden nicht ermittelt, Chrysi Avgi versuchte jedoch, die Morde zu instrumentalisieren und die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, indem sie die Mörder der antifaschistischen Bewegung zuordnete und den Doppelmord an ihren Mitgliedern mit ihrem verbrecherischen Treiben aufrechnete.

Und in der Tat ging, wie die Umfragen zeigen, die Beliebtheit von Chrysi Avgi nur leicht zurück, obwohl ihre kriminelle Tätigkeit nun offenkundig ist. Die Wähler der Partei wussten größtenteils über deren gewalttätiges ungesetzliches Treiben Bescheid. Auch wenn sie die faschistischen Ansichten der Führung der Organisation nicht ganz teilen, so bewundern sie doch die zur Schau gestellte Stärke und Entschlossenheit ihres militärischen Arms. Chrysi Avgi ist nicht aus heiterem Himmel aufgetaucht. Die rassistischen Stereotype, der Ultranationalismus und die Fremdenfeindlichkeit herrschen bei einem bemerkenswerten Anteil der griechischen Gesellschaft vor, wie auch der Wahlerfolg der anderen ultrarechten Partei Laos in der vorhergehenden Wahlperiode (2005 bis 2009) beweist.
Unter dem Druck, dem die Führung von Chrysi Avgi seit den Festnahmen ausgesetzt ist, bemüht sie sich um einen Rückzug, indem sie ihre faschistische Vergangenheit leugnet und die Gewalttaten einzelnen Mitgliedern zuschreibt, die angeblich außerhalb der Organisation wirken. Viele meinen, es vollziehe sich eine Veränderung der Organisation hin zu einer friedlicheren Erscheinungsform, ähnlich den parlamentarischen Konstrukten der europäischen Ultrarechten. Dies ist jedoch ein schwerer Irrtum. Die blutigen abendlichen Patrouillen und die Zurschaustellung der Gewalt mögen sich verringert haben, der Hauptteil von Chrysi Avgi besteht jedoch aus fanatischen Nazis, die nicht die entsprechende Geschmeidigkeit der rechtspopulistischen Parteien in anderen europäischen Ländern besitzen. Und obwohl Michaloliakos im Büro des Untersuchungsrichters den Nationalsozialismus verneint, schrie er beim Verlassen des Gebäudes, in dem er von seinen Getreuen erwartet wurde, »Zito i Niki«, die griechische Übersetzung von »Sieg Heil«. Die zwei toten Mitglieder ehrte die Organisation mit den Runen »Yr«, dem Symbol des Sanitätswesens der SA, und veröffentlichte Fotos von ihnen, auf denen sie Shirts mit dem Spruch der Angeklagten der Nürnberger Prozesse tragen: »Nicht schuldig im Sinne der Anklage.«
Die Regierungskoalition aus Nea Dimokratia und Pasok versucht, die Verhaftungen der Führungskräfte von Crysi Avgi politisch zu nutzen, indem sie diese als Beweis für ihr demokratisches und europäisches Gesicht präsentiert. Gleichzeitig setzt sie jedoch ihre Austeritätspolitik fort, mit dem Ergebnis, dass sie sich immer mehr von den unteren Schichten und der Mittelschicht entfremdet. Mit dieser Politik verhilft die Regierung Chrysi Avgi zu einem unangepassten Image und stellt ihr damit den Freibrief aus, sich den für sie schwierigen Umständen zu entziehen.
Die Regierung verfolgt gegenüber Migranten und Flüchtlingen weiterhin eine harte Politik in Form von Massenverhaftungen und Internierung in den Haftlagern. Diese Politik haben die beiden in Koalition regierenden Parteien schon vor den Wahlen von 2012 vereinbart, mit dem Ziel, Chrysi Avgi das Hauptargument, die angebliche »Gefahr durch Einwanderung«, zu entziehen. Es war derselbe Fehler, den andere konservativen und sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa gemacht haben. Sie haben einen Teil des Programms der Ultrarechten übernommen, in der Annahme, so deren Wähler gewinnen zu können. In Wirklichkeit legitimierten sie mit dieser Politik jedoch die rechte Propaganda und etablierten die rassistischen Parolen im politischen Diskurs.
Andererseits breitet sich zum ersten Mal seit Jahren in ganz Griechenland eine vielseitige und bunte antifaschistische Bewegung aus, die in der jetzigen Entwicklung den Ton angibt. Dank dieser Bewegung können weder die Regierung noch staatliche Institutionen ein Wiedererstarken von Chrysi Avgi zulassen. Doch bis die Ideen, mit denen die Partei einen Teil der griechischen Bevölkerung vergiftet hat, besiegt werden, ist es leider noch ein langer Weg.

Aus dem Griechischen von Dora und Josefine Haubold

Der Autor ist Rechtsextremismusexperte und Journalist der »Zeitung der Redakteure« in Athen.