Der Arbeitskampf bei Amazon

Zeitgemäß ausbeuten

Seit über einem Jahr herrscht Arbeitskampf beim Online-Versandhändler Amazon. Das Unternehmen ist nach wie vor nicht zu Gesprächen über einen Tarifvertrag bereit.

Liegestühle, Luftmatratzen und Sandspielzeug – mit typischen Utensilien für den Strandurlaub machten es sich kürzlich einige Beschäftigte des Online-Versandhauses Amazon auf dem Außengelände der Filiale in Koblenz gemütlich. Für Urlaub am Meer reicht der Lohn nicht, das sollte die Aktion verdeutlichen. Sie war ein Beitrag zu den nunmehr seit über einem Jahr anhaltenden Protesten und Streiks, mit denen Lohnabhängige in verschiedenen Niederlassungen von Amazon einen Tarifvertrag erstreiten wollen. Denn ohne Tarifvertrag ist das Unternehmen unter anderem nicht zu Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld verpflichtet.

An mittlerweile vier Standorten wird unregelmäßig gestreikt. Zuletzt traten Anfang Juni etwa 300 Beschäftigte des Versandzentrums im nordrhein-westfälischen Rheinberg in den Ausstand. Doch auch mit der beständigen Ausweitung der Streiks gelang es der Gewerkschaft Verdi bislang nicht, Amazon zu Tarifverhandlungen zu bewegen.
Der Leiter der Logistikzentren des Konzerns in Deutschland, Armin Cossmann, bezeichnet die Gewerkschaft als »teilweise nicht mehr zeitgemäß« und akzeptiert sie nicht als Verhandlungspartner. Der Geschäftsvorstand wies die Forderungen von Verdi bereits im Mai vergangenen Jahres in einer Erklärung zurück, die auch in der Hersfelder Zeitung veröffentlicht wurde. Bad Hersfeld war der erste Standort, an dem Mitarbeiter in Streik traten. Amazon verwies in der Erklärung darauf, dass die Mitarbeiter »mit ihrem Einkommen am oberen Ende dessen« lägen, was in der Logistikindustrie üblich sei: »mindestens 9,30 Euro plus Boni im ersten Jahr, über zehn Euro im zweiten, plus Unternehmensaktien nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit«. Die Interessen der Mitarbeiter würden in der Zusammenarbeit mit Betriebsräten oder Mitarbeiterausschüssen ausreichend berücksichtigt.
Verdi hingegen sieht in dem Konzern keinen Vertreter der Logistikbranche, sondern des Handels, da er seinen Umsatz in erster Linie mit dem Verkauf von Waren erziele und nicht mit deren Auslieferung. Für den Groß- und Einzelhandel jedoch fallen die von Amazon gezahlten Löhne vergleichsweise niedrig aus. Zudem kritisiert Verdi den Umgang, den Amazon mit seinen Beschäftigten pflegt. Eine ARD-Reportage hatte vor anderthalb Jahren die Schikanen aufgedeckt, denen ausländische Saisonarbeiter am Standort Bad Hersfeld ausgesetzt sind. Diese Beschäftigten, die ohnehin niedrige Löhne erhalten, waren mit Sicherheitsdiensten konfrontiert, deren Mitarbeiter dem rechtsextremen Milieu angehörten. Immer noch beklagen Mitarbeiter und die Gewerkschaft die strengen Kontrollen, denen die Belegschaften unterworfen sind. Auf der Internetseite, die Verdi zu Amazon in Leipzig betreibt, wird auch von Einschüchterungsversuchen gegen gewerkschaftlich Organisierte berichtet und angekündigt, Betroffenen juristisch beizustehen.
Die Gegner der Gewerkschaft und der rebellierenden Beschäftigten sitzen nicht nur in der deutschen Geschäftsführung des Konzerns. Im Januar erfreute sich die Kampagne »Pro Amazon« medialer Aufmerksamkeit. Die Qualitätsmanagerin Sandra Münch hatte im Leipziger Betrieb Unterschriften gegen die negative Darstellung des Unternehmens durch Gewerkschaft und Medien gesammelt, etwa 1 000 Mitarbeiter unterzeichneten. Die Kampagnenmacher verbreiteten die Ansicht, die Verhältnisse in den Betrieben würden verzerrt dargestellt, während sie sich nach eigener Aussage am Arbeitsplatz wohlfühlten. Überwachung auf Schritt und Tritt? Weit gefehlt, so »Pro Amazon«: »Wir haben in Leipzig drei große Hallen, da sollte man wissen, wo sich jeder Mitarbeiter befindet. Wenn etwa jemand sein Kind vorzeitig aus dem Kindergarten oder der Schule holen muss, dann sollte man ihn auch finden«, sagte Münch der Mitteldeutschen Zeitung.
Für das Handelsblatt war somit klar, dass die »Verdi-Kampagne« fehlgeschlagen war. Das betriebsinterne Engagement gegen Verdi veranlasste die Zeit zu Mutmaßungen darüber, ob es der Gewerkschaft nicht vornehmlich ums eigene Image gehe, liefen doch den Arbeitnehmerverbänden »seit Jahren die Anhänger in Scharen davon«. Streiks seien zur Werbung neuer Mitglieder am wirksamsten, neue Mitglieder bedeuteten mehr Beitragseinnahmen. Zudem behauptete die Zeitung, eine Erhöhung des Stundenlohns um maximal 44 Cent sei das beste Ergebnis, das Verdi in einem Tarifvertrag erzielen könne. Dass eine derartige Lohnerhöhung auf Monat und Jahr gerechnet durchaus einen spürbaren Unterschied macht, blieb unerwähnt.
Das Unternehmen steht nach wie vor zu seiner Erklärung aus dem vergangenen Jahr. Zum Jahreswechsel gab es jedoch einen Lohnaufschlag. Auch die Zahlung von Weihnachtsgeld wurde eingeführt. »Amazon bemüht sich jetzt, als guter Arbeitgeber dazustehen«, schätzt Mechthild Middekes die Lage ein. Die Streikleiterin des Standorts in Bad Hersfeld verwehrte sich im Gespräch mit der Jungle World gegen die Diffamierung der Streiks als Teil einer Imagekampagne: »Streiks sind auch immer mit Lohneinbußen für die Beschäftigten verbunden. Ginge es Verdi bloß um eigene Belange, würden sich sicher nicht so viele Mitarbeiter an den Streiks beteiligen.« Diese sollten so lange fortgesetzt werden, bis das Unternehmen gesprächsbereit ist.