Talmi

Essen ist das neue Wählen

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Was tun Sie gerade? Lesen? Druckfehler zählen? Beides falsch! Ich möchte wetten, Sie tun gerade Gutes. Noch nie war es so tugendhaft, einfach nichts bzw. nichts Besonderes zu tun. »Tu Gutes, während du schläfst« heißt der Slogan für die App »Power-Sleep«, die die Rechenleistung des Smartphones zur Krebsforschung nutzt. Die Warentrenner von Netto behaupten hingegen schon länger: »Einkaufen ist das neue Helfen«. Restlos tragen die Leute ihre gesellschaftlichen Bedürfnisse in die Sphäre des Alltagskonsums – wo man einst Parteien und Köpfe diskutierte, werden heute Brotsorten und Kühlketten zu politischen Standarten. Nun greift der Trend auf des Deutschen Lieblingshobby über, die Israelkritik. Die Ankündigung, Tengelmann beziehe keine Waren mehr aus den besetzten Gebieten, führte im Forum der Tagesschau zu besonders aufgeweckten Analysen: »Als Käufer entscheide ich, welche Produkte ich kaufen möchte. Bisher bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, speziell Produkte aus Siedlungsgebieten zu boykottieren, da ich generell Obst und Gemüse aus Israel wegen deren Wasserpolitik vermeide. Ebenso kaufe ich im Winter keine Erdbeeren oder Äpfel aus Australien.« Ein anderer, der Juden mit Äpfeln vergleicht, befürwortet eine Kennzeichnungspflicht israelischer Produkte ebenso wie für »Tierversuche, Pflanzenschutzmittel, Insektenpestizide« – und ordnet Israel damit so elegant wie zeitlos ins Reich des Ungeziefers, der Giftmischer und Tierschänder ein. So muss man seinen Judenhass gar nicht erst riskant publik machen, sondern kann ihn still und ethisch im Supermarkt leben. Nächtens stellt man iranischen Atomwissenschaftlern Rechenleistung zur Verfügung – läuft doch die App »Vernichte Juden, während du schläfst«. Zumindest im Kopf.