Die Folgen des Wahlsiegs der Hindunationalisten in Indien

Modifikation mit Modi

Das rechte Parteienbündnis hat die Parlamentswahl in Indien gewonnen, die bisher regierende linkssäkuläre Kongresspartei erlitt eine historische Niederlage. Der politische Rechtsruck könnte das gesellschaftliche Leben in Indien nachhaltig verändern.

Im indischen Linksverkehr soll regelkonform rechts überholt werden – im Alltag setzt sich durch, wer am meisten Kraft aufbringen kann und dabei lautstark hupt. Auf Narendra Modi, Spitzenkandidat des rechten Parteienbündnisses der Nationaldemokratischen Allianz (NDA) unter Führung der hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP), trifft all das zu. So betrieb die BJP einen Wahlkampf mit einem für Indien bislang unbekannten medialen Aufwand. Alles war auf den »Erneuerer« Modi zugeschnitten, der den allgemein erhofften Wohlstand bringen soll.
Modi reiste mehr als 300 000 Kilometer durchs Land und absolvierte 437 große Wahlkampfveranstaltungen. Diesem »TsuNaMo« konnte man sich nur schwer entziehen. So dominierte der überzeugte Anhänger des Hindutva (einer Form des Hindu-Nationalismus) mit zweifelhaftem Ruf (Jungle World 14/2014) die wohlwollende bis anbiedernde Berichterstattung der Medien, twitterte ununterbrochen und war dank großzügiger Spenden mit Werbung in Tageszeitungen, an Häuserwänden, in sozialen Netzwerken und langen Wahlkampfspots zur Hauptsendezeit omnipräsent. Für etliche seiner Spender aus finanzstarken Kreisen dürfte sich jede gespendete Rupie allein schon wegen der Kurssteigerungen an den indischen Börsen während des Wahlkampfs und nach Verkündung von Modis Siegs mehrfach gelohnt haben.

Bei einer hohen Wahlbeteiligung von 66,4 Prozent der 814 Millionen Wahlberechtigten errang die BJP allein 282 Sitze. Die NDA sicherte sich 336 von 543 Sitzen in der Lok Sabha, dem indischen Parlament. Als zweitstärkste Kraft im Parteienbündnis konnte die hindufaschistoide Shiv Sena aus Maharashtra 18 Sitze gewinnen. Die bisher regierende Kongresspartei (INC), die stets zumindest numerisch die Mehrheit stellte, hat nur noch 44 Abgeordnete. Ihr Bündnis der Vereinten Progressiven Allianz (UPA) kommt zusammen auf gerade mal 58 Sitze. Damit liegt die UPA sogar hinter dem temporären Wahlbündnis der Dritten Front (TF) aus regionalen und linken Parteien. Die stärkste Partei des TF-Bündnisses und drittstärkste Partei insgesamt wurde mit 37 Sitzen die ADMK, die südindische Haus- und Hofpartei der früheren Schauspielerin J. Jayalalithaa. Die beiden kommunistischen Parteien CPM und CPI kamen insgesamt auf zehn Sitze. Im Lager der Unabhängigen hob sich die 1997 vom Kongress abgespaltene AITC um Mamata Banerjee, die Ministerpräsidentin West Bengalens, mit 34 Sitzen hervor. Die Anti-Korruptionspartei AAP errang zum ersten Mal vier Sitze, allerdings nur im Unionsstaat Punjab, in der Hauptstadt Delhi konnte sie zwar insgesamt 32,9 Prozent der Stimmen gewinnen, musste sich aber der BJP geschlagen geben. 1,1 Prozent aller Wahlberechtigten nutzten das erstmalige Angebot, auf den Wahlmaschinen den Knopf »keine der oben genannten Auswahlmöglichkeiten« zu drücken.
Allerdings verzerrt das Mehrheitswahlprinzip das Ergebnis, denn landesweit gewann die BJP nur 31 Prozent und der INC 19,3 Prozent aller Stimmen. Ein besonderes Opfer des Prinzips stellt die BSP dar – die Partei vieler Kastenlosen (Dalits) und Niedrigkastigen wurde nach Stimmen mit 4.1 Prozent landesweit zwar drittstärkste Kraft, konnte sich aber in keinem Wahlkreis an die Spitze setzen und verlor alle 21 Sitze, die sie bisher im Parlament hatte. Nicht einmal zwei Dutzend der Abgeordneten sind muslimischen Glaubens, das steht im starken Missverhältnis zum Anteil von über 14 Prozent in der Bevölkerung.

Am Montagabend voriger Woche fand vor 3 000 geladenen Gästen die Vereidigung des neuen Premierministers Narendra Modi auf den Stufen des Rashtrapati Bhavan statt, des im viktorianischen Stil erbauten Präsidentenpalastes und einstigen Amtssitzes des britischen Vizekönigs in Delhi. Neben nationalen Politikern waren zahlreiche Gäste aus Wirtschaft, Medien und Bollywood anwesend. Für besonderes Aufsehen sorgte die Teilnahme des pakistanischen Premierministers Nawaz Sharif, der zusammen mit fünf anderen Staatsoberhäuptern sowie dem Parlamentspräsidenten Bangladeschs aus dem Kreise der Südasiatischen Vereinigung für regionale Kooperation (SAARC) angereist war. Zum ersten Mal nahm ein pakis­tanischer Premier an einer Amtseinführung im verfeindeten Bruderland teil. Modi und Sharif überboten sich im Austausch von Freundlichkeiten und stellten eine Wiederbelebung des Friedensprozesses in Aussicht. Afghanistans noch amtierender Präsident Hamid Karzai soll mit dem Gastgeber in Hindi parliert haben und Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapaksa hatte Modi schon vor dessen Vereidigung mit der Freilassung inhaftierter indischer Fischer ein Geschenk gemacht.
Auf große Zustimmung stößt die Verkleinerung des Kabinetts, das nun nur noch 23 statt 28 Ministerposten, sechs davon Frauen, und 22 statt 43 Staatssekretäre umfasst, darunter nur eine Frau. Allerdings sind fast alle Minister Hindus, etliche von ihnen verfügen über Beziehungen zum Nationalen Freiwilligenkorps (RSS). Die einzige Muslima im Kabinett wurde Ministerin für Minderheiten und eine Sikh wurde Ministerin für Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie. Es zeichnet sich ab, dass Infrastrukturprogramme fortan Vorrang haben sollen, was Industrie und Handel zugute käme. Kleinbauern und Parzellenbewohnern, die entlang neuer Trassen, Häfen, Wirtschaftszonen und Großprojekten wohnen und arbeiten, dürfte das jedoch Probleme be­reiten.
Umweltschutz trifft nun auf Religion, denn der heilige Fluss Ganges und die Stadt Varanasi sollen gereinigt werden. Für soziale Konflikte könnte auch sorgen, dass Förderprogramme für Frauen und Jugendliche die bisherigen Maßnahmen für Kastenlose, rückständige Kasten sowie religiöse Minderheiten ersetzen sollen.
Problematisch könnte sich die Tendenz zu einem neuen hindunationalistischen Mainstream entwickeln. Bereits derzeit reagieren viele bislang kritische Stimmen mit vorsichtiger Selbstzensur, um nicht Ziel ungehemmter, nationalchauvinistischer Shitstorms zu werden, die bereits während des Wahlkampfs zugenommen hatten. »Verschwinde doch nach Pakistan!« lauteten die Hassbotschaften in Fällen, die noch als harmlos galten. Im Bereich von Bildung und Wissenschaft lässt sich eine größere Einflussnahme hindunationalistischen Gedankenguts beobachten, durch die Umschreibung der Schulbücher könnten jüngere Generationen indoktriniert werden.

Schon derzeit knicken selbst große Buchverlage wie Penguin India vor Kritikern aus dem rechten Lager ein, die sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt sehen, beispielsweise durch Wendy Donigers »The Hindus: An Alternative History« – einem Buch, das sich der Geschichte des Hinduismus jenseits der brahmanischen Deutungshoheit widmet. Nicht wenige BJP-Kader haben ein reaktionäres Frauen- und Familienbild. Die intolerante Sexualmoral vieler Hindunationalisten, wie in großen Teilen der indischen Gesellschaft allgemein, sorgt nicht nur in queeren Communities für düstere Stimmung. Aber vielleicht sorgt Modi auf diesem Gebiet für Überraschungen, wenn er sich altindischer Tempelreliefs und der Liebesabenteuer etlicher Götter entsinnen würde. Und diejenigen, die derweil vom wieder erstarkenden Wirtschaftsaufschwung profitieren würden, könnten ja bis dahin immerhin Shoppen gehen – und der Rest darf zuschauen, hoffen und jubeln.