Migranten als angebliche »Schlepper« vor Gericht in Wien

Vor Gericht geschleppt

In Österreich stehen acht Pakistanis wegen des Vorwurfs »organisierter Schlepperei« vor Gericht. Einige von ihnen hatten sich zuvor an den Refugee-Protesten in Wien beteiligt.

Am Montag begann am Landesgericht Wiener Neustadt ein Prozess gegen acht Männer aus Pakistan. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder einer »kriminellen Vereinigung für organisierte Schleppungen« zu sein. Einige der nach sieben Monaten in Untersuchungshaft nun Angeklagten waren vor ihren Verhaftungen im Juli und August 2013 in der Refugee-Protestbewegung in Wien aktiv gewesen. Am Tag vor den ersten Festnahmen aufgrund des Vorwurfs der »Schlepperei« wurden acht Aktivisten der Bewegung nach Pakistan abgeschoben, trotz großer medienwirksamer Proteste und der ihnen im Herkunftsland drohenden Gefahren. Die österreichische Innenministerin, Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), stand unter Erklärungsdruck, unter anderem weil Abschiebungen aus Österreich nach Pakistan ansonsten eher selten veranlasst werden. Trotz der Behauptung, es gehe um die Wahrung des »Rechtsstaats« und die »asylgerichtliche Einzelfallprüfung«, blieb der Eindruck, dass ein Zusammenhang zwischen den Abschiebungen und den Protesten bestehe.
Als jedoch die anschließenden Verhaftungen als »Schlag gegen die organisierte Schlepper-Kriminalität« bejubelt wurden, waren die Abschiebungen schnell vergessen. Mikl-Leitner heizte die Stimmung gegen die »Schlepper« höchstpersönlich an: In einem Interview mit der Tageszeitung Kurier behauptete sie, dass diese auf »brutalste Art und Weise« vorgegangen seien und schwangere Frauen auf der Route zurückgelassen hätten. Ihre Aussagen stellten sich wenig später als schlichtweg falsch heraus und wurden von der Staatsanwaltschaft widerlegt. Woher die Innenministerin ihre »Informationen« bezog, wird wohl auch der derzeitige Prozess nicht klären können. Fest steht: Mikl-Leitner blieb Innenministerin, die Inhaftierten blieben in U-Haft und stehen jetzt vor Gericht.
»Als ich die Polizei gefragt habe, warum sie mich verhaften, haben sie gesagt: ›Weil du protestiert hast. Das ist nicht Pakistan, das ist Österreich.‹ Sie haben mir Zeitungsfotos vom Protest gegen die Abschiebung der acht Leute nach Pakistan gezeigt. Ich war da drauf, ja. Aber Protest ist kein Verbrechen«, sagt Azhar Iqbal, einer der Angeklagten im Interview mit der österreichischen Zeitschrift Malmoe. Gefragt nach den Umständen der monatelangen Untersuchungshaft, während der die Gefangenen in den ersten fünf Monaten nur unter permanenter Überwachung besucht werden durften, erzählt er: »Ich wurde nicht bei meinem Namen genannt, sondern ›Votivkirche‹.« Die Refugees waren nach der Räumung ihres Protestcamps nämlich in die Wiener Votivkirche umgezogen. Ali Faisal, der ebenfalls als »Schlepper« angeklagt ist, fügt hinzu: »Ich habe mich im Gefängnis selbst verletzt, mir die Arme geritzt, weil sie gesagt haben, ich würde abgeschoben. Ein Polizist hat mich dann in die Wunden gezwickt und geschlagen. Das war der Umgang.«
Im österreichischen Recht ist das Delikt der Schlepperei in Paragraph 114 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) geregelt. Das Strafmaß variiert abhängig von der Art der »Begehung«: In diesem Fall liegt es bei bis zu zehn Jahren Haft, weil »Schlepperei« in Verknüpfung mit der »kriminellen Vereinigung«, dem aus anderen politischen Prozessen als »Gummiparagraphen« bekannten Paragraphen 278 des Strafgesetzbuchs, verhandelt wird. »Schlepperei« alleine wird mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft. Nach Paragraph 114 FPG macht sich strafbar, wer die illegalisierte Ein- oder Durchreise einer oder mehrerer Personen in ein EU-Mitgliedsland oder einen Nachbarstaat Österreichs fördert, wenn dadurch eine Bereicherung des »Schleppers« oder einer anderen Person erzielt werden soll. Bestraft wird hier also das Erbringen einer Dienstleistung gegen Bezahlung. Nicht erwähnt wird, dass es die Kriminalisierung von Migration und Flucht ist, die die Nachfrage nach dieser Dienstleistung beziehungsweise die Notwendigkeit von Fluchthilfe erst hervorbringt.
Ein Blick auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs macht deutlich, dass weniger die konkrete als eine gänzlich abstrakte Gefährdung der beteiligten Personen im Fokus der Behörden steht: Die »Bereicherung« muss nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der »Tat« stattfinden; bezahlen kann sowohl die »geschleppte« Person als auch eine Dritte; Empfänger des Geldes kann ebenfalls der »Schlepper« wie eine dritte Person sein. Unter den Begriff des »Förderns« fällt zudem jede Handlung, die den illegalisierten Grenzübertritt ermöglicht oder erleichtert, etwa das Kaufen eines Zugtickets, ein Ratschlag über eine Reiseroute oder das Anbieten eines Schlafplatzes. Zusätzlich ist es für die Strafbarkeit nicht einmal nötig, dass jemals eine Grenze überschritten wurde, dies zu beabsichtigen genügt. Eine ausgeprägte Vagheit zeigt sich auch in den Ermittlungsakten, auf denen die Anklage im aktuellen Fall basiert: Es wurden beispielsweise einfach Passagen aus Artikeln auf Wikipedia hineinkopiert, die nun als »Beweise« herhalten sollen.

Durch die Vorwürfe wurden die Refugee-Proteste in der Öffentlichkeit nachhaltig delegitimiert. Dass dies so gut gelang, zeugt davon, wie tief das rassistische Bild des »Schleppers« im allgemeinen Bewusstsein verankert ist. Als »Schlepper« Imaginierte werden dafür verantwortlich gemacht, die volksgemeinschaftliche Idylle durch das »Einschleusen« störender »Fremder« zu bedrohen; schlimmer noch: sie agieren dabei vermeintlich als »Mafia«, der der Staat beinahe hilflos ausgeliefert sei. Umso härter darf er demgegenüber dann auch zuschlagen. In Österreich gibt es mehrere Sonderkommissionen, die sich ganz den Ermittlungen rund um die »Schlepperkriminalität« widmen, hierbei wird insbesondere die internationale Kooperation mit den ungarischen Behörden forciert. Allein im Jahr 2012 wurden in Österreich laut dem jährlich erscheinenden »Schlepperbericht« des Bundeskriminalamtes 235 Personen als »Schlepper« aufgegriffen. Im konkreten Fall brachten die Sonderkommissionen wie so oft ihr ganzes Repertoire an Repressionsmaßnahmen zum Einsatz: Die Beschuldigten wurden seit März 2013 intensiv telefonisch überwacht, es gab Observationen und Hausdurchsuchungen.
Die volksgemeinschaftlichen Wahnvorstellungen zeigen sich auch in den ähnlich funktionierenden Debatten um die »ausländischen Bettler- und Drogenringe«, die als Legitimation für Maßnahmen gegen die »Bedrohung der inneren Sicherheit« herhalten müssen. Der »böse Schlepperboss« dient zudem dazu, die Verantwortung für die nicht zu leugnenden Opfer und das offensichtliche Leid, das die Grenzabschottung hervorbringt, auf konkret fassbare Subjekte zu projizieren. Eigenschaften wie Skrupellosigkeit und Gewinnstreben, die den »Schleppern« im Tonfall moralischer Empörung zugeschrieben werden, sind vor allem für kapitalistische Zustände konstitutiv. Es sind diese und der Nationalstaat mit seinen Grenzen, die Menschen gefährden und töten. Diese Erkenntnis könnte allerdings dazu führen, die bestehende Gesellschaftsordnung als Ganze in Frage stellen zu müssen. Als »Schlepper« Verfolgte hingegen können verurteilt und weggesperrt werden, während die Normalität weiter wütet.
Egal wie der Prozess ausgehen wird, an der Wahnvorstellung von den »Schleppern« wird er wohl nichts ändern. Für die derzeit Angeklagten jedoch wird in Wiener Neustadt über die kommenden zehn Jahre ihres Lebens verhandelt.

Aktuelle Infos zum Prozess: http://solidarityagainstrepression.noblogs.org