Berlin Beatet Bestes. Folge 234.

Gefühl und Ware

Berlin Beatet Bestes. Folge 234. Fünfmal Blues für den Frühling.

Wut, Verzweiflung und Traurigkeit über die eigenen, aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse finden in der zeitgenössischen Popmusik, vielleicht mit Ausnahme des Rap, nur noch selten einen authentischen Ausdruck. Auf diesem emotionalen Feld sichert sich vor allem DIY-Hardcore-Punk seine Berechtigung. Hier fünf Singles aus der News-Kiste des Punkplattenladens.

The Inserts: Komm Her! (Hundemann Records). Das Innencover der Single (das leider keine Text-Inserts hat) zeigt vier fröhliche Frauen in schwarzen T-Shirts, Jeanskutten und Kapus vor dem Wowsville-Plattenladen in Kreuzberg. Abgeklärt und bissig kommentieren sie die Berliner Verhältnisse in »Tolerant«: Papa, mach Kinderwagen/Ich bin tolerant/Blablabla Bioladen/Ich bin tolerant/Potsdamer Platz Arkaden/Ich bin tolerant/Prosecco, Kinder schlagen/Ich bin tolerant./Ich will noch nicht allein sein, in meinem stillen Kämmerlein./Komm her!

The Levitations: Partners in Crime (Cut the Chord That … Records). The Levitations sind ebenfalls eine Berliner Frauenband und machen mitreißenden, melancholischen Punk, der zwar mehr Verletztheit zeigt, aber auch mehr Fragezeichen als The Inserts aufwirft. Where do we belong?/In nights like these/we fuck the scene/Ladies and dudes/for the first time/it ain’t no dream/Now we have our own rules/Just in time, we found partners in crime.

Human Abfall: SNG (Spastic Fantastic/Chu Chu). Die Stuttgarter Band Human Abfall mischt in ihren Punk eine sauber gespielte Surf-Gitarre. Seltsamerweise lassen gerade die kryptischen, rezitierend, aber gut verständlich vorgetragenen Texte eine gewisse Beschä­digung erkennen, wie in dem stetig wiederholten Refrain zu dem Song »Frühling«: Ich brauch keinen neuen Staubsauger!/NEIN!/Frühling in der Republik./Herbst in den Fabriken.

Mülltüte: Exzess (Heart First). Dies ist bereits die dritte EP von Mülltüte, die ich besitze. Die Band macht alles wie früher. Zuerst kommen die kleinen Platten, bevor dann hoffentlich bald eine LP erscheint. Mülltütes kluger, wütender Hardcore-Punk wurde bereits mit einem Beitrag auf der jüngsten Compilation des Maximum Rock ’n’ Roll, »Sound the Alarms!!«, geadelt. Von allem zu viel/fließt es über/quillt aus allen Ecken/Exzess/Nichts gelernt/kein Haushalten/Gefühl und Ware/Totale Verschwendung/Gier nach allem/was du nicht hast/Exzess/Nie zufrieden/Niemals glücklich/Verschwendung von/Dein Leben und/dein Streben nur/ein Traum/den es nicht gibt.

Diät: Everyday/Hinge & Bracket (Iron Lung). Auch die zweite Single der Berliner Post-Punk-Band Diät ist auf dem renommierten US-am­erikanischen Label Iron Lung erschienen. Post Punk gespielt von Punks ist immer noch das Ding in der DIY-Szene und das ist gut so. Noch hat der Mainstream den düsteren, verzweifelten Sound der achtziger Jahre nicht entdeckt und es ist zweifelhaft, ob irgendwer außer den Punks ihn je so authentisch spielen wird. Ja, richtig, nochmal: authentisch!

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.