Die Debatte um Präimplantations- und Pränataldiagnostik

Die Angst vor der Norm

Carsta Langner kritisiert die derzeitige Diskussion über die Präimplantations- und Pränataldiagnostik.

Dass Fortschritt und Regression sich in technischen Möglichkeiten verschränken, wird mit Blick auf sogenannte Reproduktionstechnologien wie Präimplantations- und Pränataldiagnostik (PID und PND) besonders deutlich. (1) In Deutschland sind genetische Untersuchungen an Embryonen seit Ende 2011 nicht mehr verboten. Doch erst am 1. Februar dieses Jahres trat eine Rechtsverordnung des Bundes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik in Kraft, die seither in die jeweiligen Landesgesetze integriert wird. Die Länder richten eigene oder gemeinsame Ethikkommissonen ein, die die Anträge auf Untersuchungen an Embryonen prüfen sollen. Erst danach ist PID in entsprechenden Zentren, deren Zulassung gegenwärtig ebenfalls gesetzlich geregelt wird, möglich. Als jüngste Ethikkommission wurde am 3. Juni jene für die Bundesländer Baden-Württtemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen ins Leben gerufen. Eine Untersuchung an Embryonen soll, dem Embryonenschutzgesetz folgend, nur in »streng geregelten Ausnahmefällen« vorgenommen werden dürfen.
Die Präimplantationsdiagnostik stellt sich als eines von vielen aktuellen Beispielen dafür dar, auf welche Weise der Versuch, sich von Natur zu emanzipieren, in der bestehenden Gesellschaft in neue Zwänge umschlägt. In einer Gesellschaft, in der nirgends der Mensch als Zweck an sich existiert und die Rede von Menschenwürde eher eine Floskel darstellt, ist die Möglickeit, Natur zu beherrschen, immer auch Ausdruck instrumenteller Vernunft. An Reproduktionstechnologien gibt es daher vieles zu kritisieren: In den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen lastet ein enormer gesellschaftlicher Druck auf werdenden Eltern, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen und sich dafür auch diverser Technologien zu bedienen. (2) Darüber hinaus werden immer neue körperliche Abweichungen pathologisiert oder gelten als »vermeidbar«. Ein prominentes Beispiel ist die mit Milliarden staatlich subventionierte Erforschung jener menschlichen Gene, die für eine spätere Adipositas – die sogenannte Fettsucht – verantwortlich sein sollen. Auch vollkommen symptomfreie Menschen werden durch die Diagnose eines genetischen Risikos pathologisiert, ohne dass bei ihnen die mög­liche Krankheit jemals tatsächlich erkennbar wird, was zu einer immensen Erweiterung des klassischen Krankheitsbegriffs geführt hat. Nicht zuletzt spielt die sozioökonomische Lage der werdenden Eltern dabei eine Rolle. Nicht alle können sich die Nutzung der verfügbaren Reproduktionstechnologien überhaupt leisten. Die Krankenkassen übernehmen nur einen Bruchteil an pränatalen Vorsorge- und PID-Untersuchungen. Eine Untersuchung von künstlich befruchteten Embryonen in den USA (dort sind die Gesetze zur PID noch weitaus liberaler als in Deutschland) und deren Implantation – womit eine spätere Schwangerschaft noch nicht einmal garantiert ist – kostet etwa so viel wie ein Mittelklassewagen und ist damit einem Großteil der Paare mit Kinderwunsch gar nicht möglich. Die von vielen Kritikern der PID inkriminierte »Selektion« greift insofern nicht erst bei den gewünschten Kindern, sondern bereits bei den Eltern, und sie ist nicht im Charakter der Technik selbst, sondern in den gesellschaftlichen Bedinungen begründet, unter denen die Technik zur Anwendung kommt.
Eine Kritik der Debatten über Reproduktionstechnologien, die zum einen darauf zielt, dass werdende Eltern selbst entscheiden können, welche Maßnahmen für sie sinnvoll sind und welche nicht, und die zum anderen gegen die Aufweichung gesetzlicher Beschränkungen im Bereich der Genforschung vorgeht, ist also durchaus berechtigt. Sie schlägt hierzulande – vor allem in feministischen Kreisen – jedoch oft ihrerseits in Ideologie um. Erschreckend ist, wie einseitig und regressiv sich viele Kritiker der PID gegen die Möglichkeit der Emanzipation der Menschen von Naturzwängen stellen, wobei sie nicht nur widersprüchlich, sondern auch antifeministisch argumentieren.

Für das Recht auf Abtreibung – gegen das Normkind

Es ist erstaunlich, dass Feministinnen, die sich vehement für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch einsetzen und in diesem Zusammenhang das Selbstbestimmungsrecht der Frau hochhalten, in der Debatte über PID und PND die Frau zu einem scheinbar unmündigen Objekt erklären. Während beim Thema Schwangerschaftsabbruch in feministischen Kreisen zu Recht das Interesse der Frau den wichtigsten Bezugpunkt darstellt, werden bei der Frage nach dem Leben mit einem behinderten Kind plötzlich das spätere Kind und die vermeintliche Verantwortung der Frau für das werdende Leben in den Mittelpunkt gerückt.
Schon das bloße Angebot an Reproduktionstechnologien übe, so wird argumentiert, einen derartigen Sachzwang auf die werdende Mutter aus, dass Frauen sich dem gesellschaftlichen Normierungsdruck gar nicht entziehen könnten. Dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind auch im Falle eines gesunden Kindes nie nur eine individuelle, sondern gesellschaftlich vermittelt ist, ist den Kritikern zwar bewusst, wird aber sogleich relativiert. So behaupten Andrea Trumann und Rebecca Maskos in ihrem Beitrag »Das normierte Wunschkind« in dem 2013 erschienenen Sammelband »The Mamas and the Papas«, »in den vorhandenen Kritiken an den Positionen der Lebensschützer_innen« werde »nur selten auf dem großen Unterschied beharrt, ob ein Kind abgetrieben wird, weil es, aus welchen Gründen auch immer, nicht ins Leben passt, oder weil es behindert ist und damit eine Selektion stattfindet«. Diese Argumentation suggeriert nicht nur, dass die Frage, ob ein Kind »ins Leben passt«, im Gegensatz zur »Selektion« möglicherweise behinderter Kinder nichts mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun habe, sondern auch, dass es bei der Antwort auf diese Frage keinen Unterschied mache, ob das zukünftige Kind, das in diesem Stadium noch gar keines ist, behindert sein wird oder nicht. Als legitim für die Gestaltung des eigenen Lebens wird somit die Entscheidung für oder gegen ein Kind, aber nicht die Entscheidung gegen ein Kind mit Behinderung angesehen. Dabei wird so getan, als ginge die Entscheidung für oder gegen ein Kind nicht immer mit der Überlegung einher, ob man die Verantwortung für einen anderen Menschen tragen kann – wobei offensichtlich ist, dass diese Verantwortung eine andere sein wird, wenn dieser Mensch ein Leben lang auf Betreuung und Pflege angewiesen ist. Die Hoffnung, dass das zukünftige Kind irgendwann in den Kindergarten und zur Schule gehen wird, irgendwann ein eigenes Leben führen kann, wird dann als bürgerliche Normvorstellung abgetan: Das Selbstbestimmungsrecht der Frau werde so den gesellschaftlichen Zwängen eines flexibilisierten, neoliberalen Lebensstils untergeordnet. Bei dieser Argumentation wird außer acht gelassen, dass zum einen die Idee der Selbstbestimmung immer schon mit dem Ziel verbunden war, als Indiviuduum in den bestehenden Verhältnissen auf bestmögliche Weise leben zu können, und zum anderen, dass das, worüber man angeblich selbstbestimmt entscheidet, bereits selbst gesellschaftlich vermittelt ist. Möchte man den diffusen Begriff der »Normierung«, der in den Debatten um pränatale Diagnostiken immer wieder begegnet, überhaupt verwenden, müsste man konstatieren, dass auch das Recht auf Abtreibung einen immensen Normierungsdruck ausübt, zur rechten Zeit die angemessene Anzahl an Kindern zur Welt zu bringen und zur rechten Zeit darauf zu verzichten. Als Feministin plagt man sich dann jahrelang mit der Frage ab, ob man überhaupt Kinder bekommen sollte oder ob man dadurch die gesellschaftlich verordnete Mutterrolle reproduziert, die man doch mit allen Mitteln selbstbestimmt vermeiden will.
Die Möglichkeit, den Reproduktionsvorgang stärker zu beeinflussen, so ein Argument, das ebenfalls häufig in der Debatte um PID und PND angeführt wird, führe dazu, dass Menschen mit Behinderung in größerem Maß diskriminiert würden. Die potentielle »Vermeidbarkeit« behinderter Kinder lege die Frage nahe, »ob denn so etwas heutzutage noch sein müsse«. Nun sind freilich alle gesellschaftlichen Ins­titutionen und Prozesse auf irgendeine Weise »normiert« und Menschen, die dieser Norm nicht entsprechen, sind weniger in der Lage, ohne fremde Hilfe an der Gesellschaft zu par­tizipieren. Menschen mit Behinderung sind in der bestehenden Gesellschaft daher stärker diskriminiert als nicht behinderte Menschen. Der Ruf nach Solidarität im Namen einer Gesellschaft, die den nicht »normierten« Menschen (3) weniger Barrieren auferlegt, ist also eine berechtigte politische Forderung. Dass die Reduktion von Barrieren dann wiederum auch die Entscheidung für oder gegen ein Kind beeinflusst, ist ebenfalls eine berechtigte Annahme. Daher würde sich in einer befreiten Gesellschaft die Frage nach dem Leben mit Behinderung ebenso anders darstellen wie das allgemeine Verhältnis des Menschen zu seiner Reproduktion und die Beschaffenheit dieser Gesellschaft selbst. Die Frage ist jedoch, ob das Vorhandensein pränataler Untersuchungen und die damit einhergehende Möglichkeit, sich in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen für oder gegen ein Kind mit einer bestimmten Behinderung zu entscheiden, tatsächlich in zunehmenden Maß Menschen mit Behinderung diskriminiert. Es scheint überhaupt zweifelhaft, ob Menschen mit Behinderungen heutzutage stärker diskriminiert werden als noch vor mehreren Jahrzehnten. Die Debatten um Integration, Inklusion und Diversity, die letztlich auch nur auf die möglichst vollständige Verwertung der Arbeitskraft hinauslaufen, und die daran anschließenden politischen Programme legen eher das Gegenteil nahe. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass es in Zeiten von PID und PND Männer und Frauen gibt, die bewusst auf pränatale Untersuchungen verzichten, ebenso wie Eltern, die sich bei einer entsprechenden Diagnose bewusst für ein Kind mit einer Form von Behinderung entscheiden. Die Verfügbarkeit von Reproduktionstechnologien und die Verbesserung der Diagnosetechniken machen eine solche Entscheidung für ein behindertes Kind im Grunde sogar erst möglich.

Lebenswertes Leben

Das Argument, dass ein Leben mit einer Behinderung ein ebenso lebenswertes und zufriedenes Leben sei, ist zwar berechtigt als Warnung davor, ein Leben mit Behinderung als »lebens­unwert« zu stigmatisieren, gibt aber noch keine Auskunft darüber, was unter »lebenswertem Leben« verstanden wird. (4) Interessant ist, dass vor allem Menschen mit Trisomie 21, dem sogenannten Down-Syndrom, von den Gegnern von PID und PND als Beispiele für ein »glückliches Leben« mit einer Behinderung angeführt werden. Der implizite Maßstab für ein solches ist dabei derselbe, der andererseits als bürgerliche Norm disqualifiziert wird: die Möglichkeit, sich in die Institutionen einer auf kapitalistischer Verwertung basierenden Gesellschaft zu integrieren und dort unter Konkurrenzverhältnissen zu bestehen. Gerade im Fall der Trisomie 21 wird immer wieder – auch von Feministinnen – betont, wie integrationsfähig und leistungsstark diese Kinder sein könnten.
Dass das zukünftige Kind glücklich sei, ist zwar wohl die Hoffnung aller werdenden Eltern, kann jedoch kaum Grundlage der Entscheidung für oder gegen ein Kind sein. Ebenso wie es zahlreiche nicht behinderte Menschen gibt, die ihr Leben als nicht lebenswert empfinden, gibt es auch behinderte Menschen, die ihr Leben genießen. Dabei scheint das eigene Wohlgefühl nicht unbedingt mit dem Grad der Beeinträchtigung zusammenzuhängen, sondern eher mit dem sozialen Umfeld, in dem behinderte oder nicht behinderte Menschen leben. So relativ der Begriff des »lebenswerten Lebens« unter den gegebenen Bedingungen ist, so ungewiss ist vor der Geburt, ob ein behindertes oder nicht behindertes Kind »glücklich« sein wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür hängt nicht zuletzt damit zusammen, in welchem Maße sich die Eltern behinderter oder nicht behinderter Kinder mit diesen ihrerseits glücklich fühlen. PID und PND sollten daher vor allem aus Sicht der werdenden Eltern beurteilt werden, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse außer acht zu lassen.
Von sich selbst emanzipatorisch nennenden Autoren wird oft der Anspruch geltend gemacht, es müsse eine »Gegenöffentlichkeit« zum hegemonialen Genetik-Diskurs geschaffen werden. Dabei wird unterstellt, dass es in der Gesellschaft einen einheitlichen positiven Bezug auf Reproduktionstechniken gebe – als würde ein Tabu gebrochen, indem man diese Form der Reproduktion als »verschleierte Eugenik« kritisiert. Wie Dorothee Brockhage in ihrem 2007 erschienenen Buch »Die Naturalisierung der Menschenwürde in der deutschen bioethischen Diskussion nach 1945« darstellt, ist das genaue Gegenteil der Fall. In der öffentlichen Diskussion wird mehrheitlich entweder eine ablehnende Haltung gegenüber Reproduktionstechnologien artikuliert oder eine, die zumindest immer auch auf die Risiken der Kontrolle der menschlichen Natur Rücksicht zu nehmen vorgibt.
Von Jürgen Habermas über Hans Jonas zu Ulrich Beck; von ökofeministischen Bewegungen über poststrukturalistische Biopolitik-Theoretiker, die sich auf Foucault berufen, bis hin zu religiösen Technikskeptikern: Überall findet sich eine alarmistische Haltung gegenüber Reproduktionstechnologien. So versammelt der von Christian Geyer 2001 herausgegeben Sammelband »Biopolitik – Die Positionen« Autoren verschiedenster Couleur wie Elisabeth Beck-Gernsheim, den katholischen Philosophen Robert Spaemann und Jakob Augstein, die alle vor den neuen Reproduktionstechniken warnen. Die häufigsten Begründungsmuster beziehen sich auf den Begriff der menschlichen Würde, die in Gefahr sei, oder auf den Aspekt der sozialen »Selektion«. So fragt Jürgen Habermas in seinem 2001 erschienenen Buch »Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zur liberalen Eugenetik?«, ob der »eugenisch programmierte«, »unter Vorbehalt gezeugte Mensch« mit der Würde menschlichen Lebens vereinbar sei. Mit dem kantischen kategorischen Imperativ argumentierend, beantwortet er die Frage gleich selbst: Jede Person sei jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst und niemals bloß als Mittel zu gebrauchen. Seine Kritik richtet sich auf die gattungsethischen Folgen der Humangenetik, in denen er eine Gefahr für das menschliche Miteinander sieht. In der genetischen Selbsttransformation werde das normative Selbstverständnis von Personen, die ihr eigenes Leben führen – oder, wie er an anderen Stellen formuliert: als verantwortliche »Autoren« einer eigenen Lebensgeschichte agieren – und die sich gegenseitig die gleiche Achtung entgegenbringen, unterminiert. Der eugenisch gezeugte Mensch sei nicht mehr Herr im eigenen Hause und führe das von ihm und anderen erwartete Leben, nicht sein eigenes.
Im Gegensatz zu Robert Spaemann, der sich ebenfalls häufig in den bürgerlichen Medien zu Fragen der Humangenetik äußert, versucht sich Habermas der Frage nach dem Status von Embryonen eher zu entwinden. Während Spaemanns Kritik an der Humangenetik davon ausgeht, dass »Personalität« jeglicher Natur zukomme, die potentiell vernünftig und zu Selbsttranszendenz fähig sei, argumentiert Habermas, dass alle Aussagen über den Zustand des frühen menschlichen Lebens zu spekulativ seien, um die Frage, ob einem Embryo bereits Personenrechte zukommen, zu beantworten. Daher orientiert sich Habermas’ Kritik an der Präimplantationsdiagnostik an Fragen der Gattungsethik und jene von Spaemann vor allem an der Verletzung der Würde des Embryos. Dass es um die Würde des Menschen in einer auf – wenn auch nicht biologischen, so doch sozialen – Selektion beruhenden kapitalistischen Gesellschaft generell schon schlecht bestellt ist, wird von beiden nicht angesprochen. Beide ähneln sich in ihrer Argumentation auch darin, dass sie in der Humangenetik eine Gefahr für das Recht des Menschen auf eine offene Zukunft sehen und die als egostisch bezeichnete Einforderung eines Rechts auf gesunde Kinder kritisieren.
Vor allem im letzten Punkt treffen sich Habermas und Spaemann auch mit Trumann und Maskos. So kritisiert Habermas ein »extensives Maß an Selbstbestimmung« und eine »narzisstische Rücksichtnahme auf eigene Präferenzen« seitens der werdenden Eltern, während Trumann und Maskos in der Anwendung von PND und PID nichts als den »Wunsch nach einem qualitativ hochwertigen Kind« sehen. Auch in der Frage nach dem Verhältnis zwischen Schwangerschaftsabbruch und pränataler Diagnostik ähnelt die Argumentation von Habermas vielen feministischen Positionen: Während bei einer ungewollten Schwangerschaft das Selbstbestimmungsrecht der Frau und die Schutzbedürftigkeit des Embryos miteinander kollidierten, gehe es bei pränatalen Diagnos­tiken wie der PID um reine Güterabwägung durch die Eltern. Daher stelle letzteres, darin sind sich Trumann und Maskos mit Habermas einig, eine eugenische Praxis dar. Pränatale Diagnostiken würden zudem bewusst in Anspruch und ein möglicher Konflikt in Kauf genommen; ein Konflikt, in den die werdenden Eltern – im scheinbaren Gegensatz zu einer (ungewollten) Schwangerschaft – auch nicht unversehens verwickelt würden.

Liberale Eugenik?

Wie die Begründungen ähnelt sich auch das Vokabular im Gegendiskurs zu PID und PND, der seiner behaupteten Randständigkeit zum Trotz fast alle politischen Richtungen einschließt. Besonders auffällig ist dabei die Insistenz auf den Begriff der Eugenik. Die eugenische Selek­tion, so Andrea Trumann in ihrem Einführungsbuch »Feministische Theorien« aus dem Jahr 2002, werde heute nicht mehr zwangsweise durch den Staat, sondern in individueller ­Eigenregie durchgeführt. In »Das normierte Wunschkind« bekräftigen sie und Maskos die These, dass Eugenik mittlerweile indirekt und individualisiert, etwa durch die Nutzung von Ultraschall, praktiziert werde. Auch Jürgen Habermas und Autoren in der Tradition Foucaults wie Philipp Sarasin und Thomas Lemke bestehen auf dem Begriff der Eugenik und betonen die vermeintliche historische Kontinuität der modernen Bevölkerungspolitik mit staatlichen Zwangsmaßnahmen.
Dem griechischen Wortstamm eugenesis folgend, was so viel wie »gute Geburt« bedeutet, ist unter Eugenik nicht nur eine von Staats wegen propagierte und betriebene Selektion zu verstehen, sondern jegliches Handeln, das bewusst darauf zielt, Menschen im Hinblick auf ihr Erbgut zu selektieren. Als Gründungsvater der Eugenik gilt Francis Galton, der Vetter von Charles Darwin, der Ende des 19. Jahrhunderts biometrische Messungen zur Erfassung von biologischen Normalverteilungen durchführte.
Galton war mitnichten daran interessiert, individuelles Leid in den bestehenden Verhältnissen zu minimieren, sondern stellte seine Forschungen von Beginn an in den Dienst der Nation, wie eine seiner Vorlesungen aus dem Jahr 1907 veranschaulicht, in der es heißt: »Wir hören als Nation auf, Intelligenz zu züchten, wie wir es vor hundert bis fünfzig Jahren taten. Das geistig bessere Erbgut in der Nation reproduziert sich nicht mehr mit derselben Rate wie früher; die weniger Fähigen und weniger Energischen sind fruchtbarer als das bessere Erbgut. Kein Schema breiterer und besserer Erziehung kann auf der Intelligenzskala schwaches Erbgut auf das Niveau von starkem Erbgut bringen. Das einzige Heilmittel besteht darin, die relative Fruchtbarkeit des guten und schlechten Erbgutes in der Gemeinschaft zu modifizieren.« (5)
Mittel der Verbesserung waren in Galtons Vorstellung Asylierung, Sterilsation und eugenische Propaganda; Gedanken, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur in völkisch-konservativen Kreisen verbreitet waren. So monierte Karl Kautsky, einer der intellektuellen Köpfe der II. Internationale, 1910 in seiner Schrift »Entwicklung und Vermehrung der Natur«, die Fortpflanzung werde »in diesen Kreisen (bei den Herrschenden, C. L.) ebenso wie die Ehe den Interessen des Familienlebens dienstbar gemacht, nicht der Verbesserung der Rasse«. Ziel dieser »Verbesserung der Rasse« sollen Kautsky zufolge »höhere Menschenschläge« sein: »Ein neues Geschlecht wird entstehen, stark und schön und lebensfreudig, wie die Helden der griechischen Heroenzeit, wie die germanischen Recken der Völkerwanderung, die wir uns als ähnliche Kraftnaturen vorstellen dürfen wie etwa heute noch die Bewohner Montenegros.«
Die Ideen der modernen Eugenik sind von Beginn an mit der Ideologie der »gesunden Gemeinschaft« verbunden. Eine Erkrankung des Individuums betrifft demzufolge nie nur das Individuum selbst, sondern die ganze Gesellschaft. Dass diese Kontinutät in der Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik auch gegenwärtig fortgesetzt wird, zeigt ein Blick auf die Werbung staatlicher Institutionen für die Erforschung des menschlichen Genoms. So gab die Europäische Kommission im Jahr 2005 einen Flyer unter dem Titel »Bekämpfung der Fettleibigkeit in Europa« heraus, in dem zu lesen ist: »Die EU fördert eine Reihe von wegweisenden Forschungsprojekten, die darauf abzielen, den Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit, Ernährung und genetischer Veranlagung zu verstehen und genetisch vorbelastete Menschen zu identifizieren.« Adipositas ist dabei jedoch nicht nur etwas, unter dem einzelne Menschen aufgrund von Leistungsanforderungen und Schönheitsidealen möglicherweise leiden, sie stellt dem Flyer zufolge vor allem eine enorme Belastung für die Krankenkassen dar. Übergewichtige Menschen seien damit vor allem teuer; und zwar für die ganze »Gemeinschaft«. Es müsse daher alles getan werden, um Fettleibigkeit zu reduzieren. Bereits im Mutterleib beginne dieses Problem: Unter der Überschrift »Du bist, was deine Mutter isst« kann die werdende Mutter erfahren, wie sie durch eine gesunde Ernährung dazu beitragen kann, eine Fettleibigkeit des kommenden Kindes zu verhindern. Forschungen am menschlichen Genom zur Ausprägung von Adipositas sind somit nur ein letzter Schritt, das Problem Adipositas zu bekämpfen. Sie sollen dazu beitragen, diese Krankheit gar nicht erst entstehen zu lassen und damit nicht nur persönliches Leid zu verringern, sondern das Leben allgemein »gesünder« zu machen.
Das Beispiel der Adipositas verdeutlicht, wie eine Abweichung von der statistischen Normalverteilung des Gewichts, unter der ehemals – wenn überhaupt – einzelne Menschen aufgrund von Schönheitsidealen und persönlichen Beeinträchtigungen in der bestehenden Leistungsgesellschaft litten, zu einer Krankheit, und zwar zu einer sogenannten Volkskrankheit, erklärt wird, die es um jeden Preis zu vermeiden gelte. Die Bekämpfung der Adipositas, die wohl von den meisten Menschen gar nicht als Behinderung eingeordnet werden würde, veranschaulicht, in welcher historischen Kontinutät staatliche und nicht staatliche Bevölkerungspolitik in modernen, kapitalistischen Gesellschaften stehen, in denen der Mensch immer Humanressource ist.
Der Hinweis auf diese Kontinuität in den Auseinandersetzungen um PID und PND ist durchaus richtig und sinnvoll. Die Ähnlichkeiten mit den historischen Anfängen der auf Untersuchungen des Erbgutes basierenden Bevölkerungspolitik im 19. Jahrhundert verführt aber zu dem Fehler, den Begriff der Eugenik für gegenwärtige Entwicklungen zu verwenden. Für die Beschreibung heutiger bevölkerungspolitischer Maßnahmen ist der Begriff aber nicht nur aufgrund seiner Historie ungeeignet. (6) So wurden im Nationalsozialismus fast eine halbe Million Menschen zwangssterilisiert und im Rahmen der »Aktion T4« fast 100 000 behinderte Menschen durch ein sogenanntes Euthanasieprogramm ermordet. Auch die Hinzufügung von Adjektiven wie »liberal« oder »demokratisch« ändert nichts daran, dass der Begriff »Eugenik« in den Debatten um PID und PND die Zwangssterilisationen und Tötungen behinderter Menschen relativiert. (7) Zwar ist auch heute noch der Ruf nach Sterilisation von behinderten Menschen von Zeit zu Zeit – und manchmal gar nicht so leise – vernehmbar als Symptom der vollständigen Identifikation des Einzelnen mit der Gemeinschaft, deren Gesundheit ihm mindestens genauso am Herzen liegt wie die eigene. Der mitleidige oder strafende Blick auf Eltern behinderter Kinder, der anzeigen soll, dass »so etwas« ja gerade heute unter den gegebenen medizinischen Vorraussetzungen gar nicht mehr sein müsse und der Gesellschaft nur zusätzliche Kosten aufbürde, ist Ausdruck dessen im Alltag. Dennoch ist es nicht das gleiche, ob ein Embryo, der bestimmte genetische Dispositionen aufweist, auf Wunsch der Frau nicht in den weiblichen Körper implantiert wird (weil beispielsweise der Verdacht besteht, die Frau könne eine Fehlgeburt erleiden – und einige Frauen erleiden viele Fehlgeburten nacheinander), oder ob ein geborenes behindertes Kind auf Grundlage staatlicher Verordnungen getötet wird. PID und PND stellen zwar bevölkerungspolitische, aber keine eugenischen Maßnahmen dar; und nicht jede Bevölkerungspolitik ist Eugenik. Die medizinischen Möglichkeiten pränataler Untersuchungen erhöhen den gesellschaftlichen Druck, diese auch anzuwenden und ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Normativer Druck jedoch, der in der Gesellschaft immer auf dem Individuum lastet und sein Handeln beeinflusst, kann nicht mit staatlich verordneten Zwangsmaßnahmen und staatlich legitmierten oder gesetzlich nicht sanktionierten barbarischen Übergriffen gleichgesetzt werden.

Dialektik von Natur und Gesellschaft

Die Debatten um PND und PID verdeutlichen auf besondere Weise das dialektische Verhältnis von Natur und Gesellschaft, in dem Natur immer schon gesellschaftlich vermittelt ist. Im Versuch, sich von Natur zu emanzipieren, setzt der Mensch sich immer neuen Naturzwängen aus. Menschliche Reproduktion ist und war niemals ein rein natürlicher, sondern gleichzeitig immer schon ein gesellschaftlicher Prozess. Die Möglichkeit, sich durch technischen und medizinischen Fortschritt von Krankheit und Leiden, die nie nur gesellschaftlich »konstruiert« sind, zu emanzipieren, schlägt dabei in sein Gegenteil um: in neues Leid und neue Krankheiten. Apologeten wie Kritiker pränataler Diagnostiken lösen jedoch das dialektische Verhältnis von Natur und Naturbeherrschung meist einseitig auf. Vor allem von den Kritikern pränataler Untersuchungen wird häufig jegliche Naturbeherrschung als Normierung, die es zu verhindern gelte, verteufelt. Dabei wird ein undialektisches Verständnis von Natur vorausgesetzt, das unterstellt, die biotechnische Entwicklung habe den gewohnten Unterschied zwischen dem »Gewachsenen« und dem »Gemachten«, oder dem »Gezeugten« und dem »Gemachten«, wie Habermas und Spaemann es formulieren, verändert. Habermas kann sich daher für das äußerst fragwürdige »Recht« auf ein genetisches Erbe, in das nicht künstlich eingegriffen worden sei, aussprechen und behaupten, dass den »klassischen Pflege-, Heil- und Züchtungsprak­tiken die Achtung vor der Eigendynamik einer sich selbst regulierenden Natur«, an der sich die menschlichen Eingriffe orientierten, gemeinsam sei, was sie von der gegenwärtigen Gentechnologie unterscheide. Dabei wird außer acht gelassen, dass Natur, und somit auch das menschliche Genom, immer schon gesellschaftlich vermittelt ist; was aber eben doch etwas anderes ist als eine rein sprachliche Hervorbringung beziehungsweise ein diskursiver Akt, durch den an sich Gesellschaft bereits veränderbar sei.
Die Kritik an PID und PND ähnelt in einigen Aspekten dem Nachhaltigkeits- und Ökodiskurs. In beiden wird eine Natur, die es gegen äußere Einflüsse zu verteidigen gelte, vorausgesetzt und auf einen enthaltsamen, aber dennoch gut informierten, alles Expertentum kritisch beäugenden Konsum gepocht. So stelle bereits der Ultraschall einen »Einstieg in die Eugenik« dar, dem der oder die kritische Linke sich entgegenzustellen habe, wie Trumann und Maskos behaupten. Die werdenden Eltern müssten schon vor dem Aufsuchen des Arztes wissen, welche Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden und welche Konsequenzen damit einhergehen; der Arzt scheint nur noch die Personifikation eines normenorientierten bevölkerungs- und gesundheitspolitischen Diskurses zu sein, dem man immer misstrauisch gegenüberstehen solle. Das bloße Angebot bestimmter Vorsorgeuntersuchungen erscheint bereits als massiver Zwang, dem sich die werdenden Eltern nur schwer entziehen könnten. Vollständig ausgeblendet wird, dass medizinischer Fortschritt, so normierend und mehrwertorientiert er in den bestehenden Verhältnissen sein mag, auch die Möglichkeit bietet, sich von Natur und von körperlichem Leid zu emanzipieren. Dabei kann nicht ignoriert werden, dass das, wovon man sich zu emanzipieren hätte, immer auch die gegebenen gesellschaft­lichen Verhältnisse sind. Was als krank und behindert gilt, verändert sich historisch. Der Umkehrschluss würde jedoch bedeuten, sich jeglicher medizinischer Expertise zu verweigern. Dabei zielen PND und PID nicht immer und zwangsläufig auf eine Selektion des gewünschten oder kommenden Kindes, sondern bieten die Möglichkeit, sowohl den Kindern als auch den Frauen körperliches Leid zu ersparen oder dieses zu verringern. Bei weitem nicht alle pränatalen Untersuchungen haben das Ziel, dass ein Kind mit einer Behinderung oder einer schweren Krankheit nicht zur Welt kommen soll. Viele Tests dienen dazu, frühzeitig Behandlungen einzuleiten, die bestimmte Krankheiten heilen oder das Leben des Kindes verlängern.
Doch gerade an diesem Punkt zeigt sich, wohin die Kritik einiger – auch feministischer – Gegner pränataler Untersuchungen führt, wenn sie sich nicht nur gegen die vermeintlich selektive Vernichtung kommenden Lebens, sondern auch gegen die Behandlung von Krankheiten richtet. So werden auch Operationen im Mutterleib von Kritikern der »Normierung« als nicht wünschenswert bezeichnet; jedoch nicht mit Hinweis auf mögliche Gefahren für Mutter und Kind, sondern weil sie eine Form von Ableism darstellten. Ableism äußere sich demnach nicht nur in der Diskriminierung realer Menschen, sondern bereits die Vorstellung eines Lebens mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung und die auf diese Vorstellung folgenden Handlungen zeugten von einer solchen Diskriminierung. Auch wenn diese Vorstellung nicht zur Folge hat, ein Kind nicht zur Welt zu bringen, sondern dessen Krankeit zu heilen, stelle dies bereits eine Form von Ableism dar. Gesellschaftliche Verhältnisse ließen sich demnach durch andere Vorstellungen – in diesem Falle jene, dass auch das Leben mit einer Behinderung ein gutes sei – verändern. Doch in einer Gesellschaft, die nicht nur in der Vorstellung, sondern in der Wirklichkeit auf Konkurrenz zwischen Individuen beruht, stellt eine Behinderung tatsächlich eine Beeinträchtigung dar, die sich auch mit allen gut gemeinten inklusiven Praktiken nicht wird auflösen lassen.
Aus emanzipatorischer wie feministischer Sicht sollte nicht auf die Forderung nach besserer Verwendung der neuen Reproduktionstechnologien im Sinne der Eltern und Kinder verzichtet werden. So wie das Recht auf Abtreibung mit Recht eingefordert wird, müssen Frauen auch entscheiden dürfen, ob sie ein behindertes Kind zur Welt bringen wollen oder nicht. Der medizinisch-technische Fortschritt ermöglicht ihnen in zunehmendem Maß diese Entscheidung – Schwangerschaft ist nicht mehr nur Schicksalsschlag – und erhöht gleichzeitig den gesellschaftlichen Druck. In gleicher Weise verhält es sich jedoch auch mit der Abtreibung, die ebenfalls nie eine rein persönliche Entscheidung ist und dennoch von keinem dem Gedanken der Emanzipation verpflichteten Menschen ernsthaft für unrechtmäßig erklärt werden kann; und die in einer wie auch immer gestalteten freien Gesellschaft womöglich gar nicht mehr nötig wäre.

Anmerkungen
(1) Unter Pränataldiagnostik werden alle Untersuchungen verstanden, die vor der Geburt des Kindes im Mutterleib durchgeführt werden. Dazu gehört Ultraschall ebenso wie der 2012 in Deutschland zugelassene Präna-Test, mit dem durch die Blutabnahme der schwangeren Frau untersucht werden kann, ob mögliche Erbschäden beim Kind vorliegen. Durch Präimplantationsdiagnostiken wird dagegen der in vitro gezeugte Embyo auf dessen genetische Dispositionen untersucht und bei bestimmten Auffälligkeiten gar nicht erst in die Gebärmutter implantiert. Auf das Thema des therapeutischen Klonens wird im Folgenden nicht eingegangen.
(2) Ich spreche hier bewusst von den Eltern und nicht nur der Frau. Dabei soll nicht geleugnet werden, dass Frauen einer Schwangerschaft ganz anders ausgesetzt sind als Männer und dass es sich bei den werdenden Eltern häufig um Alleinerziehende handelt oder ein Elternteil nicht zu den biologischen Eltern gehört. Spricht man jedoch nur von Frauen, dann wird ignoriert, dass an einer Schwangerschaft und den damit einhergehenden Entscheidungen auch das nicht schwangere Elternteil (ob männlich oder weiblich) beteiligt ist – und es auch sein sollte.
(3) Nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch Menschen, die einer bestimmten Norm nicht entsprechen, ohne dass dies als Behinderung bezeichnet wird, werden gesellschaftlich benachteiligt.
(4) So äußerte sich einer der Entdecker der DNA, James Watson, in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« besonders drastisch und zeigt damit auch die Motive, die hinter scheinbar neutralen naturwissenschaftlichen Forschungen stehen: »Wer von Frauen verlangt, ein geistig behindertes Spastikerkind mit fürchterlichen Verkrampfungen zu lieben, verlangt etwas Anormales von ihnen.«
(5) Zitiert nach Jürgen Link: Normativität versus Normalität: Kulturelle Aspekte des guten Gewissens im Streit um die Gentechnik. In: Martin Stingelin (Hrsg.): Biopolitik und Rassismus, Frankfurt/Main 2003, S. 194
(6) Der Begriff der Eugenik war im Nationalsozialismus, aber nicht nur dort, mit völkischem Gedankengut, Rassismus und Antisemitismus verbunden. Das jedoch spielt zumindest für Autoren in der Tradition von Foucault keine Rolle, da in diesem Denken ein – freundlich ausgedrückt – weites Verständnis des Rassismusbegriffs vorherrscht, wonach Rassismus ein Mittel sei, »um in diesem Bereich des Lebens, den die Macht in Beschlag genommen hat, eine Zäsur einzuführen: die Zäsur zwischen dem, was leben soll, und dem, was sterben muss«. (Michel Foucault: In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975–1976), Frankfurt/Main 1996). Rassismus und Antisemitismus, aber auch Gentechnologien folgen demnach derselben »eugenischen« Logik.
(7) Die Geschichte staatlicher Zwangssterilisation setzt bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. In den zwanziger und dreißiger Jahren existierten in fast allen europäischen Staaten Gesetze zur »Verhütung erbkranken Nachwuchses«.