Proteste gegen die Entsorgung syrischer Chemiewaffen im Mittelmeer

Gefährliche Experimente

Die syrischen Chemiewaffen sollen in internationalen Gewässern im Mittelmeer zerstört werden. Doch gegen die risikoreiche Operation regt sich Protest.

Das Vorhaben, die chemischen Waffen aus den Beständen des syrischen Diktators Bashar al-Assad zu vernichten, kann sich als sehr gefährlich erweisen. Die Waffen sollen Berichten zufolge mittels Hydrolyse in internationalen Gewässern zwischen Italien, Malta, Kreta und Libyen neutralisiert werden. Es wäre das erste Mal, dass ein solches Verfahren auf offener See stattfindet.
Die Operation soll an Bord des US-Marineschiffs MV Cape Ray unter Aufsicht der Vereinten Nationen und der internationalen Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) stattfinden. Es handelt sich um mehr als 700 Tonnen gefährlichen Materials, unter anderem Sarin und Senfgas. Belgien, Norwegen, Albanien, Frankreich und Deutschland hatten die Zerstörung der Waffen auf ihrem Hoheitsgebiet abgelehnt. Aus diesem Grund wurde entschieden, auf die internationalen Gewässer im Mittelmeer auszuweichen.
Das Institut Archipelagos für Meeres- und Umweltrecherche in der Ägäis bezeichnet die vorgesehene Zerstörung syrischer Chemiewaffen auf offener See als »Umweltverbrechen«. In einer Presserklärung des Instituts wird betont, dass die USA die Basler Konvention über die Kontrolle des Transfers gefährlicher Abfälle über Grenzen und deren Behandlung nicht unterzeichnet hätten. Die Forschungsleiterin des Instituts, Anastasia Miliou, behauptet, dass die Vereinten Nationen die internationalen Konventionen zum Schutz der Meeresumwelt und der Gesundheit missachteten, und warnt davor, einen gefährlichen Präzedenzfall im Mittelmeer zu schaffen. »Die Wahl des Ortes ist nicht zufällig, da viele Mittelmeerländer mit einer sehr starken Wirtschaftskrise und politischer Instabilität konfrontiert sind, was die Reaktion und die Wachsamkeit der Bürger beeinträchtigt«, heißt es in der Presserklärung des Instituts. Außerdem sei unklar, wer bei einem Unfall die Verantwortung übernehmen werde. Es sei auch kein Notfallplan bekannt. Die französische NGO Robin des Bois verlangt, dass das US-Marineschiff abgezogen wird, da es mit 36 Jahren bereits zu alt sei. Griechische Bürgerinitiativen sowie Wissenschaftler, aber auch Einwohner Kalabriens wehren sich nun gegen die geplante Operation und klagen über mangelnde Transparenz.

Später Nachmittag im Rathaus der Stadt Chania in Westkreta. Im großen Saal beraten Aktivisten, lokale Politiker und Anwohner. Giannis Malandrakis, Bürgermeister des touristischen Vorortes Platanias, klagt: »Die Regierung antwortet auf unsere Fragen mit vagen Hinweisen auf Ereignisse, die mit der Operation zu tun haben, aber ohne konkrete Termine und Daten zu nennen. Das Schlimmste aber ist, dass die Regierung als EU-Ratsvorsitzende nicht darauf besteht, dass unabhängige Beobachter aus Griechenland an dem Verfahren teilnehmen können.« Falls die Operation erfolgreich durchgeführt werde, drohe das Mittelmeer in der Zukunft zu einer weltweiten Mülldeponie für chemische Waffen zu werden, fürchtet Malandrakis.
Athina Giannoulaki moderiert die Diskussion. Sie ist Gewerkschafterin und Mitglied einer lokalen Aktivistengruppe. Obwohl das Thema in den lokalen Medien sehr präsent ist, fürchten manche Einwohnerinnen und Einwohner Kretas, dass eine Debatte auf internationaler Ebene dem Tourismus schadet. Doch Giannoulaki glaubt, dass gerade der Tourismus ein sehr wichtiger Grund sei, um das Thema an die breite Öffentlichkeit zu bringen. »Das Wachstum unseres Landes hat mit der Sauberkeit unserer Umwelt zu tun. Erstens, damit wir hier leben können, und zweitens, damit die Millionen Besucher unser Meer, unsere Luft und die Sonne genießen können«, betont sie.
Ein paar Kilometer weiter, in einem Hörsaal der Technischen Universität von Kreta, spricht Evangelos Gidarakos, Professor für Umwelttechnik, über Risiken bei der Zerstörung von Chemiewaffen auf offener See. »Es handelt sich um ein Material, dessen Zusammensetzung wir nicht genau kennen. Nicht einmal die Experten sind sich sicher. Sie werden also eine Substanz verwenden und darauf andere Reagenzien anwenden. So werden unterschiedliche Abfälle produziert. Diese sind zwar nicht so giftig wie das Ausgangsmaterial, aber immer noch gefährlich«, warnt er.

Nach Schätzungen von Experten wird nach der Hydrolyse das Endprodukt bis zu 14 Mal umfangreicher sein als zu Beginn, das heißt, es werden etwa 9 800 Tonnen toxischen Mülls produziert. Nach Angaben der OPCW sollen dabei keine Schadstoffe ins Meer gelangen. Geplant ist ein Abtransport über den Landweg mit Endlagerung an unterschiedlichen Orten, zum Beispiel in Deutschland. Wann genau das Vorhaben stattfinden soll, ist nicht bekannt, da es sich um eine Militäroperation handelt. »Wir arbeiten im Dunkeln und fischen Informationen aus dem Internet. Wir kennen nur die Fragen, nicht die Antworten«, sagt Petros Lymberakis, Biologe im Museum für Naturgeschichte in Heraklion auf Kreta.
Die Tatsache, dass das syrische Regime die vom UN-Sicherheitsrat gesetzte Frist für den Abtransport der Chemiewaffen mehrmals nicht eingehalten hat, verzögert den Prozess. Nach Angaben der OPCW sind inzwischen mehr als 92 Prozent der vom Regime deklarierten Stoffe außer Landes geschafft worden. Norwegische und dänische Schiffe bringen Teile der heiklen Fracht derzeit in den kalabrischen Hafen Gioia Tauro, wo diese auf die MV Cape Ray umgeladen werden. Italienischen Medienberichten zufolge soll die Umladung bis Mitte Mai vollzogen sein.
Einwohnerinnen und Einwohner Kalabriens protestieren seit Monaten gegen die Operation in ihrem Gebiet. Die Protestbewegung ist jedoch nicht so stark wie diejenige auf Kreta. »Die Behörden haben die Einwohner nicht über die Gefahren informiert. Es gab Berichte in den Medien für ein paar Tage und dann eine ohrenbetäubende Stille. Anfangs haben manche der lokalen Politiker uns unterstützt. Jetzt haben sie uns alleine gelassen«, so Domenico Pirrottina, Mitglied einer Bürgerinitiative in San Ferdinando in Kalabrien.

Auf Kreta haben seit Anfang des Jahres bereits dreimal große Proteste stattgefunden, denen griechische und internationale Medien kaum Aufmerksamkeit schenkten. Die Protestbewegung werde von mehr als 600 Personen und Organisationen unterstützt, darunter Ärzte- und Anwaltsverbände und Geistliche der Erzdiözese Kretas, so Katerina Fouraki, Deutschlehrerin und Mitglied der Bürgerinitiative gegen die Zerstörung der Chemiewaffen im Mittelmeer. Vor kurzem wurde am Obersten Gerichthof Griechenlands eine Beschwerde aufgrund von Unregelmäßigkeiten im Verfahren eingereicht. Die Initiatoren planen, sich auch an europäische Gerichte zu wenden. Dazu wollen sie auch zusammen mit griechischen Abgeordneten, EU-Parlamentariern, Lokalpolitikern und anderen mit Schiffen an der Stelle protestieren, wo die Operation geplant ist.
Besonders groß ist der Protest der etwa 80 Bewohnerinnen und Bewohner der winzigen Insel Gavdos im Libyschen Meer, die zu Griechenland gehört und den südlichsten Punkt Europas darstellt. Aus Protest gegen die geplante Operation wollen sie die EU-Parlamentswahlen boykottieren. Sie fordern zudem, dass diejenigen Länder, die die Chemiewaffen produziert haben, diese auch zerstören.