Mesh-Netze als Alternative zum kommerzialisierten Netz

Vernetzung ohne Internet

Sogenannte Mesh-Netzwerke könnten ­einen Ausweg aus der Überwachung und Zensur des Internet bieten.

Auf eine weitere App zum Austausch von Kurznachrichten und Bildchen hat die Welt nicht gewartet, sollte man meinen. Whatsapp und der Facebook-Messenger funktionieren gut, und auch aus Datenschutzgründen bessere, da verschlüsselte Alternativen wie Threema sind verfügbar. Warum ist also mit Firechat seit Wochen eine Chat-App weit oben in den Download-Charts der internationalen Appstores? Weshalb der mediale Hype, im Zuge dessen das Business-Magazin Fortune Firechat als »auf unauffällige Weise subversiv« beschrieb und vom »möglicherweise wichtigsten Ereignis für das Internet, seit sich 1995 internationale Netzwerkknoten herausbildeten« sprach? Das einzig spannende an der ­äußerst schlicht gehaltenen App ist die Art und Weise, wie die Geräte der Nutzer sich miteinander verbinden – nämlich direkt über die eingebauten W-Lan- oder Bluetooth-Sender und -Empfänger, gänzlich ohne Internetanschluss.
Zuerst war die kostenlose App nur für mobile Apple-Geräte mit der neuesten Version des Betriebssystems iOS verfübar, vorige Woche ist eine Version für Android-Geräte erschienen. Verbindungen zwischen iOS- und Android-Geräten sind noch nicht möglich, doch dem soll laut Hersteller Open Garden ein Update bald Abhilfe schaffen. In der Praxis ist die App derzeit für Smartphone- oder Tablet-Besitzer meist nutzlos, da das nächste Gerät aufgrund der eingeschränkten Sendeleistung nicht weiter als etwa zehn Meter entfernt sein darf. Spannend wird es erst, wenn eine gewisse Dichte von Geräten beziehungsweise Personen erreicht ist – denn dann schließen sich die Geräte zu einem Netz zusammen, über das Daten auch über weite und theoretisch unbegrenzte Strecken übermittelt werden können. Ein steuerndes Zentrum ist in einem solchen Meshnet (Maschennetz) nicht nötig, es gleicht also dem ursprünglichen Internet, bevor dessen Infrastruktur immer stärker zentralisiert wurde.

Nützlich sind Mesh-Netze heute etwa bei Großveranstaltungen, bei denen der mobile Internetzugang wegen zu großer Nachfrage zusammenbricht. Auch in Katastrophenfällen sollen so Netzwerke möglich sein. Und dann gibt es schließlich große Teile der Welt, die noch nicht Teil des angeblich weltweiten Webs sind. Hier will Google mit Netzwerkknoten in Form von durch die Stratosphäre driftenden Ballons das Netz schließen (»Project Loon«), der hauptsächlich von Facebook getragene Zusammenschluss Internet.org will das gleiche mittels fliegender Drohnen erreichen.
Google und Facebook sind dabei, neben Software auch Hardware zu produzieren, erinnert sei etwa an die Datenbrille Google Glass oder an Oculus Rift, eine 3D- beziehungsweise Virtual-Reality-Brille, deren Hersteller Ende März von Facebook aufgekauft wurde. Geplant sind von Google und anderen Herstellern weitere am Körper tragbare (»wearable«) oder gar mit ihm verschmelzende Geräte wie »smarte« Uhren und Kleidungsstücke, zudem werden immer mehr Haushaltsgeräte netzwerkfähig. Folgt man Andeutungen, die etwa Sundar Pichai, einer der führenden Google-Entwickler, Anfang März beim Medien- und Technologie-Festival SWSX in Texas machte, sollen dabei lokale Mesh-Netze aus direkt (»ad hoc«) untereinander verbundenen Geräten eine große Rolle spielen, das heißt die Geräte sollen auch ohne Internet und W-Lan-Router in Reichweite Daten austauschen und weiterleiten ­können.

Ein Hype um diese Technologie besteht derzeit also zweifellos, aber worin soll angesichts der Nähe zu den Grundprinzipien des Internet sowie der Nutzung durch »böse« Konzerne wie Facebook das subversive Potential bestehen? Beispielsweise darin, dass solche Netze sehr viel schwerer durch repressive Regime kontrolliert, zensiert oder gar abgeschaltet werden können, wie etwa jüngst in der Türkei mit der Sperrung von Twitter, Youtube und kritischen Medienseiten geschehen. Mesh-Netze versprechen eine Lösung für vieles, was am Internet immer mehr Unbehagen bereitet: Überwachung, Zensur, Kommerzialisierung, Monopolisierung. Deshalb wohl auch die Faszination von Firechat. Abseits des Hypes arbeiten jedoch besonders in Städten schon seit vielen Jahren Freifunk-Initiativen daran, eigene lokale Funknetzwerke aufzubauen. Die Knotenpunkte sind herkömmliche W-Lan-Router, auf die ein neues Betriebssystem installiert wird und die zur Abdeckung größerer Flächen und Distanzen mit leistungsstärkeren Funkantennen verbunden werden können. Mit entsprechender Funktechnik können auch ländliche Gebiete mit schlechter Netzinfrastruktur erreicht und vernetzt werden.
Dabei geht es nicht primär um freien Zugang zum Internet, sondern – so Monic Meisel, Gründungsmitglied von Freifunk.net (www.freifunk.net)im Gespräch mit der Jungle World – um ein »freies Netz, das öffentlich und anonym zugänglich ist, das im Sinne der Netzneutralität neutral ist, das im Besitz einer Gemeinschaft und nicht kommerziell ist und für das freie Software benutzt wird. Es geht um un­abhängige Infrastruktur, um unser eigenes Netz.« Wichtig ist ihr, dass »Mesh-Netzwerke dezentral funktionieren. Es gibt also keinen zentralen Knoten, der leicht überwacht oder abgeschaltet werden kann.« Die Anwendungsmöglichkeiten gleichen dabei denen des Internet. Meisel ist skeptisch, ob sich ein solches Netz nur durch mobile Geräte mit begrenzter Funkleistung aufbauen lasse, da man – wie derzeit meist mit Firechat – leicht in ein Funkloch gerät. Als Kommunikationsmittel für politische Proteste können nach Meisels Ansicht Mesh-Netze nützlich sein, da autoritäre Regime »nicht so leicht den Aus-Knopf finden könnten. Aber es ist eine Illusion, dass eine Blockade völlig ausgeschlossen ist. Wenn man wirklich will, kann man auch Funkfrequenzen blockieren. Aber man muss mehr Aufwand betreiben.« In Deutschland gibt es bereits über 70 Freifunk-Communities, in Österreich gibt es die Ini­tiative Funkfeuer (www.funkfeuer.at).