Schalke 04, Gazprom und die Krim-Krise

Eine schweinische Verbindung

Von Ivo Bozic

Schalke 04 ist durch einen Sponsorenvertrag eng mit dem russischen Staatskonzern Gazprom verbunden. Das schmeckt vielen Fans gar nicht. Mit der Krim-Krise gerät nun der Einfluss autoritärer Regime auf den Sport in die Kritik.

Wenn Clemens Tönnies zu seinem Freund Wladimir Putin nach Moskau reist, dann hält er, wenn er die Kreml-Treppen hinaufsteigt, zwei große Sporttaschen in den Händen, vollgepackt mit Fleisch. Eisbein, Haxen, groß geschnitten. Das finden auch Putins Sicherheitsbeamte verdächtig. »Das letzte Mal haben die mir das Fleisch zunächst in Verwahrung genommen. Als ich vor Putin stand, sagte er: Wo ist mein Eisbein? Sie können sich vorstellen, dass es keine Minute dauerte, bis es da war«, erzählte Tönnies vor zwei Jahren launig dem Kölner Express.
Die Tönnies Fleischwerke sind einer der größten Schlachtbetriebe Deutschlands. Clemens Tönnies ist nicht nur Geschäftsführer der Fleischfabrik, sondern auch Vorsitzender des Aufsichtsrates, sozusagen das Gesicht des Unternehmens FC Schalke 04. Und in diesem Zusammenhang ist ebenfalls seine Freundschaft mit Putin zu sehen: Der russische Staatskonzern Gazprom ist seit 2007 Hauptsponsor des Fußballvereins, rund 16 Millionen Euro werden angeblich jährlich aus Moskau nach Gelsenkirchen überwiesen. Die Schalker Mannschaft und in der Folge auch ihre Fans laufen dafür mit ihren Trikots für Gazprom Reklame. Noch Ende Februar erklärte Tönnies, dass Putin von seinem Werbepartner sogar noch ein wenig mehr Ehrerbietung erwarte: »Er wünscht sich einen Besuch der Schalker Mannschaft«, berichtete Tönnies.
Die enge Verbindung des Vereins zu Putin und Gazprom ist nicht wenigen Fans schon lange ein Dorn im Auge, doch seit der russischen Annexion der Krim hat die Debatte eine neue Dynamik erhalten. Roman Kolbe von der Schalker Faninitiative und Redakteur des Fanzines Schalke Unser schrieb am 4. März einen offenen Brief an den Ehrenrat des Vereins, in dem er diesen auffordert, die geplante »Audienz« der Mannschaft bei Putin »zu verhindern und dafür zu sorgen, dass sich der Verein FC Schalke 04 von Wladimir Putin öffentlich distanziert«. Im Ehrenrat sitzen fünf honorige Persönlichkeiten, darunter der Schalke-Pfarrer Hans-Joachim Dohm und die Fußballerlegende Klaus Fischer. Er fungiert de facto als vereinsinternes Schiedsgericht, dennoch ist Kolbe nicht besonders optimistisch, dass der Rat bei seiner nächsten Sitzung Ende März in seinem Sinne aktiv werden wird. »Das Problem ist, dass der Ehrenrat momentan kein unabhängiges Schiedsgericht ist. Zwar werden die Mitglieder des Rates von der Mitgliederversammlung des Vereins gewählt, aber das alleinige Vorschlagsrecht hat der Aufsichtsrat. Man hat sich also die eigenen Richter selbst vorgeschlagen«, kritisiert Kolbe im Gespräch mit der Jungle World. Reaktionen auf seinen Brief gab es von Seiten der Vereinsführung bisher nicht. Allerdings habe seine Initia­tive eine lebhafte Debatte unter den Fans ausgelöst, viele Schalker unterstützen Kolbe. »Aber natürlich haben viele Fans auch ein bisschen Schiss, das ein Hauptsponsor vergrätzt wird und wir Probleme mit Sponsorenzahlungen bekommen könnten«, schränkt Kolbe ein. Denen würde er entgegnen, dass es ja wohl möglich sei, einen anderen Sponsor zu finden. Der Vertrag laufe ohnehin noch bis 2017, vorher auszusteigen sei vermutlich schwierig, aber spätestens für die Zeit danach müsse man sich sowieso um einen neuen Hauptsponsor kümmern. »Die meisten Fans sagen, nun gut, wenn man einen anderen Sponsor findet, der in ähnlicher Dimension bei uns einsteigt, warum dann nicht?«
Für Kolbe ist das ein grundlegendes Problem: »Ich sehe da eine starke Verwicklung des FC Schalke 04 auf der politischen Weltbühne und ich und viele andere Fans denken, da haben wir als Verein nichts zu suchen.« Natürlich sei die Sache nicht nur wegen des umstrittenen Sponsors pikant, sondern auch wegen der Verwicklungen des Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden. Kolbe: »Tönnies pflegt sehr enge freundschaft­liche Beziehungen zu Putin. Die gehen auch gemeinsam zur Jagd. Und Herr Tönnies hat auch ein privates wirtschaftliches Interesse. Er investiert gerade einen dreistelligen Millionenbetrag in den Aufbau einer Schweinemast in Russland. Da wird es schwierig zu trennen, was jetzt sein eigenes Interesse und was das Interesse von Schalke 04 ist.« Es bestehe eindeutig die Gefahr, dass der Verein instrumentalisiert werde. In Interviews wirkt der Unternehmer Tönnies dem Politiker Putin gegenüber devot. »Ich habe Putin versprochen, mich auch in Russland zu engagieren«, sagte er dem Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen-Lippe im Dezember. »Das bedeutet, dass unser Unternehmen nicht nur Fleischwaren ins Land bringt und verkauft, sondern auch vor Ort etwas produziert. Das ist der Regierung in Moskau wichtig.«
Auf Schalke ist man also mehrfach von Putin abhängig. Auch Marketingchef und Vereinsvorstand Alexander Jobst will von Kritik am russischen Staatschef nichts wissen: »Gazprom ist unser wichtigster Partner. Als Sportverein werden wir uns zu den politischen Gegebenheiten nicht äußern. Was aber nicht heißt, dass wir die Situation in diesem Land nicht mit Sorge verfolgen. Wir als Schalke 04 sind loyal unseren Partnern gegenüber, das gilt nicht nur für Gazprom«, sagte Jobst Anfang März dem Wall Street Journal. Aus der Audienz der Mannschaft bei Putin wird jedoch wohl trotzdem erstmal nichts werden. Manager Horst Heldt erklärte auf besorgte Nachfragen hin gerade beschwichtigend: »Es gibt eine Einladung von Putin, aber es ist nicht angedacht, nach Russland zu reisen.« Vermutlich hat Putin ohnehin derzeit anderes zu tun.
Zwar sind Schalkes Verstrickungen mit Gazprom durch Tönnies sehr speziell, aber das Problem betrifft bei weitem nicht nur Schalke. Gazprom sponsert nicht nur den Verein aus Gelsenkirchen, sondern auch die Uefa Champions League und die Fifa-Weltmeisterschaft 2018 in Russland, dazu kommen weitere international renommierte Fußballvereine (FC Chelsea, Roter Stern Belgrad, Zenit St. Petersburg) und Sportarten wie Segeln, Karate und Boxen. Das Engagement von Gazprom im internationalen Sport geht also alle Fußballinteressierte etwas an. Das sieht auch Roman Kolbe so, ihm sei es aber zunächst einmal nur darum gegangen, Schaden vom eigenen Verein abzuhalten. Aber wenn dadurch ein Stein ins Rollen gebracht werde, sei das natürlich zu begrüßen.
Das Thema ist ohnehin wesentlich umfassender. Nicht nur die russische Regierung, auch andere autoritäre Regime versuchen, sich durch Sportsponsoring ein besseres Image zu verschaffen. Besonders umtriebig ist dabei das absolutistische Emirat Katar, wo Demokratie und Menschenrechte noch weit weniger geachtet werden als in Russland. Auch mit Katar pflegt Schalke, ebenso wie der FC Bayern München, eine strategische Partnerschaft. Beide Vereine lassen sich jeden Winter ein superluxuriöses Trainingslager in Doha finanzieren und betreiben im Gegenzug PR für die Sportstätte Aspire Academy und das Emirat Katar, das 2022 die Fußball-WM ausrichten will. Auf die Frage, wie genau dieser Deal zwischen dem Verein und Katar aussieht, erhält man nur ausweichende Antworten. Schalkes Pressesprecherin Anja Kleine-Wilde sagte der Jungle World: »Die Reisen erfolgen auf Einladung unseres Partners Aspire Academy for Sports, die dem Schalker Lizenzspielerkader für die Dauer des zehntägigen Aufenthalts optimale Trainingsbedingungen mit herausragenden Rasenplätzen, perfekter Organisation und einer beispiellosen Gastfreundschaft der Verantwortlichen vor Ort bietet. Das Wintertrainingslager in Katar ist für die Schalker sehr viel mehr als nur eine Vorbereitungsstätte, sondern vielmehr eine gewachsene und gelebte strategische Partnerschaft.« Auch der FC Barcelona pflegt Beziehungen mit dem Emirat und wirbt auf seinen Trikots für die staatliche Fluggesellschaft Qatar Airways. Weit über 80 Prozent der Bevölkerung Katars sind Migranten, die meist unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, nicht nur auf den WM-Baustellen. Das Emirat, in dem Frauen diskriminiert werden und Homosexualität verboten ist, unterstützt darüber hinaus weltweit radikale islamistische Bewegungen wie die Muslimbruderschaft.
Am 4. Mai soll bei der Schalker Jahreshauptversammlung die Satzung dahingehend geändert werden, dass sich der Verein künftig nicht nur offiziell gegen Rassismus positioniert, sondern zusätzlich auch gegen Homophobie. Kaum jemand hat Zweifel, dass der Antrag angenommen werden wird, auch der Aufsichtrat unterstützt ihn. »Bei Putin weiß man, dass er gerade Gesetze verabschiedet hat, die Homosexuelle diskriminieren, wie passt denn das zusammen?« fragt Kolbe. »Das soll mir der ­Ehrenrat mal erklären!«
Von den Fußballern selbst ist bezüglich solcher politischen Debatten nichts zu erwarten. Selbst wenn sich der eine oder andere Gedanken machen sollte und er Bedenken etwa gegenüber Gazprom hegen würde, würde er dies wohl nicht öffentlich kundtun. Fußballer werden von den Presseabteilungen ihrer Klubs weitgehend abgeschirmt, was sicher häufig auch sinnvoll ist, damit sie sich nicht um Kopf um Kragen reden. Aber der mündige Fußballprofi ist auch gar nicht erwünscht. Kolbe beschreibt exemplarisch folgende Situation: »Wenn ich für Schalke Unser ein Interview mit einem Spieler mache, dann sitzen immer mindest ein oder zwei Leute aus der Pressestelle daneben und passen auf, was der sagt. Da kann man nicht davon ausgehen, dass er wirklich das äußert, was er denkt, sondern das, was die Kommunikationsabteilung des Vereins für richtig hält.« Putin dürfte dies gefallen.