Zum Beginn der Fußball-WM

Mitschuldiges WM-Fieber

Kaum eröffnet, gibt es über die Fußball-Weltmeisterschaft schon viel zu sagen. Auch von Autoren der Jungle World.

Ferienhaftes Fußballgucken

Die mexikanische Freundin war traurig, dass wir keine Spiele zusammen gucken, weil sie die WM boykottiert. Ich gucke unter Vorbehalt fast alles. Vielleicht war es aber doch anders als sonst; ich wollte mich nicht in diese WM hineinsteigern, hatte mich auch an keiner Tipprunde beteiligt und eigentlich überhaupt keinen Plan. Ich wusste nur, es würde wieder toll sein, dieses ferienhafte Fußballgucken, das Soziale, selbst allein zu Haus noch mit offenen Fenstern und zwei Balkone weiter eine Nachbarin mit kroatischem Fähnchen. In solchen Zeiten ist das Freien-Dasein schön. Das ständige Berauschtsein, der Sommer. Um drei Uhr morgens Fußballgucken. Die Vorrunde ist am schönsten. Es soll nicht alles wie immer sein. Ich dachte an den WM-Auftakt vor vier Jahren, an den Klang der Vuvuzelas und so weiter. Und dass der Trainer der Mexikaner »die Laus« genannt wird, weil er nur 1,69 groß ist, und ein anderer Spieler »Entengesicht«. Meine Lieblingsmannschaft heißt »Japan«. Andere werden hinzukommen.
Detlef Kuhlbrodt

Mitschuldig

Eigentlich wollte ich das Eröffnungsspiel gar nicht sehen. Länderspielpausen sind für mich immer ein Elend, selbst dann, wenn der Clubfußball wirklich Pause hat. Bei den Holländern, die ich seit 1990 (Rijkaard versus Völler) verehre und seit 1998 (die traumhaften Auftritte in Frankreich) liebe, wollte ich natürlich einschalten. Bei den Spaniern vielleicht auch. Doch dann kam, was immer kommt, wenn man sich eigentlich nur amüsieren will. Jakob Augstein verkündete, dass jeder, der die WM im Fernsehen ansehe, sich mitschuldig mache an der Korruption der Fifa, den Unruhen in Bra­silien und so weiter. Meine erste Reaktion war: Wieso ich und nicht Israel? Ich kam zu keiner Antwort. Also schaltete ich doch ein. Es hat mich einfach interessiert, wie es sich anfühlt, mitschuldig zu sein an Polizeiterror, Korruption und ähnlichem. Aber auch heute, Tage später, spüre ich immer noch nichts. Vielleicht bedarf es dazu der Bewusstseinslage eines emanzi­pativen Kritikers, der seine angewöhnte Feindschaft gegen Vergnügen und Zerstreuung mit einem Kranz rationaler Argumente umgeben muss, damit nicht offenbar werde, dass es ihn einfach nur ankotzt, wenn eine große Menge von Menschen Freude bei einer Sache hat, ohne ihn dafür um Erlaubnis gefragt zu haben.
Felix Bartels

Sprays und verpasste Möglichkeiten

Zweieinhalb Tage lang hatte es so ausgesehen, als wäre bei dieser WM vielleicht mal alles nicht wie immer: Es gab keine langweiligen Spiele, keine Arbeitssiege von Favoriten gegen Underdogs, keine langweilige Unentschieden und also insgesamt viel Grund zur Hoffnung, dass diesmal vielleicht ein Überraschungsteam Weltmeister werden könnte und nicht BrasilienDeutschlandSpanienItalien.
Dann aber kam der Sonntag, mit viel elendigem Rumgekicke und vorhersehbaren Ergebnissen. Was insgesamt gar nicht so schlimm war, denn damit war viel Zeit, sich auf die wunderbarste Neuerung zu konzentrieren, die es im Fußball je gab, die sprühsahneähnliche Substanz, mit der Schiedsrichter nun markieren, wo beispielsweise bei Freistößen der Ball liegen muss und wo die Mauer zu stehen hat. Wären Referees nur leidlich kreative Menschen, ergäben sich daraus viele super Möglichkeiten, das Spiel zu verschönern. Würde ein Unparteiischer etwa die Umrisse eines Elfmeterschindenwollers, der sich nach einer nicht existenten Attacke auf dem Boden windet, mit dem Spray nachzeichnen und ihm gleichzeitig erklären: »Für später, wenn ich mit dir fertig bin«, hätte das sicherlich große erzieherische Wirkung und äußerst unterhaltsam wäre es außerdem – aber nein, gesprüht wurde bisher nur so wie vorgesehen. Bleibt nur die Hoffnung. Auf kreative Schiedsrichter und auf einen Außenseiterweltmeister. Und der kann nur Elfenbeinküste heißen. Und Drogba.
Elke Wittich

Mir doch egal
Ich war in einem früheren Leben Fußballtorwart, bin jetzt aktiver Schiedsrichter und außerdem schon seit einer ganzen Weile Schiedsrichterbeobachter – und stehe entsprechend jedes Wochenende auf oder am Rande von Leipziger Fußballplätzen. Fußball in­teressiert mich also. Wenn mich aber jemand fragt, ob ich gestern das Spiel gesehen hab, lautet meine Antwort: »Nee, mir doch egal, wer da rumrumpelt.« Klar, ich diskutiere über dieses seltsame Freistoßspray und ob es das entwürdigende Vor-der-Mauer-Rumkriechen des Schiris wert ist. Oder warum die Besten der Besten es nicht schaffen, Tätlichkeiten zu ahnen, die »jeder gesehen hat«, wie die von Sportfreund Cahill bei Chile gegen Australien. Und warum es für solche Fälle denn immer noch keinen Videobeweis gibt. Angesichts jeder Menge zusätzlicher Offizieller und Torlinientechnik ist das Argument, die Regeln müssten überall und für alle gleich sein, ja sowieso unhaltbar. Es ist also nicht so, dass ich uninteressiert an der WM wäre. Aber welche Mannschaft da gerade spielt? Mir doch egal.
Klaus Peukert

Männer in blauen Trikots

Ich mag die WM. Obwohl das dieses Jahr noch weniger pc ist als sonst. Die Leute sagen, diese WM sei ein No-go, wegen der Korruption und der Favelabewohner und man sollte sowieso Fußball nicht mit Nationen verquicken. Das stimmt natürlich alles irgendwie … Aber was soll man machen, wenn man eine kleine, schwache Frau mit funktionierendem Fernseher ist?
Zumal es doch schon sooo sexy losging, beim Spiel Niederlande gegen Spanien, wo doch der Schönste aller Fußballer, ja, natürlich Arjen Robben (wer sonst?), gleich zwei von fünf Toren geschossen hat? Und was soll man machen, wenn die schlimmen Fernsehleute ihn dann sogar noch in seinem regennassen und somit eng an seinem unglaublich männlichen Oberkörper anliegendem blauen Trikot in Großaufnahme zeigen? Eben.
Aber ich hab nun doch noch einen Weg gefunden, ein bisschen weniger politisch unkorrekt WM zu gucken: Ich bin jetzt Fan von Uruguay. Die Spieler sind zwar, trotz sexy blauen Trikots, nicht so schön wie Arjen Robben, und Fußball spielen können sie auch nicht so gut, aber Uruguays Präsident »El Pepe« macht derzeit gute Politik: Er hat Drogen le­galisiert und nimmt viele syrische Flüchtlinge in sein Land auf. Und deshalb werde ich diesmal auch für die Urus sein! Naja, es sei denn, sie spielen dann irgendwann gegen die Nieder­lande …
Ramona Ambs

Schizophrener Schiedsrichterpatriotismus

ARD-Kommentator Tom Bartels lobte beim Spiel Costa Rica gegen Uruguay ausdauernd das deutsche Schiedsrichter-Team um Felix Brych. Selbst als das Tor zum 2:1-Führungstreffer für Costa Rica nachweislich aus der regelwidrigen Abseitsposition erzielt wurde, riss die Lobhudelei für die Unparteiischen nicht ab.
Bartels wurde zum Sprecher der vorherrschenden Meinung, dass Referees aus Japan oder Kolumbien nicht so gute Schiedsrichter seien wie der Landsmann aus München. Selbst dann, wenn ihm ein womöglich spielentscheidender Fehler unterläuft.
Diese Bewunderung und Überhöhung deutscher Regelhüter erleben wir regelmäßig bei Turnieren: Dieselben Schiedsrichter, die nach Bundesligaspielen noch an den Pranger gestellt werden, sind bei internationalen Spielen plötzlich der Stolz der Nation.
Das Phänomen Schiedsrichterpatriotismus mutet recht schizophren an. Gut, dass er nur bis zum nächsten Bundesligaspiel anhält, wenn der deutsche Schiedsrichter gegen den eigenen Lieblingsverein entscheiden wird.
Klaas Reese