Der Berliner Volksentscheid über die Nutzung des Tempelhofer Feldes

Ende Gelände?

Am Sonntag wird in Berlin in einem Volksentscheid über die Nutzung des Tempelhofer Feldes abgestimmt.

Die Frage nach der Zukunft der 386 Hektar großen Brachfläche inmitten von Berlin erhitzt die Gemüter. Für die einen ist das Gelände ein in den Metropolen der Welt einzigartiges Biotop zum Skaten, Gärtnern, Kitesurfen oder Juggerspielen – für die anderen vor allem ein lukratives Investitions- und Stadtteilaufwertungsobjekt und Magnet für die Yuppies von morgen. Am 25. Mai wird nun in einem Volksentscheid parallel zur Europawahl über die künftige Nutzung des Geländes abgestimmt, doch nicht nur darüber. Manfred Kühne, Leiter der Abteilung Städtebau in der Senatsverwaltung, sagte bei einer Veranstaltung der Taz, es werde »auch eine Abstimmung über den Senat und den regierenden Bürgermeister sein«. An der Wahl darf sich jedoch nicht jeder beteiligen: rund 440 000 Berliner ohne deutschen Pass sind ausgeschlossen, darunter etwa 100 000 Anwohner rund um das Tempelhofer Feld.

Zur Abstimmung steht der Vorschlag »Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes« der Bürgerinitiative »100 % Tempelhofer Feld«, die das Gelände als innerstädtischen Freiraum erhalten möchte und eine Bebauung und Privatisierung ablehnt. Zudem soll das Tempelhofer Feld als Lebensraum für Pflanzen und Tiere geschützt sowie als historische Stätte und Gedenkort erhalten bleiben. Die Initi­ative konnte trotz geringer Mittel 185 000 gültige Unterschriften für ein Volksbegehren sammeln, nach anfänglichem Zögern wird sie von den Grünen, der Linkspartei und der Piratenpartei unterstützt. Der rot-schwarze Senat konterte mit einem eigenen Gesetzesentwurf mit dem Namen »Gesetz zum Erhalt der Freifläche des Tempelhofer Feldes«.
Der sogenannte Masterplan des Berliner Senats für das Projekt »Tempelhofer Freiheit« sieht eine freie Innenfläche von 230 Hektar und eine »behutsame Randentwicklung« vor. Neben Geschäften, Straßenerschließung und der neuen Landeszentralbibliothek sollen 4 700 Wohnungen entstehen. Zwei landeseigene Wohnungsbaugesellschaften sollen davon 1 700 Wohnungen errichten, wovon 850 Wohnungen, die öffentlichkeitswirksam als »sozialer Wohnungsbau« angepriesen werden, eine Preisbindung von sechs bis acht Euro Kaltmiete pro Quadratmeter erhalten. Taktisch wird bei den Wählern Angst vor einem Erfolg der Bebauungsgegner geschürt, da deren Gesetzentwurf »Stillstand« und das Fehlen »dringend benötigter Wohnungen« bedeuten würde. Panisch verkündet Bausenator Michael Müller (SPD): »Wir müssen so schnell wie möglich diese vielen Menschen mit Wohnraum versorgen, bis zu 10 000 Wohnungen brauchen wir dafür.« Zudem gibt es eine umstrittene Studie des Senats, in der festgestellt wird, dass die Kosten bei Nichtbebauung des Feldes bei 300 Millionen Euro liegen, da bei weniger Wohnungen in der Innenstadt mehr Berliner mit dem Auto zur Arbeit pendeln müssten.

Die Argumente des Senats sind fragwürdig. Der Stadtsoziologe Andrej Holm klärt in einem Artikel im Tagesspiegel auf, dass zu geringe Neubauzahlen erstmal nur bedeuten, dass es zu einer Wohnungsnot kommen kann, wenn nicht alle Wohnungssuchenden mit Wohnungen versorgt werden können. Aber: »Die Mieten steigen eben nicht, weil zu wenige Wohnungen gebaut werden, sondern weil es keine Beschränkungen für das Geschäft mit Wohnbestandsimmobilien gibt.« Auch auf dem Tempelhofer Feld werden Investoren auf ihre Kosten kommen wollen, egal ob als privatwirtschaftliches oder landeseigenes Unternehmen. Eine Nettokaltmiete von sechs bis acht Euro ist für viele Haushalte mit geringem Einkommen, Grundsicherung im Alter oder Hartz-IV-Bezug nicht zu finanzieren. Die zeitliche Befristung der Mietpreisbindung lässt an einer langfristigen Nutzung als sozial geförderte Wohnungen zweifeln. Wohnungsbaugesellschaften wie die Gewobag haben zudem mit starken Mieterhöhungen bei Neuvermietungen und durch Räumungen bewiesen, dass auch landeseigene Unternehmen nicht zwangsläufig mieterfreundlich agieren müssen. Der Senat versichert zwar, dass das Mietpreisniveau der restlichen 3 850 Wohnungen noch nicht festgelegt sei, doch lassen Lage, der Anstieg des Mietspiegels und Renditeerwartungen darauf schließen, dass man sich preislich an der gut situierten Mittelschicht mit Raum nach oben ausrichten wird. Darüber hinaus gibt es einer Senatsstudie zufolge 2 900 Hektar innerstädtische Reserveflächen, auf denen weitaus preiswerter gebaut werden könnte. Für die Erschließung und Bebauung des Tempelhofer Feldes dagegen müssen 600 Millionen Euro durch das Land Berlin aufgebracht werden, welche letzlich auf die Stadtbewohner umgelegt werden.

In den vergangenen zehn Jahren wurden rund 200 000 landeseigene Wohnungen an private Investoren verkauft. Über Jahrzehnte wurden zuvor häufig Steuergelder in »Sanierungsgebieten« in den maroden Baubestand investiert, der nun in Eigentumswohnungen umgewandelt und an den Höchstbietenden verkauft wird. Der spärliche Neubau von Wohnungen richtet sich an Menschen mit mittleren bis hohen Einkommen. Für Holm ist der soziale Wohnungsbau »nichts anderes als ein sehr teures Wirtschaftsförderprogramm. Mietpreis- und Belegungsbindungen bleiben auf den Charakter einer sozialen Zwischennutzung beschränkt, die im Rahmen der Förderprogramme durchgesetzt werden, solange der Staat die Gewinne der Privaten sichert.« Propagierte Instrumente wie die sogenannte Mietpreisbremse dienten lediglich als »Mittelschichtsbefriedungsprogramm«.
Die Berliner Politik ist entgegen ihrer Aussagen nicht auf die Einschränkung, sondern auf die Sicherung der immobilienwirtschaftlichen Gewinne ausgerichtet. Dabei nimmt sie die Verdrängung eines beachtlichen Teils der Anwohner in Kauf. Es geht mittlerweile aber um weit mehr. Der Konflikt um die Nutzung des Tempelhofer Feldes ist auch ein symbolischer geworden. Wie werden Anwohner in die Stadtplanung einbezogen? Was für eine Stadtentwicklung will die Bevölkerung? Und wer hat die Autorität, diese Entscheidungen zu treffen? In diesem Sinne gehe es, so Holm, nicht um ein paar tausend Wohnungen, sondern um »Partizipation, Selbstermächtigung und Transparenz«. Den überforderten Parteien stehen dabei von der Stadtpolitik frustrierte Anwohner und Mieterinitiativen wie »Kotti & Co« oder das Bündnis »Zwangsräumungen verhindern« gegenüber. Mit kollektiven Mietsenkungen, Volksbegehren für die Rekommunalisierung von Energie- und Wasserwerken oder Blockaden von Räumungen wird ein »Recht auf Stadt« eingefordert und Aufmerksamkeit geschaffen. Ein Erfolg für den Gesetzesentwurf von »100 % Tempelhofer Feld« würde diese Initiativen stärken und über die Stadt Berlin hinaus ein Zeichen senden. Aber auch unabhängig vom Ausgang des Volksentscheids dürfte die Vernetzung der Projekte voranschreiten. Denn eine Erfahrung wurde gemacht in den letzten Jahren: Eine soziale Wohnungs- und Stadtpolitik kann nur gemeinsam durch die konsequente Einschränkung von Verwertungsinteressen zustande kommen.