Migranten aus südeuropäischen Krisenstaaten kommen oft nach Berlin, bleiben aber selten lange

Ein Kommen und Gehen

In der Hoffnung auf Arbeit kommen viele Südeuropäer aus ihren krisengeschüttelten Ländern nach Deutschland. Viele kehren jedoch nach kurzer Zeit zurück.

Pirri* hat die Nase voll. Sie möchte auch keine Ratschläge mehr hören, bei welchen Stellenbörsen sie ihr Glück noch versuchen könnte. Sie will einfach wieder nach Hause. Nach einem Jahr in Berlin hat die Endzwanzigerin den Entschluss gefasst, in die spanische Stadt Toledo zurückzukehren.
In Berlin hatte sie ein Jahr lang versucht, eine Stelle als Lehrerin für Englisch und Spanisch zu finden, blieb aber erfolglos. Sie schlug sich als Babysitterin durch. »Ich kann leben«, sagt sie, »ich bezahle mein Zimmer und meinen Sprachkurs. Aber das ist nicht das, was ich erwartet hatte. Ich habe einfach keine Lust mehr.«

Pirri ist keinesfalls die Einzige, die genervt aufgibt und sich zudem nach Familie und Freunden sehnt. Bereits im Sommer vermeldete die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dass die meisten Zuwanderer aus Südeuropa Deutschland nach kurzer Zeit wieder verlassen hätten. Im Juli schrieb die Zeit, dass von den 78 000 Menschen, die im Verlauf des Jahres 2011 aus den europäischen Krisenstaaten nach Deutschland gekommen seien, die Hälfte das Land schon wieder verlassen hätte.
Die einen kommen, die anderen gehen: Die Deutschklassen der privaten Sprachschulen insbesondere in Berlin sind voll von jungen Leuten aus Spanien, Italien und anderen krisengebeutelten Ländern. Bisweilen lässt sich das Leben hier für manche gut an. Sie passen auf Kinder auf, spülen Teller und Gläser, kellnern oder verkaufen heiße Kastanien auf einem Berliner Weihnachtsmarkt.
Doch so richtig lohnt es sich nur für die andere Seite, die südeuropäische Misere beschert den Sprachinstituten Berlins und anderer bundesdeutscher Städte ein gutes Geschäft. Denn bevor sie sich um eine Stelle bewerben können, müssen die jungen Leute erst einmal in die Kurse investieren. Sie zahlen Miete, sie müssen essen, trinken, sich kleiden. Sie sind billige Arbeitskräfte.
Dass man gut an ihnen verdienen kann, hat sich mittlerweile herumgesprochen: Vor einigen Monaten berichtete Spiegel Online unter dem Titel »Bestellt und nicht abgeholt« von jungen Leuten aus Tunesien, die von einem privaten Vermittler angeworben worden waren, um sich in Hamburg zu Pflegefachkräften ausbilden zu lassen. Die Tunesier sollten einen Eigenanteil von 18 000 Euro beisteuern und dafür Kredite aufnehmen, doch sie wurden misstrauisch, als ihnen klar wurde, dass dieses Geld nur für die ersten sechs Monate der Sprachausbildung gedacht war.
Der ursprünglich interessierte Klinikverband zog sich daraufhin aus der Zusammenarbeit mit dem Vermittler zurück, der im Artikel als »windig« bezeichnet wird. »Mitte September«, heißt es über eine der Betroffenen, »sitzt Selma in einem 17-Quadratmeter-Apartment nahe dem Hamburger Hauptbahnhof; an der Wand ein Merkblatt zum deutschen Konjunktiv, auf dem Schreibtisch eine Kündigungsschutzklage. Sie spricht jetzt Deutsch, nach einem Intensivkurs am Goethe-Institut, aus dem Ausbildungsplatz wurde ebenso wenig wie aus dem versprochenen Verdienst.«

Im Oktober gelangte dann das thüringische Erfurt in die Schlagzeilen, denn dort strandeten etwa 120 junge Spanier und Spanierinnen ohne Geld, und nichts von dem, was eine private Arbeitsvermittlerin aus Deutschland ihnen versprochen hatte, hatte sich bewahrheitet. Stattdessen saßen sie, als Reporter von Zeit Online mit ihnen sprachen, zu elft im Keller einer ehemaligen SED-Parteischule: »Die Betten stehen eng nebeneinander, dazwischen Gepäck, Klamotten, dreckiges Geschirr. Es gibt nur eine Dusche für 30 Leute, seit wenigen Tagen auch eine kleine Küche für alle. Es stinkt nach Toilette, Schweiß und dem Muff der letzten 50 Jahre.«
Es gibt etliche private Vermittler. So verspricht eine Vermittlungsfirma, die zugleich eine Sprachschule sein will und im spanischen Javea ansässig ist, Arbeitssuchenden eine Zukunft in der Pflegebranche in Deutschland. »Promedes« ist die Firma eines Ehepaares aus der nordrhein-westfälischen Stadt Laer. Fragwürdig ist der Umstand, dass »Promedes« auf der firmeneigenen Homepage Interessierten anbietet, ihnen mit freiberuflichen Dozenten und Dozentinnen in kurzer Zeit so gutes Deutsch einzubläuen, dass sie in der Pflege tätig sein könnten. »Unser Ausbildungszentrum bietet die einzigartige Möglichkeit, in drei- bis viermonatigen Deutschintensivkursen ein Sprachniveau zu erreichen, mit dem man in Deutschland als Fachkraft arbeiten kann«, ist auf der Seite zu lesen.
Wie soll das gehen? Eine schriftliche Nachfrage blieb unbeantwortet. Das Ehepaar hat, so ist es auf der Homepage zu lesen, elf Unterrichtseinheiten à 45 Minuten pro Tag angesetzt, fünf Stunden lang sollen die Kursteilnehmer samstags noch aus eigener Initiative lernen – und dann, sofern man die entsprechende Prüfung geschafft habe, sei man sprachlich genügend geschult für die Arbeit mit deutschen Demenzkranken und anderen Pflegebedürftigen.
Die meisten Teilnehmer dürften an diesem Programm scheitern. »Promedes« leistet dem weit verbreiteten Vorurteil Vorschub, dass Deutsch eine leicht zu erlernende Sprache sei. Vor diesem Irrtum und auch vor der Idee, aufs Geratewohl ausgerechnet nach Berlin zu gehen, warnt auch »Berlunes«, das Internetportal für Spanierinnen und Spanier in Deutschland. »Gründe, warum Berlin eine schlechte Wahl ist, um ins Abenteuer zu emigrieren«, werden unter anderem auf den Seiten von »Berlunes«, das sich direkt an die Ausreisewilligen richtet, aufgezählt: »Sie haben nicht genug Geld, um es in Berlin so lange auszuhalten, bis Sie die nötigen sprachlichen Fähigkeiten erworben haben. Ein Zimmer ist teuer, mindestens 300 Euro, und außerdem muss man Kaution bezahlen.«
Dazu kämen, schreibt »Berlunes«, die Kosten für den Sprachkurs, 200 Euro im Monat, die auch Mina* berappt hat. Ein Jahr lang. Seitdem spricht sie tatsächlich ein akzentfreies Deutsch, es ist ihre vierte Fremdsprache mittlerweile. Die gebürtige Iranerin hat lange in Italien gelebt und dort als Architektin brilliert. Dann, als weitere Entwicklungsmöglichkeiten ausblieben, hat sie sich zum Umzug nach Berlin entschlossen. Doch auch nach eineinhalb Jahren ist noch immer keine richtige Stelle in Aussicht und Mina muss aus der Not eine Tugend machen. »Dann werde ich eben in Deutschland promovieren«, sagt sie frustriert.

Der Vermutung, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen sei, das schöne Florenz gegen Berlin zu tauschen, widerspricht sie jedoch. »Mein Freund, der mit mir gekommen ist und auch Architekt ist«, sagt sie, »hat etwas gefunden. Das wäre in Italien nicht möglich gewesen. Und andere, die ich kenne, sind zwar in Berlin gescheitert, weil die Konkurrenz hier so groß ist, haben dann aber in anderen Städten Deutschlands eine Stelle bekommen. Die Lage in Italien ist aussichtslos. Und in Deutschland besteht immerhin noch Hoffnung.« Das Kommen von jungen Leuten aus den südeuropäischen Ländern wird also so schnell nicht abreißen. Das Gehen allerdings auch nicht.

*Namen von der Redaktion geändert