Christliche Fundamentalisten bei der AfD

Der Glaube kann Parteien versetzen

Nach etlichen Auseinandersetzungen haben christlich-fundamentalistische und nationalistische Mitglieder die Hoheit in der »Alternative für Deutschland« übernommen.

Beatrix von Storch ist eine vielbeschäftigte Frau. Sie mischt bei der »Initiative Familienschutz« mit, ist Mitglied in der Gruppe »Bürgerrechte direkte Demokratie« und dem Verein »Zivile Koalition«. Sie engagiert sich gegen Sterbehilfe und unterstützt die Bürgerinitiative »Einer von uns«, die eine Million Unterschriften für den Schutz »jedes menschlichen Embryos« sammeln will.
Die Kraft für soviel Einsatz schöpfe sie aus dem christlichen Glauben, sagte sie kürzlich der evangelikalen Nachrichtenagentur Idea. Er gebe ihr Orientierung in einer Welt, die jeden Wert infrage stelle. Der Glaube an Jesus Christus präge daher ihr Handeln. Er hat Storch vermutlich auch darin bestärkt, als eine Spitzenkandidatin der »Alternative für Deutschland« (AfD) bei den Europawahlen anzutreten – sehr zum Verdruss konservativ-liberaler Mitglieder, die mittlerweile die Partei verlassen haben.

Zu den bekanntesten Personen dieser Gruppe gehörte Dagmar Metzger, ehemalige Pressesprecherin und kooptiertes Mitglied im Bundesvorstand. Sie hatte Anteil am Aufbau der Partei, koordinierte über ihre Medienagentur in München die Presse­arbeit und stellte wichtige Kontakte in die Wirtschaft her – bis sie Anfang März aufgab. Sie wolle sich nun ganz auf die Arbeit in einer Stiftung konzentrieren, die sie selbst gegründet hat. »Mit der Stiftung werden wir uns auf das Kern­thema Euro konzentrieren und Gruppen unterstützen, die Euro-kritisch sind«, heißt es lapidar in der Pressemitteilung, in der sie ihren Abschied verkündete. Sie wünsche ihrer ehemaligen Partei alles Gute.
Metzger vertrat den wirtschaftsliberalen Flügel, der die bisherige Euro-Politik ablehnte, zugleich aber Minderheitenrechte nicht ausschließen wollte. Bereits zuvor hatte Franz Niggemann, der erst im Dezember zum Vorsitzenden des Berliner Bezirksverbands Tempelhof-Schöneberg gewählt worden war, die Partei verlassen. Zumindest in der eigenen Organisation hatte er für Aufregung gesorgt, als er während des Bundestagswahlkampfs auf einem schwul-lesbischen Straßenfest in Berlin Unterschriften gesammelt hatte. Der dortige Einsatz der Berliner AfD habe gezeigt, »dass die Partei ihre Stellung nicht etwa am rechten Rand, sondern weltoffen in der Mitte der Gesellschaft« habe, teilte er damals noch optimistisch mit.
Kurz darauf distanzierte sich der AfD-Bundesvorstand allerdings »in einer wichtigen Mitteilung« von Niggemanns Aussagen, und zwar »ausdrücklich«. Diese würden sich nicht mit den Werten der Partei vertragen. Die Konflikte wurden nicht kleiner, als Niggemann anschließend in ­einem Arbeitskreis gemeinsam mit Storch die Familienpolitik der Partei bestimmen sollte. Dort vertrat die geborene Herzogin von Oldenburg vehement ihr christlich-fundamentalistisches Weltbild, vor dem ihr Kontrahent schließlich kapitulierte. »Die gegenwärtig eingeschlagene Richtung der Partei, die nach meiner Auffassung insbesondere durch Frau von Storch repräsentiert wird, will und kann ich nicht mittragen«, begründete Niggemann seinen Austritt. Die AfD gehe »den Weg in die Unfreiheit von rechts, mit starken Tendenzen, Randgruppen zu diskriminieren«.

Seit Gründung der Partei stritten sich der na­tionalistische und der konservativ-liberale Flügel über Themen wie den Islam oder gleich­geschlechtliche Partnerschaften. Nun hat sich Storch durchgesetzt, die dafür eintreten will, »dass das Gender-Mainstreaming zugunsten eines Familien-Mainstreaming abgeschafft wird«. Mit solchen Anliegen ist sie in der Partei nicht allein. So belegt der baden-württembergische Landesvorsitzende Bernd Kölmel den dritten Platz auf der AfD-Liste für die Europawahl. Kölmel hatte sich im vergangenen Jahr energisch gegen den Bildungsplan der grün-roten Regierung in Stuttgart eingesetzt, nach dem Themen wie ­sexuelle Vielfalt behandelt werden sollen.
Ein strenger Calvinist ist auch Bernd Lucke, der Vorsitzende der AfD, der einer Gemeinde reformierter Christen in Hamburg angehört. Ein ähnliches Weltbild vertritt die sächsische Landesvorsitzende Frauke Petry. Sie will mit Themen wie dem Familienwahlrecht, Volksabstimmungen über Moscheebauten und einer Quote für deutsche Musik in den anstehenden Landtagswahlkampf ziehen. Die frommen Mitglieder werden dabei von einer parteiinternen Gruppe unterstützt, die sich »Christen in der Alternative für Deutschland« nennt. Diese wendet sich vehement gegen einen EU-Beitritt der Türkei, lehnt die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ab und fordert den »Vorrang der Erziehung im Elternhaus gegenüber staatlich organisierter Erziehung«.
Ergänzt werden solche Aussagen durch nationalistische Bekenntnisse, wie sie etwa bei der »Patriotischen Plattform« zu lesen sind, die von AfD-Mitgliedern betrieben wird. »Wir halten an Deutschland fest: an seiner Sprache und Kultur gegen die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft auf seinem Boden; an seinem Sozialstaat, der durch falsche Strukturen, vor allem aber durch massenhafte Einwanderung in die Sozialsysteme zunehmend in Frage gestellt wird«, heißt es auf der Website.
Chauvinistisch, homophob und fundamentalistisch – mit dieser Ausrichtung werde sich die AfD nach Meinung ihrer liberalen Aussteiger marginalisieren. Dennoch bleibt ungewiss, ob die AfD künftig nur noch mit der Partei Bibeltreuer Christen um Stimmen konkurrieren wird oder ob sie bei den anstehenden Landtags- und Europawahlen größere Erfolge erzielen kann. Selbst wenn ihre Ansichten teils aus der Zeit vor der Aufklärung zu stammen scheinen, so knüpft die AfD an einen Diskurs an, der mittlerweile auch im Bürgertum wohlwollend rezipiert wird. Die Äußerungen reaktionärer Intellektueller wie der vom Kulturbetrieb hochgeschätzten Schriftsteller Sibylle Lewitscharoff, die öffentlich das biblische Onanieverbot als weise bezeichnet hat und künstliche Befruchtung verachtet, und Martin Mosebach, der Blasphemie wieder unter Strafe stellen möchte, gehen in eine ähnliche Richtung.

Solche Ansichten sind allerdings kaum mit einer plötzlichen Renaissance religiöser Rigidität zu erklären, sondern eher mit den Studien des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer. Dessen Langzeitforschung über »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« attestiert in Deutschland seit Jahren einen zunehmenden Hass sowohl gegenüber ökonomischen Verlierern als auch gegenüber ethnischen und sexuellen Minderheiten, und zwar insbesondere im gehobenen Bürgertum. Die fundamentalistischen Thesen der AfD-Funktionäre verleihen diesen Ressentiments eine vermeintliche kulturgeschichtliche Legitimation.
Hinzu kommt, dass das ursprüngliche Kernthema der AfD, die Euro-Rettung, weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden ist. Die Krise ist sicherlich noch nicht vorbei, wird aber derzeit in einem Streit unter Experten ausgehandelt, da spektakuläre Ereignisse ausbleiben. Mit dem Euro-Thema allein wird für die AfD kaum ein erfolgreicher Europa-Wahlkampf zu bestreiten sein. Storchs Aufstieg kommt daher gerade zur rechten Zeit. Und falls sie erfolgreich sein sollte, weiß sie immerhin, wem sie es zu verdanken hat. Für sie kommt die Rettung immer von ganz weit oben.