Die hindu-nationalistische BJP vor den Parlamentswahlen in Indien

Modi, der Zerstörer

Narendra Modi gilt als Favorit bei den am 7. April beginnenden Parlamentswahlen in Indien. Der Hindu-Nationalist polarisiert das Land wie kaum ein anderer.

An Narendra Modi, Spitzenkandidat der hindu-nationalistischen Indischen Volkspartei (BJP), scheiden sich die Geister. Für seine Anhängerinnen und Anhänger aus dem rechtsnationalistischen Oppositionsbündnis der National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der BJP ist der asketische Junggeselle eine charismatische und arbeitswütige Führungspersönlichkeit, ein begnadeter Redner und erfolgreicher Reformer. Seine Gegner sehen in dem 63jährigen einen Demagogen, einen Machtpolitiker mit diktatorischen Bestrebungen und gefährlichen Chauvinisten. Modi ist ein glühender Verfechter des Hindutva, jener politischen Ideologie, die sich dem Ideal einer wiedererstarkten Hindu-Nation, regiert nach hinduistischen Regeln, verschrieben hat. Gemäß des Hindutva sollen Inder möglichst Hindus sein, beziehungsweise Teil einer auf dem Hinduismus basierenden, angeblich »arisch« beeinflussten Kultur und Indien als heiliges Land verehren. Diese Sicht widerspricht dem von Mahatma Gandhi entworfenen säkularen Staatsmodell Indiens und grenzt insbesondere Indiens Muslime, die mit 175 Millionen Menschen immerhin 14 Prozent der Bevölkerung ausmachen, aber auch Christen, Parsen und Juden aus.
Seinen Aufstieg verdankt Modi seinem Ehrgeiz und Machtgespür. Aus der als rückständig eingestuften Kaste der Ghanchi stammend, deren Angehörige traditionell Pflanzenöl pressten und später zu Händlern aufstiegen, begann er als Teeverkäufer an einem Bahnhof. Schon zu Schulzeiten ließ er sich in hindu-nationalistischen Nachwuchsorganisationen drillen und indoktrinieren, lernte dabei vermutlich zu marschieren und sich für den Kampf gegen die Feinde der Hindus fit zu halten. Während er Politologie studierte, profilierte er sich als Nachwuchskader und kämpfte gegen das von Premierministerin Indira Gandhi errichtete Notstandsregime. Die Politik wurde zu seinem Lebensinhalt und insbesondere die muslimische Minderheit blieb ihm suspekt, wenn nicht sogar verhasst. Seine politische Karriere war von Beginn an von Gewalttaten überschattet. Im Frühjahr 2002, kurz nach Beginn seiner ersten Amtszeit als Chief Minister des Bundesstaats Gujarat, eskalierten diese.

Bei einem angeblichen Angriff fanatisierter Muslime auf einen Expresszug am 27. Februar 2002, in dem unter anderem hindu-nationalistische Aktivisten des Welt-Hindu-Rats (VHP) saßen, waren vier Waggons in Flammen aufgegangen. 58 Menschen starben dabei. Berichte lokaler Amtsträger, die bis 2013 zurückgehalten wurden, zeichnen ein anderes Bild. Demzufolge hätten die Hindu-Nationalisten aus dem Zug die mehrheitlich muslimischen Händler auf dem Bahnsteig provoziert und das Feuer brach dann in Folge der weiteren Eskalation aus. Als Modi den Bahnhof besuchte und von einem »einseitigen terroristischen Akt« sprach, folgten wochenlang antimuslimische Pogrome. Nach offiziellen Angaben starben 790 Muslime und 254 Hindus. Menschenrechtsgruppen gehen von weit mehr Opfern aus und prangern die Rolle von Agitatoren aus den Reihen hindu-nationalistischer Organisationen wie des VHP und des Nationalen Freiwilligenkorps (RSS) an, Staatsbedienstete sollen sich in etlichen Fällen aktiv beteiligt haben. Modi selbst war in den siebziger Jahren im RSS als Vollzeitagitator aktiv gewesen, im Landesverband schnell aufgestiegen und 1987 von der Führung des RSS in die BJP, die Partei der Hindu-Nationalisten, entsandt worden.
Als Chief Minister redete er das Ausmaß der kommunalistischen Gewalt jedoch anfänglich klein und die Behörden verhielten sich passiv. Über 18 000 Wohnungen und Häuser von Muslimen wurden zerstört und schätzungsweise 200 000 Muslime zu Binnenflüchtlingen. Strafverfahren wurden verschleppt und Zeugen ein­geschüchtert. Modi trat zurück, um Neuwahlen zu ermöglichen. Im folgenden Wahlkampf stellte er die Gewalt propagandistisch als konsequente Reaktion der von muslimischem Terrorismus bedrohten Hindu-Mehrheit dar. Hemmungslos ­bediente er das vorherrschende antimuslimische Ressentiment, dass Indiens Muslime als heim­liche Verbündete des Rivalen Pakistan agieren.

Sein Wahlkampf auf Kosten der Minderheit bescherte ihm bei der Landtagswahl im Dezember 2002 eine bequeme Zweidrittelmehrheit. Dadurch gelang es ihm, seinen Ruf als durchsetzungsstarker Reformer zu begründen und wirtschaftliche Entwicklungsprojekte auf den Weg zu bringen. Während seiner darauffolgenden Amtszeiten wurde das angeblich »dynamische Gujarat« zum Vorbild für erfolgreiche Entwicklung, von der jedoch fast ausschließlich die städtische Mittelschicht profitierte. Gleichwohl stieg der Stern des mittlerweile dienstältesten Chief Minister, der sich immer größerer Beliebtheit bei indischen Industriellen, Finanziers sowie ausländischen Investoren erfreut. So wurde aus dem als Brandstifter geächteten Hindu-Nationalisten, der in der EU bis 2013 als persona non grata galt, ein als wichtig erachteter Gesprächspartner. Während einigen seiner politischen Weggefährten eine Verstrickung in die Unruhen nachgewiesen werden konnte – eine ehemalige Ministerin wurde 2012 sogar zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt –, blieb Modi unbehelligt. Die Untersuchungskommission des Obersten Gerichthofes stellte Ende 2010 fest, dass keine strafrechtlich relevanten Beweise gegen ihn vorlägen. Mit diesem Persilschein ausgestattet konnte er für den Vorsitz im Zentralen Wahlkampfkomitee der BJP kandidieren, den er trotz des Widerstands älterer Kader aus der ersten Parteigeneration, wie des ehemaligen Parteivorsitzenden L.K. Advani, im Juni 2013 errang.

Bei den anstehenden Parlamentswahlen kandidiert Modi im Wahlkreis Varanasi im Bundesstaat Uttar Pradesh. Damit ist der BJP ein bedeutender Coup gelungen, denn den meisten Hindus ist die Stadt am Ganges heilig. Ein Sieg in der Stadt des Gottes Shiva, der zugleich für Zerstörung und Neubeginn steht, könnte Modi in den Augen vieler Hindu-Nationalisten mit einer Art mystischer Legitimität ausstatten. Während indische Medien über große Zustimmung für die BJP berichten, will Modi sogar auf göttliche Urgewalten setzen. Als er Anfang März in Lucknow auf das »safranfarbene Meer« seiner mit orangefarbenen Hüten und Bändern ausstaffierten Anhänger schaute, versprach er, dass sich »die BJP-Welle in einen Tsunami verwandeln wird, der alle anderen Kräfte zerstören wird«. Er bediente sich gar der Worte: »Sie werden alle ausgerottet!«
Allerdings trifft er in Varanasi auf einen gefähr­lichen Gegenkandidaten, der sich mit der Bekämpfung der Korruption einen Namen gemacht hat: Arvind Kejriwal, politischer Quereinsteiger von der »Partei des kleinen Mannes«, der Aam Aadmi Party (AAP). Der 45jährige brachte im Februar im Bundesdistrikt Delhis sogar die sonst verfeindete BJP und die Kongresspartei (INC) dazu, sich gegen ihn zu verbünden, um ein von ihm initiiertes Antikorruptionsgesetz zu blockieren. Er trat daraufhin zurück, was seine Anhänger als Zeichen seiner Konsequenz und Unbestechlichkeit aus­legen. Vorsichtshalber kandidiert Modi gleichzeitig noch in seinem Heimatwahlkreis Vadodara in Gujarat. Den Sitz im Parlament wird er so sicherlich erringen können. Ob die Mandatszahl der BJP nach der Wahl für die Zerstörung und einen Neubeginn im Lichte des Hindutva reichen werden, erscheint jedoch fraglich.