Der »Protest der Mistgabel« in Italien

Alles Mist

In Italien schwingt eine populistische Protestbewegung ihre Mistgabeln. Derweil ist die Regierungskoalition mit sich selbst beschäftigt.

Nach zwei Jahren anhaltender Rezession herrscht in den norditalienischen Industriemetropolen schlechte Stimmung. Eine von Verarmung betroffene Mittelschicht aus Landwirten, mittelständischen Unternehmern, Kleinhändlern und Scheinselbständigen protestiert gegen bürokratische Vorgaben und steigende Steuerlasten. Ihnen haben sich prekär Beschäftigte, Schüler- und Studentengruppen angeschlossen. Vereint sind sie in ihrem Groll gegen die Regierung, überhaupt gegen alle Politiker: Tutti a casa! Alle sollen abdanken!
Bereits vor einem Jahr entstand auf Sizilien die Bewegung der forconi, die das vormoderne, feudal-bäuerliche Emblem einer dreizackigen Mistgabel auf ihren Fahnen trägt. Aus einer Blockade der Warenausfuhr von der Insel entwickelte sich damals ein landesweiter Streik der Transportunternehmer. Weil der Protest mittlerweile von vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, nennen sich die forconi neuerdings »Volk des 9. Dezember«, in Anspielung auf ihren ersten nationalen Aktionstag. Seither finden im ganzen Land Demonstrationen statt, auf denen Nationalflaggen geschwenkt und gegen den von der Europäischen Union aufgezwungenen Sparhaushalt die nationale Souveränität beschworen wird. Polizisten, die in Turin durch das Abnehmen ihrer Schutzhelme Zustimmung zu den Protesten signalisierten, wurden frenetisch gefeiert. Gab zunächst vor allem die Schriftart auf den Transparenten die Solidarität neofaschistischer Gruppierungen zu erkennen, treten Forza Nuova und Casa Pound mit ihren chauvinistischen und antisemitischen Parolen inzwischen offen hervor.

Für das staatliche Sozialforschungsinstitut Censis entlädt sich in den Protesten der Zorn einer »ermatteten und unglücklichen« italienischen Gesellschaft. Im jüngsten Sozialbericht 2013 heißt es, die wechselnden Regierungen hätten im Namen der Bekämpfung der Krise mit Hilfe der vermeintlichen Rettungsprogramme die Krise weiter verschärft. Zwar habe die Bevölkerung sich angepasst und »überlebt«, aber nur um den Preis zunehmender sozialer Verrohung.
Tatsächlich ist die seit knapp einem Jahr amtierende Große Koalition fast nur noch mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt. Vergangene Woche war Ministerpräsident Enrico Letta einmal mehr gezwungen, die Vertrauensfrage zu stellen. Nachdem Silvio Berlusconi infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerbetrugs im November aus dem Senat ausgeschlossen worden war, spaltete sich die rechte Regierungspartei. Ein Teil trat Berlusconis wiederbelebter Partei Forza Italia (FI) bei und aus der Koalition aus. Die rechten Kabinettsmitglieder um Innenminister Angelino Alfano gründeten dagegen eine neue Mitte-rechts-Partei. Der Nuovo Centro Destra (NCD) garantiert zunächst den Fortbestand der Regierungskoalition.

Das juristisch erzwungene Ende der politischen Karriere Berlusconis offenbart, dass sich der dreifache Ministerpräsident in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht nur persönlich bereichert hat. Seine Regierungen haben zudem Korruption und Klientelwirtschaft befördert, vor allem aber die republikanische Verfassung ausgehöhlt. Italien befindet sich heute nicht nur in einer ökonomischen, sondern auch in einer schweren institutionellen Krise. Anfang Dezember erklärte der Oberste Gerichtshof das bisher geltende Wahlgesetz für verfassungswidrig. Wegen seines manipulativen Charakters stand es seit seiner Verabschiedung vor acht Jahren in der Kritik. Die damalige Regierung Berlusconis hatte durchgesetzt, dass dem relativen Wahlsieger zusätzliche Parlamentssitze zugesprochen werden. Damit entsprach die Sitzverteilung nicht mehr den Stimmanteilen der Parteien. Da das Urteil des Verfassungsgerichts nicht rückwirkend gilt, sind das gegenwärtige Parlament und die von ihm gewählte Regierung zwar legal, aber kaum noch legitimiert. Namhafte Verfassungsrechtler haben deshalb Zweifel angemeldet, ob Lettas Regierungsprogramm, das auch umfassende institutionelle Reformen vorsieht, noch in die Tat umgesetzt werden kann. Die Demokratische Partei des Ministerpräsidenten profitiert derzeit aufgrund eines minimalen Stimmenvorsprungs gegenüber den Rechten und Beppe Grillos Movimento 5 Stelle (M5S) von dem nun für rechtswidrig erklärten Wahlbonus und der daraus resultierenden Sitzverteilung. Die Opposition ist sich einig, dass die Kammern nur noch ein neues Wahlgesetz ausarbeiten und danach umgehend aufgelöst werden sollten. Im Falle vorgezogener Neuwahlen im Frühjahr könnte Berlusconi wegen des gegen ihn verhängten zweijährigen Ämterverbots nicht persönlich kandidieren. Es gibt jedoch keinen politischen Widersacher, der nicht selbst Produkt seines sozialpolitischen Systems wäre. Der Berlusconismus hat die italienische Gesellschaft nachhaltig geprägt.

Grillo verdankt seine Popularität zwar einem vulgären Anti-Berlusconismus, doch Sprache und Gestik des ehemaligen Fernsehkomikers sind seit jeher auf Berlusconis Publikum abgestimmt. Der jüngste »Vaffanculo-Day« war allerdings ein Flop. Der Furor der vergangenen Wochen zeigt, dass ein Teil seiner Wählerschaft sich vom M5S mehr erwartet hat, schon rufen einige Grillo selbst ein »Leck mich!« zu. Umgekehrt dokumentiert Grillos Anbiederung an die forconi und sein offener Brief an die Polizeispitze, in dem er zum Putsch gegen die politischen Dienstherren auffordert, die verschärfte Rivalität um die rechte Meinungshoheit. Auch Berlusconi radikalisiert sich und sucht in der Rolle des außerparlamentarischen Oppositionsführers den Schulterschluss mit der extremen Rechten. In ihrer europafeindlichen Hetze und ihrem Ruf nach einer Rückkehr zur Lira sind die schrillen Propagandatöne von Grillo und Berlusconi ununterscheidbar.
Der aussichtsreichste Kandidat des italienischen Populismus aber heißt Matteo Renzi. Knapp drei Millionen Menschen wählten ihn Anfang Dezember in einer nicht nur für Parteimitglieder offenen Abstimmung mit 68 Prozent zum neuen Vorsitzenden der Demokratischen Partei. Der 38jährige Bürgermeister aus Florenz entstammt dem bürgerlich-katholischen Lager der Linksliberalen, betont aber selbst gerne seine vermeintlich post­ideologische Haltung des »gesunden Menschenverstands«. Unter Beweis gestellt hat er ihn schon früh als Kandidat bei »Glücksrad«, einer der beliebtesten TV-Shows, mit denen der Medienunternehmer Berlusconi in den achtziger Jahren seine spätere Wählerschaft für sich gewann. Mit Renzi geht die Show weiter, er ist der Nachfolger, der Berlusconi in seinen eigenen Reihen fehlt: Er liebt die mediale Inszenierung, bevorzugt plebiszitäre Entscheidungen gegenüber Partei- und Gewerkschaftsdiskussionen und hätte gerne ein präsidiales Regierungssystem. In seinen Reden mischt sich die von Berlusconi etablierte Fußballmetaphorik mit neoliberalen Allgemeinplätzen. Soziale Ungleichheit kennt Renzi nur als Generationenkonflikt: »Jetzt sind wir dran!« Sein Triumph markiert jedoch nicht nur den Sieg der unter 40jährigen, mit der alten Führungsriege der Demokraten wurde vielmehr die sozialdemokratische Linke abgewählt. Da Renzi gleich nach der Wahl seinem Parteirivalen Letta die Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes als oberste Priorität in dessen Regierungsagenda diktierte, deutet sich an, dass er baldige Neuwahlen möchte. Ihm werden die besten Chancen prognostiziert: Renzi ist die personifizierte Große Koalition.
Die italienische Linke ist dagegen vorerst in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken. Vielleicht vermag sie wenigstens als intellektuelle Minderheit der rechtspopulistischen Hegemonie noch etwas entgegenzusetzen.