Der Kongress »Antifa in der Krise?«

Die Feuerwehr hat ausgedient

Das Großbündnis »Interventionistische Linke« lud zum Kongress »Antifa in der Krise?« nach Berlin. Über strategische Fragen der Bewegung sollte diskutiert werden. Der Erkenntnisgewinn blieb jedoch gering.

Der »Trauermarsch« in Dresden ist mittlerweile bedeutungslos. Der Rudolf-Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel wird längst nicht mehr veranstaltet, nur noch gelegentlich verirrt sich ein Häuflein Nazis in die bayerische Kleinstadt. Diese wichtigen Großaufmärsche der Neonaziszene gehören der Vergangenheit an. Mag es in manchen Gegenden noch eine Gefahr durch Nazis geben, lässt sich dennoch nur schwer von einer flächendeckenden Bedrohung sprechen.

Und so ist vielen organisierten Antifa-Gruppen das klassische Betätigungsfeld abhanden gekommen. Stattdessen gibt es rassistische Kampagnen gegen Geflüchtete, den drohenden Einzug der »Alternative für Deutschland« (AfD) ins Europaparlament, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und eine damit einhergehende Verschiebung der herrschenden Politik weiter nach rechts. In vielen Regionen hat die Antifa ein Nachwuchsproblem, staatlich geförderte Projekte wie die mobilen Beratungsteams laufen ihr zudem in Sachen Expertise den Rang ab.
Um diese Probleme zu diskutieren, veranstaltete die Interventionistische Linke (IL) in der Technischen Universität Berlin den ersten größeren Antifa-Kongress seit Jahren. Um eine europäische Perspektive auf das Erstarken rechtsextremer Parteien, Gruppen und Ansichten möglich zu machen, lud sie auch Referenten aus elf europäischen Ländern ein. In der Unterstützerliste tummelten sich von antideutschen Antifa-Gruppen über das kommunistische Bündnis »Ums Ganze« bis hin zur Verdi-Jugend und den Jusos sowohl radikale als auch überaus gemäßigte Linke.
Bereits vorab hatten mehrere Zeitungen, auch aus dem europäischen Ausland, über die Veranstaltung berichtet. Unter den Beiträgen befand sich ein erwartungsgemäß anklagender Artikel der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit, die versuchte, unter Berufung auf den Verfassungsschutz einen Skandal aus der vermeintlichen Gefährlichkeit der Veranstaltung zu machen. Auch das Berliner Boulevardblatt B.Z. zeigte sich empört und gab dem CDU-Abgeordneten Robbin Juhnke ein Podium für ein Lehrstück in Sachen Aufklärung über den Extremismus: »Fände dort ein Kongress mit Rechtsextremen statt – was genauso ekelhaft wäre –, dann wäre seine Amtszeit übrigens schon zu Ende!« Gemeint war die Amtszeit des TU-Präsidenten.
Trotz solcher Warnungen eröffnete ein Podium zur europäischen Rechten vor etwa 500 Teilnehmern den Kongress. Vertreter aus Frankreich, Ungarn, Schweden und Griechenland berichteten von den Entwicklungen in den jeweiligen Ländern. So spüre man in Schweden kaum die Konsequenzen der Wirtschaftskrise, im Gegensatz zu Frankreich, wo sich der Front National mit diesem Thema immer größere Wahlerfolge sichern könne, war zu erfahren. Die Referentin aus Ungarn führte den Aufstieg der rechtsextremen Partei Jobbik eher auf den Zusammenbruch des Realsozialismus zurück. Anders in Griechenland, wo der Erfolg der Goldenen Morgenröte seinen Ursprung ganz offensichtlich in der Krise hat. Das war zwar richtig, aber für jemanden, der in den vergangenen Monaten eine Zeitung aufgeschlagen hat, auch nicht neu. Es blieb beim Zusammentragen von Fakten und Berichten.

Tiefgründigeres sollte in den Workshops zu erfahren sein, wobei die Besucher sich zwischen bis zu sechs gleichzeitig stattfindenden Veranstaltungen entscheiden mussten. Etwa die Hälfte der Workshops befasste sich mit der Situation im europäischen Ausland. Die andere Hälfte beleuchtete unterschiedliche Aspekte und Probleme der Antifa-Bewegung in Deutschland. Neben Beiträgen zur Stadt-Land-Problematik, zu Antisexismus, Jugend-Antifa und Blockadebündnissen sollten auch die Geschichte und Erfolge der Antifa gewürdigt werden. Dies geriet jedoch zu nostalgisch und beschränkte sich auf Erzählungen aus den vergangenen 30 Jahren mit besonderem Blick auf die Großbündnisse in den Neunzigern. Analyse? Fehlanzeige. Antworten auf die Frage, welche Strategien der Vergangenheit wie zu bewerten seien und unter Umständen auch in Zukunft nützlich sein könnten, blieben aus.
Die obligatorische Kongressparty durfte hingegen nicht fehlen. Zuvor allerdings fand in einem vollbesetzten Hörsaal die letzte Podiumsrunde statt. Vertreter der IL, des Bündnisses »Ums Ganze« und Bianca Klose von der »Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus« sprachen miteinander, debattierten leider jedoch nicht. Dass die Beteiligten sich eher gegenseitig ergänzten, anstatt kontrovers zu diskutieren, lag vielleicht auch an der Absage von Verdi. Und so waren sich die Vertreter der beiden Bündnisse bis auf kleinere Unstimmigkeiten einig darüber, dass die AfD wegen ihres Ziels, die gesellschaftliche Diskussion weiter nach rechts zu verschieben, nicht mit klassischen Antifa-Konzepten zu bekämpfen, sondern mit den Waffen der Kritik zu schlagen sei. Nach einer Stunde der trauten Dreisamkeit, in der es auch um Unterkünfte von Geflüchteten, den NSU und Neonazis ging, lautete der Tenor: Es gibt auch abseits der Neonazis viel zu tun, Dialog ist wichtig und »Antifa-Feuerwehrpolitik« bringt in vielen Konflikten nichts.
Henning Obens von der IL äußerte sich während des Aufräumens zahlreicher Infotische und des für linke Verhältnisse vorzeigbaren Buffets zufrieden mit dem Ergebnis des Kongresses. Der Anspruch, die Kommunikation wiederherzustellen und die Praxis zu reflektieren, sei erfüllt worden. »Wir haben auch anhand der Teilnehmerzahlen festgestellt, dass ein enormes Interesse an einem Austausch besteht. Auffällig war der solidarische Ton. Viele Initiativen setzen sich mit dem Aufstieg rechter Gruppen auseinander, das Thema wird wieder lebendiger diskutiert, die Antifa macht sich wieder Gedanken um eine Handlungsfähigkeit.«

Auf die meist fehlenden gegensätzlichen Meinungen als Voraussetzung für eine Diskussion angesprochen, räumte er Schwierigkeiten ein, die Podien zu besetzen. Doch ganz grundsätzlich sagte er: »Wir wollten keinen Konflikt künstlich initiieren. Eine Debatte voranzubringen, ist uns wichtiger, als zwei Positionen aufeinanderkrachen zu lassen.«
Die völlig überfüllten Workshops zeigten in der Tat, dass viele der aus ganz Deutschland angereisten Besucher offensichtlich die Einschätzung teilen, die Antifa befinde sich in einer Krise. Der Kongress trug sicherlich dazu bei, diese Krise genauer zu beschreiben und die Gewissheit zu erlangen, mit der eigenen temporären Handlungsunfähigkeit nicht allein zu sein. Eine ergiebige Analyse wird unter Umständen ein zweiter Kongress liefern. Er ist bereits angekündigt.