In Brandenburg werden Konzert- und Partybesucher überwacht

Tanz die Überwachung

Der Brandenburger Verfassungsschutz überwacht nicht nur Punk-Bands, sondern auch Konzert- und Partybesucher.

Der Veranstaltungsort »Black Fleck« in Potsdam ist eine der wenigen Lokalitäten, in denen ein Rest des Flairs aus der Zeit erhalten ist, als die Hausbesetzerszene in der Stadt noch stark war. Äußerst beliebt ist die alljährliche Party am 24. Dezember. Nach dem Familienprogramm treffen diejenigen, die längst nach Leipzig, Hamburg oder Tegucigalpa gezogen sind, auf die Dagebliebenen. Die Party mag eine wichtige soziale Bedeutung haben, eine politische aber wohl kaum. Schon gar nicht scheint sie geeignet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erschüttern.

Dass gewisse Kreise das anders sehen, erfuhr der 24jährige Student Michael Bornstedt*, nachdem er im vergangenen Jahr »mehr aus Spaß«, wie er sagt, einen Antrag auf Auskunft darüber gestellt hatte, welche Daten der Brandenburger Verfassungsschutz über ihn speichert. Die Antwort überraschte nicht nur ihn. Es wurde mitgeteilt: »Sie besuchten am 24. Dezember 2011 die Weihnachtsparty im Szeneobjekt ›Black Fleck‹ in Potsdam, welches häufig von Linksextremisten besucht wird. (…) Zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde Brandenburg ist es erforderlich, die vorstehend aufgeführten Erkenntnisse zu speichern, weil tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, vorlagen und weiterhin vorliegen.«
Daraufhin riefen Potsdams linke Clubs und Kneipen dazu auf, weitere Anträge auf Aktenauskunft zu stellen. Mehr als 200 Personen kamen dem mittlerweile nach. Aus den vorliegenden Antworten ergibt sich ein Bild der umfassenden Überwachung der linken Subkultur in der Stadt. So speichert der Geheimdienst Daten der Besucher von Crustpunk-Konzerten und Techno-Partys, der »La Datscha«, des letzten besetzten Hauses in Potsdam, und des »Spartacus«, eines städtisch geförderten Jugendclubs. Er sammelt Informationen über Veranstaltungen mit 30 Teilnehmern und über Großevents.
Die in diesem Ausmaß absurd erscheinende Überwachung damit zu erklären, dass der Verfassungsschutz angesichts des Fehlens starker linker Gruppen in Brandenburg die eigene Existenz anders legitimieren muss, dürfte zu kurz greifen. Das wird beim Blick auf die Tätigkeit der Behörde in den vergangenen Jahren deutlich. Diese war Vorreiterin bei der Verwendung der seit den neunziger Jahren gegen rechtsextreme Bands eingesetzten Repressionsmaßnahmen gegen linke Musiker. Wichtig ist hierbei ein Vorfall von Ende 2009. Damals zeigte ein Angestellter eines evangelischen Jugendclubs in Neuruppin die Mitglieder der Punk-Band »Krachakne« wegen ihres Songs »Schieß doch, Bulle!« an, die Jugendlichen landeten vor Gericht. Der Brandenburger Verfassungsschutz wurde so auf das Thema linke Musik aufmerksam und stellte Anfang 2010 öffentlich fest: »Hassmusik ist nicht dem Rechtsextremismus vorbehalten.«
Kurz darauf begann die Behörde, Druck auf Veranstalter auszuüben, als linksextremistisch eingestufte Bands nicht auftreten zu lassen. Im Juni 2011 wurden auf der vom Verfassungsschutz organisierten Tagung »Kultur des Hasses – Ex­tremisten und Musik« die theoretischen Grundlagen für die Ausweitung der geheimdienstlichen Überwachung auf linke Musiker gelegt. Zugleich wurden Zensurmaßnahmen ergriffen. Im Mai 2011 wurde auf Antrag des Brandenburger Landeskriminalamts der Song »Bullenschweine« der bekannten Punk-Band Slime von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. Brandenburgs damaliger Innenminister und derzeitiger Ministerpräsident, Dietmar Woidke (SPD), begrüßte dies: »Der Song ›Bullenschweine‹ ist ein wirklich widerliches Beispiel für Hass in der Musik.«
In Brandenburg werden seither Punk-Bands geheimdienstlich beobachtet, regelmäßig werden Indizierungsanträge gestellt, denn für Brandenburgs Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) gilt: »Ebenso wenig wie der Staat Fremdenfeindlichkeit und Hass auf Ausländer akzeptieren kann und darf, kann er Aufrufe zur Gewalt etwa gegen Polizeibeamte hinnehmen.« Neben den Bands sind auch deren Proberäume und Auftrittsorte von Interesse. So wird im jüngsten Verfassungsschutzbericht bemängelt, dass »Kommunen (…) bei der Finanzierung autonomer Zentren« unberücksichtigt ließen, inwiefern sie damit Gegner des Rechtsstaats unterstützten. Dass neben Veranstaltungsorten und Bands auch einzelne Veranstaltungsteilnehmer überwacht werden, ist nur die Konsequenz daraus, dass der Verfassungsschutz die Existenz einer »linksextremistischen« Musikszene annimmt, die gemäß der ­Extremismusformel das Spiegelbild der seit Jahren kriminalisierten rechtsextremen abgeben soll.

Eine Ahnung von diesen Vorgängen scheinen zumindest einige Politiker der Linkspartei zu haben. Auf Anregung unter anderem des Landtagsabgeordneten Norbert Müller, der als Mitglied der Roten Hilfe selbst unter Extremismusverdacht steht, hat die Partei in ihren Programmentwurf für die Landtagswahlen im Herbst die For­derung aufgenommen: »Notwendig ist ein Ausbau der parlamentarischen Kontrolle über die Arbeit der Sicherheitsbehörden (…). Die Gleichsetzung linker Ideen mit faschistischem Gedankengut durch Totalitarismusdoktrin und Extremismustheorie verurteilen wir und setzen uns deswegen für ein Ende der Beobachtung linker Projekte durch den Verfassungsschutz ein.« Allerdings hat die Partei in den vergangenen Jahren als Koalitionspartner der SPD in der Landesregierung nicht einmal versucht, dem Verfassungsschutz Grenzen zu setzen.

* Name von der Redaktion geändert