HIV-positive Fußballprofis

Ausgegrenzt und entlassen

In offiziellen Kampagnen engagieren sich die Fifa und prominente Fußballer für Aids-Kranke – die Schicksale HIV-positiver Profis zeigen jedoch, dass es sich um Lippenbekenntnisse handelt.

Er gehört zu den sich jährlich wiederholenden Ritualen, von denen kaum mehr jemand Notiz nimmt: der Welt-Aids-Tag. Am 1. Dezember war es mal wieder soweit. Neben der roten Schleife ist auch immer die Meldung mit dabei, dass sich prominente Sportler »gegen Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids« engagieren. Im vergangenen Jahr wurden Fußballnationalspieler wie Philipp Lahm und Jérôme Boateng um Unterstützung gebeten, die dann auch gerne ein »Zeichen der Solidarität« setzten.
Anthony Joseph »Lucky« Isibor aus Nigeria hätte man nicht mehr fragen können. Thabang Lebese aus Südafrika auch nicht. Die Profifußballer sind nämlich beide tot, beide an Aids gestorben. Und Job Komol aus Kamerun wäre auch nicht in Frage gekommen, denn berühmt ist er nicht. Komol kickt nämlich nicht mehr in der niederländischen Ehrendivision, bei Vi­tesse Arnheim, sondern in der Amateurliga.
Thabang Lebese, der sogar einmal in der Bafana Bafana, der südafrikanischen Nationalmannschaft, gespielt hatte, starb 2012. Nicht mal seine Familie hatte Lebese über seine Krankheit informiert. Seine Mutter sprach im März 2013 mit einem südafrikanischen Journalisten über die Todesumstände: »Was Thabang tötete, war das Schweigen«, sagte sie. »Wenn er über seine Krankheit gesprochen hätte, er hätte bestimmt eine bessere Behandlung erhalten und würde bestimmt noch leben. HIV ist kein Todesurteil.« Doch Lebeses Schweigen hatte immerhin zur Folge, dass er seine Karriere zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt beenden und noch eine Weile im Jugendfußball arbeiten konnte, ehe er im Alter von 38 Jahren starb.
Für Job Komol bedeutete das Bekanntwerden seiner HIV-Infektion im Jahr 2000 das Ende seiner Karriere. Der heute 32jährige war 1997 für das Jugendteam des niederländischen Clubs Vitesse Arnheim verpflichtet worden. Dort spielte er mit Erfolg, und der Erstligaclub wollte langfristig mit ihm planen. Als Komol dann im Jahr 2000 HIV-positiv getestet wurde, zog der niederländische Verband KNVB prompt seine Profilizenz ein. Umständlich musste Komol nachweisen, dass von ihm keine nennenswerte Ansteckungsgefahr ausgeht; er bekam zwar die Lizenz zurück, auf eine Karriere in den ersten Ligen Europas konnte er jedoch nicht mehr hoffen. 2005 versuchte er ein Comeback beim damaligen Zweitligisten Go Ahead Eagles Deventer, was ähnlich erfolglos verlief wie sein Versuch, sich 2007 in der obersten niederländischen Amateurklasse bei De Bataven durchzusetzen. Nun spielt Komol bei einem kleinen Verein.
Auch Lucky Isibor hatte eine große Karriere vor sich. Im Jahr 2002 heuerte der Nigerianer beim FC Zürich an. Der war stolz, einen international erfahrenen Spieler, der schon für Dynamo Moskau im Uefa-Cup gekickt hatte, präsentieren zu können. Isibor hatte außer in Russland auch schon bei Profivereinen in Slowenien, auf Zypern und in Italien gespielt, brachte also Erfahrung mit.
Nachdem der Dreijahresvertrag in Zürich unterschrieben war, bescheinigten die Ärzte dem damals 25jährigen im obligatorischen Medizincheck eine »ausgezeichnete körperliche Leistungsfähigkeit«. Allerdings stellte sich auch heraus, dass er HIV-positiv war. Der FC Zürich trennte sich umgehend von Isibor, der noch keine Minute für den Verein gespielt hatte. Isibor fand keinen neuen Club mehr. Also verließ er Europa, ging nach Nigeria zurück, wo er ein zurückgezogenes Leben führte. Als ein Onlinedienst 2006 das Gerücht in die Welt setzte, Isibor sei verstorben, amüsierte sich seine Familie über den Unfug aus dem Internet. Freunde und Kollegen, die von der Falschmeldung aufgeschreckt worden waren, suchten den Kontakt und fanden beruhigt heraus, dass es Isibor gut ging und er sich durch Training fit hielt.
Irgendwann, 2012 oder 2013, brach Aids bei ihm aus. »Er bekam plötzlich starken Husten«, erinnert sich seine Witwe, Eunice Isibor. »Wir dachten, es wäre etwas, das wir sicher in den Griff bekommen würden, aber bevor wir wussten, was es wirklich ist, führte es schon zum Tod.« Nach nur kurzer Krankheit starb Lucky Isibor am 24. Juni 2013 in Nigeria. Er wurde 36 Jahre alt.
Unmittelbar nach seiner fristlosen Entlassung beim FC Zürich hatte Isibor Klage gegen den mehrfachen Schweizer Meister eingereicht. Im Frühjahr 2013 hatte das Zürcher Obergericht entschieden, dass die damalige fristlose Kündigung unzulässig war. Erst einige Monate nach seinem Tod, im November 2013, wurde das Urteil rechtskräftig. Seiner Witwe stehen umgerechnet 250 000 Euro zu. Mit elf Jahren Verspätung hat also ein staatliches Gericht einen Arbeitgeber aus dem Profifußball daran erinnert, dass auch im Sport eine Selbstverständlichkeit akzeptiert werden muss: Wer HIV-positiv ist, darf nicht ausgegrenzt, nicht stigmatisiert und nicht entlassen werden, er ist nicht krank, sondern trägt nur die Möglichkeit einer Krankheit in sich. Der damals 25jährige Lucky Isibor hätte seinen Dreijahresvertrag erfüllen können; vielleicht hätte er sich als der druckvolle Stürmer erwiesen, der er zuvor bei Dynamo Moskau gewesen ist. Genau wie dem niederländischen Fußballverband musste dem FC Zürich erst beigebracht werden, um zu verstehen, dass die Rhetorik der prominenten Fußballer zum Welt-Aids-Tag nicht nur die Welt außerhalb des Fußballs betrifft, sondern auch diesen selbst.
Der Weltfußballverband Fifa betreibt seit einigen Jahren mit viel PR-Aufwand eine Kampagne, die sich »Football for Health – Fußball ist gesund« nennt. Dort wird bei jungen Fußballern dafür geworben, sie sollten sich HIV-Tests unterziehen. »Suche dir eine Partnerin oder einen Partner und geht zusammen zum nächstgelegenen HIV-Testzentrum«, heißt es auf der Website. Neckisch wird noch nachgeschoben: »Falls du einen Fußball hast, versuche ihn bis dorthin zu dribbeln!« – ganz so, als gehörte der Test zum Training.
»Fußballspielen ist gesund, hält fit und schützt vor zahlreichen Zivilisationskrankheiten«, heißt es bei der Fifa. Dieser Anspruch ist für die Sportverbände politisch von enormer Bedeutung. Mit der Behauptung, Sport diene der Gesundheit der Bevölkerung, wird die Inanspruchnahme öffentlicher Gelder legitimiert, auch wenn es längst nicht mehr um Schulen, Jugend oder Vereine geht, sondern um Profi­clubs, die sich von der öffentlichen Hand Trainingsanlagen und Stadien bauen lassen. Fußball, so formuliert die Fifa diesen für sie so nützlichen und einträglichen Gedanken, stehe für »einen gesunden Lebenswandel« – völlig unabhängig davon, ob man auf dem Bolzplatz kickt oder sich im Profikader auf die Champions League vorbereitet. In ihrer Berichterstattung über den Fall des Lucky Isibor zitierte die Neue Zürcher Zeitung den medizinischen Leiter der Fifa, Jiri Dvorák: »HIV-positive Fußballer dürfen vom Trainings- und Spielbetrieb nicht ausgeschlossen werden.«
Wie der Profisport allerdings mit Lucky Isibor umgegangen ist, wie er mit Job Komol umgeht und wovor Thabang Lebese vermutlich Angst hatte, stellt nicht nur die »Mit Fußball gegen Aids«-Kampagnen in Frage. Es zeigt sich, dass es so lange fragwürdig ist, Sport als gesundheitsfördernd zu bezeichnen, wie der Sport in solchen Vereinen und Verbänden organisiert ist.