Ligenreform in England

Bückware vierte Liga

Eine Ligenreform soll den englischen Fußball erfolgreicher machen – Fans dagegen fürchten um die kleinen Vereine.

Man kann eigentlich schon jetzt die Uhr danach stellen. Spätestens wenn am 1. Juni die Rückspiele der Aufstiegsrunde zur dritten Liga zu Ende sind und wieder einmal zwei oder drei Teams, obwohl sie doch Meister geworden sind, den Aufstieg verpasst haben werden, wird es wieder eine Debatte darüber geben, wie ungerecht das Ligensystem im deutschen Männerfußball doch ist – obwohl es in den vergangenen Jahren schon unzählige Reformen gegeben hat.
In England hingegen ist seit der Einführung der Premier League 1992 nur sehr wenig am Ligensystem geändert worden. Jetzt jedoch wird eine Reform mit drastischen Auswirkungen diskutiert. Eine neue Liga solle eingeführt werden, so der Plan des neuen FA-Vorsitzenden Greg Dyke, der sich auf die Expertise einer illustren Kommission beruft, der er selbst angehörte. Das Gremium war einberufen worden, weil die englische Nationalmannschaft seit Jahren nicht mehr zur Weltspitze gehört. Doch während bei anderen Vorschlägen der Kommission, wie die Begrenzung der Zahl von Nicht-EU-Ausländern in der Premier League, tatsächlich ein gewisser Zusammenhang zum ausgegebenen Ziel »Stärkung des einheimischen Fußballs« erkennbar ist, scheint die Ligenreform unausgegoren.
Die Reform sieht vor, zur Saison 2016/17 unterhalb der League 2, also der vierten Liga, eine neue League 3 einzuführen, die in ihrer ersten Saison die obere Hälfte der jetzigen fünften Liga Conference Premier sowie zehn B-Teams von Vereinen der Premier League umfassen soll. Später sollen diese B-Teams bis in die dritte Liga, also die League 1 aufsteigen können. Was hingegen mit möglichen B-Teams der anderen zehn Premier-League-Vereine (oder gar mit denen von Absteigern) geschehen soll, wurde offenbar nicht überlegt.
Genauso wenig scheinen Dyke und seine Kommission die mittel- und langfristigen Folgen ihrer Reform erwogen zu haben.
Das holen nun andere um so gründlicher nach: Die Tageszeitung Daily Mail etwa weist darauf hin, dass kleinere Vereine finanziell unmöglich mit den B-Teams der großen Vereine mithalten können, deren Nachwuchsspieler oft ein Mehrfaches dessen verdienen, was in der heutigen vierten oder fünften Liga üblich ist. Lewis Horwell, Fan des Fünftligisten Grimsby Town und einer der schärfsten Kritiker der Reform, prophezeit entsprechend, die Reform werde »Jahre der Tradition zerstören und den englischen Fußball für die echten Fans ruinieren«.
Auch wenn immer Vorsicht geboten ist, wenn jemand Fans in echte und unechte einzuteilen versucht, scheint die Sorge von Kritikern wie Horwell im Kern doch berechtigt. Die Kommission hatte schließlich nur die Aufgabe, sich mit dem englischen Spitzenfußball auseinanderzusetzen, und genau das hat sie getan. Alles andere, vor allem die möglichen Auswirkungen auf die unteren Ligen, war schlicht kein Thema.
In der gerade so heftig geführten Diskussion führen beide Seiten interssanterweise immer wieder das Beispiel Spanien und die zweiten Mannschaften von Real Madrid und FC Barcelona an. Dabei wäre die Situation in Deutschland ein viel näherliegendes Beispiel: Auch hier nehmen B-Teams, nämlich die U23-Mannschaften, am regulären Ligabetrieb teil und auch hier dürfen sie nicht weiter als bis zur dritten Liga aufsteigen. Darüber wurde in der Vergangenheit häufig diskutiert, und wie in England beschworen die Befürworter die Talentförderung, die Gegner die Tradition. Heute, sechs Jahre nach Einführung der dritten Liga in Deutschland, ist festzustellen, dass der erwartete Untergang des Abendlandes ausgeblieben ist. In der abgelaufenen Saison spielten gerade einmal zwei U23-Mannschaften in der dritten Liga: Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart. Die meisten Nachwuchsteams der Erst- und Zweitligisten kicken eine Liga darunter in den Regionalligen. Ob zum Beispiel die sechs Zweitvertretungen in der Regionalliga Bayern wirklich um so vieles unattraktiver sind als die Spitzenteams der darunterliegenden Bayernliga, wie etwa FC Pipinsried oder Jahn Forchheim, darf bezweifelt werden.
Als Instrument der Talentförderung haben sich die U23-Mannschaften dagegen durchaus bewährt. Nahezu alle derzeitigen deutschen Nationalspieler haben zeitweise für die Zweitvertretung eines Bundesligisten gespielt und so den Übergang vom Jugendbereich in den Spitzenfußball geschafft. Gleichzeitig bestehen auch die Kader vieler Zweit- bis Viertligisten aus Spielern, die in den Nachwuchsleistungszentren der Spitzenteams eine Ausbildung erhielten, wie sie nur sehr wenige der kleineren Vereine anbieten können. Viel mehr kann in Sachen Nachwuchsförderung eigentlich nicht erwartet werden. Die Situation in England ist anders. Hier gibt es seit 2012 die Professional Development League, die wiederum aufgeteilt ist in U18- und U21-Ligen – ein Versuch, die 1999 eingeführte Premier Reserve League durch ein besseres System zu ersetzen. Ob es erfolgreicher ist, kann derzeit noch nicht entschieden werden. Was den Einsatz und die Härte im Zweikampf angeht, wirken die Partien hier jedoch oft wie bessere Freundschaftsspiele.
Auf Interesse stoßen die Spiele der unteren Ligen kaum. Außer bei der U21 von Chelsea kommen in der laufenden Saison überall weniger als 1 000 Zuschauer zu den Matches. Dass Fans keine Lust haben, ihre Teams gegen diese Ladenhüter spielen zu sehen, ist durchaus nach­vollziehbar, zumal derzeit selbst in der dritten und vierten Liga die meisten Vereine im Durchschnitt deutlich höhere, meist fünfstellige Besucherzahlen vorzuweisen haben. Die Fanorganisation Supporters Direct hat nun sogar eine Petition gegen die geplante League 3 ins Leben gerufen, die mittlerweile von über 30 000 Menschen unterzeichnet worden ist.
Doch selbst von der zehnfachen Anzahl an Unterschriften würden sich Dyke und der Fußballverband FA wohl kaum beeindrucken lassen. Zumal den meisten Fußballfans die unteren Ligen ziemlich egal sind – sie wollen Spitzenleistungen von Spitzenteams sehen. Für den Charme des Lincolnshire Derbys zwischen Grimsby Town und Lincoln City und das Essex Derby zwischen Colchester und Southend United interessieren sich jenseits der jeweiligen County-Grenzen nur eine Handvoll eingefleisch­ter Fußballenthusiasten, während Fernsehübertragungen von Chelsea gegen Arsenal selbst in Abidjan und Bangkok die Kneipen füllen.
Im globalen Supermarkt des Fußballs gehört die vierte Liga Englands ganz klar zur Bückware. Dass nur wenige Menschen den Charme und die Schönheit dieses Fußballs zu schätzen wissen, mag man bedauern – ändern wird man daran so schnell nichts. An das Herz der Reformer des englischen Fußballs zu appellieren, dürfte daher auch wenig Aussicht auf Erfolg haben. Stattdessen sollten die Kritiker lieber versuchen, einen praktikablen Gegenvorschlag zu unterbreiten. Denn dass der englische Fußball ein Problem hat, ist offensichtlich. Die Nationalelf rangiert in der Fifa-Welt­rangliste nicht einmal mehr unter den Top 10 und der englische WM-Kader ist der Internetseite www.transfermarkt.de zufolge nur etwa halb so viel wert wie der deutsche oder der spanische. Für einen Verband, der sich selbst zur Weltspitze zählt, ist das definitiv zu wenig. Eine Reform scheint also durchaus angebracht. Aber vielleicht nicht gerade diese.