Die Ambivalenz der Cyborgisierung

Gute Cyborgs, schlechte Cyborgs

Cyborg-Technologien sind eine widersprüchliche Angelegenheit. Einerseits können sie zu weitreichender Fremdbestimmung führen und militärisch genutzt werden, andererseits können sie aber auch beispielsweise Menschen mit Behinderung zu mehr Selbstbestimmung verhelfen.

Die Verbindung von Mensch und Maschine ist in der Science-Fiction ein immer wieder neu in­terpretiertes Thema. Im Cyberpunk der achtziger Jahre loggten sich die Hacker über ein Neuro-Interface in den Cyberspace ein. Bekannt geworden sind einem breiten Fernsehpublikum – als negatives Beispiel für technologische Fremdbestimmung – die Borg aus der Serie »Star Trek – Die nächste Generation« im gleichen Jahrzehnt. Doch die neuen Technologien, die langsam, aber unaufhaltsam in die menschlichen Körper und Gehirne eindringen, bringen auch die Utopie eines »neuen Menschen« wieder ins Spiel.

Die technische Ansteuerung des Körpers
Der Begriff »Cyborg« wurde 1960 im Umfeld der US-Weltraumbehörde Nasa geprägt. In der Bundesrepublik Deutschland nahm der Science-Fiction-Autor und Physiker Herbert W. Franke in seinem Aufsatz »Kyborgs auf Weltraumfahrt« aus dem Jahr 1970 den Gedanken auf. Systematisch listete er auf, wie ein solches Mischwesen als Synthese von Kybernetik und Organismus konstruiert sein könnte, um in der lebensfeindlichen Umwelt eines anderen Planeten zu bestehen. Es würde unter anderem über Rezeptoren für Radioaktivität, Infrarot, Radar und Ultraschall verfügen und hätte als ausführende Organe Greifwerkzeuge, Abwehrsysteme und diverse Kommunikationskanäle. Allgemein lässt sich zusammenfassen, dass das Cyborg-Konzept für ein tendenzielles Zusammengehen der biologischen Organisation des Körpers und seiner technischen Kontrolle steht.
Als technisches Projekt ist es jedoch noch kaum realisiert. Die bisher verwendeten Techniken in der Medizin sind therapeutisch zwar erfolgreich, aber recht einfach. Die bekannteste »Cyborg-Technik« ist der Herzschrittmacher. 1957 erfunden, wird er heute hunderttausendfach pro Jahr durch Operationen in Menschenkörper eingesetzt. Ähnliche Stimulationstechniken gibt es auch für das Gehirn im Falle der Parkinson-Krankheit.
Eine Triebkraft dieses Fortschritts ist sicherlich die Alterung der Gesellschaft, die den Bedarf an Hilfstechniken und Prothesen für ältere Menschen erhöht. Eine andere Motivation aber ist in den Interessen des Militärs zu finden. In der Militärtechnologie wird schon länger die Vision des von außen steuerbaren und technisch hochgerüsteten Soldaten verfolgt und schrittweise verwirklicht, ein Soldat, der mehr und mehr zur Kampfmaschine werden soll. Des Weiteren interessiert sich auch die profitträchtige Indus­trie der Schönheitschirurgie für diese Entwicklung – Brustimplantate aus Silikon beispielsweise werden seit 50 Jahren benutzt.
So konkret sich Cyborg-Technologien hier und da im Einzelfall auch zeigen, die Schwierigkeiten sind nicht zu unterschätzen. Eine Verbindung von Gehirn und Computer, wie sie im Cyberpunk beschrieben wurde, erscheint schwer erreichbar, da die bisherigen Neurotechniken zu grobschlächtig sind und das Wissen über die Funktionsweise des Gehirns noch zu gering ist. Zudem werden die meisten Menschen nicht so einfach bereit sein, Technologien in sich eindringen zu lassen. Das heißt, dass Verbesserungen zuerst pharmakologisch und über äußere Gerätschaften angegangen werden, bevor Möglichkeiten der Implantation oder sogar der genetischen Manipulation in Frage kommen. Ohne Not wird sich niemand für eine Prothese entscheiden, wenn man bedenkt, wie groß – auch noch beim gegenwärtigen Stand der Medizin – die Infektionsgefahr ist.
Dennoch gibt es für die Cyborgisierung ein enormes Potential. Hilfsmittel, die heute für Ältere, Kranke und Behinderte entwickelt werden, können auch zur allgemeinen Ausstattung der Menschen gehören. Ein künstliches Auge könnte nicht nur die natürlichen biologischen Eigenschaften übernehmen, sondern neue hinzufügen wie das Infrarot-Sehen. Einen großen Nutzen hätte auch eine Art Monitoring-System für das Innere des Körpers, da wir Menschen kein Sensorium für unsere internen Organe haben – außer dem Nervensystem, das erst dann Schmerzen übermittelt, wenn es unter Umständen schon zu spät ist. Der Genetiker Markus Hengstschläger formulierte als Hypothese für das Jahr 2112: »Jedes Kind wird bei der Geburt nicht nur seine gesamte Genkarte erstellt bekommen, sondern auch eine nanotechnologisch hergestellte Maschine (also von unvorstellbar kleiner Größe) in seinen Körper injiziert bekommen. Diese Maschine wird durch das Blutsystem jedes Menschen (und darüber hinaus in alle seine Organe und Körperteile) praktisch wie ein U-Boot ein Leben lang fahren.« Letzteres erinnert an den Science-Fiction-Film »Die phantastische Reise« von Richard Fleischer aus dem Jahr 1966. Die Vereinigung von Mensch und Maschine wird besonders durch solche Mikrotechniken bewerkstelligt werden, die automatisch und/oder durch Ansteuerung Prozesse in Körper und Gehirn überwachen und korrigieren.

Cyborgs in Beziehung
Eine solche technische Verstärkung des Körpers bleibt eine ambivalente Angelegenheit, wie es sich auch in »Star Trek« zeigt: Auf der einen Seite stehen die Borg als Sinnbild für Fremdbestimmung und Herrschaft, auf der anderen ist beispielsweise der »Visor«, den die Figur Geordie trägt, ein Vorbild für Chip-Implantate bei Blinden. Aber es kommt noch ein Aspekt hinzu: Die Borg sind in ein übergeordnetes Kollektivbewusstsein eingebunden und geben damit der Cyborg-Entwicklung noch eine weitere Dimension.
Fest steht jedenfalls, dass man sich schnell von der Vorstellung verabschieden sollte, dass die Cyborgs der Zukunft klobige Gestalten wie die Borg oder der Techno-Polizist Robocop sein werden – den Hollywood in diesem Jahr übrigens wiederauferstehen lässt. Es wird sich vielmehr so etwas wie ein »Cyborg-System« herausbilden, bei dem eine Vielzahl von getrennten Körpern und Gehirnen miteinander vernetzt werden und so aufeinander Einfluss nehmen können. Der aus­tralische Performance-Künstler Stelarc experimentiert heute schon mit der Fernsteuerung des Körpers, indem er sich selbst mittels einer Muskel-Stimulations-Ausrüstung über das Internet »ansteuern« lässt. Solche Versuche sind der Vorschein einer cyborgartigen »Tele-Existenz«. In einem solchen Verbund stellt sich auch die Frage nach einer kognitiven Verstärkung. Menschen, die über Neuroanschlüsse in Verbindung stehen, haben unter Umständen einen besseren Zugriff auf Wissen und Informationen – mit Vorteilen im ökonomischen Wettbewerb und bei der Sicherung ihrer Interessen.
Solche Überlegungen machen deutlich, dass die Cyborgisierung der Beginn neuer Klassenwidersprüche sein kann. Menschen, die in der Gegenwart über Reichtum verfügen, haben einen besseren Zugang zu medizinischen und anderen Ressourcen. Abzusehen ist, dass sie ihre Privilegien mit Prothesen und ähnlichen Techniken verteidigen und ausbauen können. »Es können Netzwerke entstehen«, meinte der Medientheoretiker Simon Ruf, »die menschliche und nicht menschliche Akteure, organische Körper und technische Apparate zu monströsen, machtvollen Koalitionen verschmelzen.« Doch es ist keineswegs ausgemacht, wie solche Netzwerke ausgerichtet sein werden, in welchem Sinne sie welchen Interessen letztlich nutzen werden.

Der »neue Mensch« als postevolutionärer Fluchtpunkt
Ein Topos, der in der Frühzeit der Sowjetunion für revolutionäre Begeisterung sorgte, war der des »neuen Menschen«. »Das Menschengeschlecht, der erstarrte Homo sapiens«, schrieb Leo Trotzki 1924, »wird erneut radikal umgearbeitet und – unter seinen eigenen Händen – zum Objekt kompliziertester Methoden der künstlichen Auslese und des psychosozialen Trainings werden.« Mithilfe der Cyborg-Technologien könnte eine solche Selbstformung – in der Perspektive einer anderen Gesellschaft – wieder eine neue Brisanz gewinnen. Und nicht nur das. Mit Hilfe der Prothetik und anderer technischer Verstärkungen, die auf die Menschheit aus den oben genannten Gründen unweigerlich zukommen, wird auch eine »post­evolutionäre« Entwicklung in Gang gesetzt. Die Menschen werden nicht nur ihre eigene Geschichte in die Hand nehmen, sondern immer mehr Parameter der körperlichen Existenz selbst bestimmen können. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat.