Skandal um die Funde von Kinderleichen in katholischen Heimen in Irland

Gottes Strafe

In Irland wird nach der Entdeckung eines mutmaßlichen Massengrabs die jahrzehntelange Misshandlung von Frauen und Kindern in katholischen Heimen thematisiert.

In seinem Roman »Die Asche meiner Mutter« über seine Kindheit und Jugend im Irland der dreißiger bis fünfziger Jahre betont der Autor Frank McCourt, schlimmer als die unglückliche irische Kindheit sei die unglückliche irische katholische Kindheit gewesen. Noch schlimmer muss wohl die irische Kindheit im katholischen Heim gewesen sein. In Tuam, im County Galway in Irland, seien die Leichen von fast 800 Babys in einer Klärgrube gefunden worden, war jüngst in der Presse zu lesen. Dies stimmt so nicht ganz, denn nur einige Skelette befanden sich tatsächlich in der Klärgrube. Sicher ist jedoch, dass zwischen 1925 und 1961, wie die Lokalhistorikerin Catherine Corless mittels des lokalen Todesregisters herausfand, 796 Kinder, viele von ihnen Säuglinge, in einem Heim für Mütter und Kinder starben. Sie wurden wahrscheinlich in jener Klär­grube und ihrer unmittelbaren Umgebung begraben. Das Heim in Tuam stand unter der Leitung der Bon-Secours-Schwestern, eines katholischen Ordens, es wurde 1961 geschlossen und 1972 abgerissen.
Obwohl einzelne Knochen schon 1975 in der Klärgrube entdeckt wurden, gab es erst nach den Ergebnissen von Corless’ Recherche öffentliche Reaktionen. Charlie Flanagan, der irische Minister für Kinder und Jugend, nannte die Entdeckung des nicht markierten Grabes schockierend und sah darin eine Erinnerung an Irlands »dunkle Vergangenheit«. Nach Forderungen nach vollständiger Aufklärung und einer von Regierung und Kirche unabhängigen Untersuchung über die Bedingungen und etwaige Misshandlungen in derartigen Heimen in jener Zeit gab die irische Regierung am 10. Juni die Einrichtung eines Untersuchungssausschusses zu Mutter-Kind-Heimen bekannt.

Das Heim in Tuam war eine von zehn Einrichtungen des Bon-Secours-Ordens, in denen insgesamt schätzungsweise 35 000 Mädchen und Frauen interniert waren. Sogenannte gefallene Mädchen, die außerhalb der Ehe schwanger geworden waren, wurden stigmatisiert und vielfach in derartigen Heimen untergebracht. Dort wurden sie vor und nach der Geburt ihres Kindes zu harter Arbeit gezwungen, während die Kinder, in vielen Fällen auch ohne Zustimmung der Mütter, oft zur Adoption freigegeben wurden.
Der Dubliner Erzbischof, Diarmuid Martin, begrüßte die Einrichtung des Ausschusses und betonte, es sei nötig, vollständig zu klären, wie diese Heime finanziert und geführt und wie Adoptionen organisiert und dokumentiert wurden. Die systematische Misshandlung von Frauen durch Kirche und Staat wird in Irland immer häufiger thematisiert. Erst vergangenes Jahr ent­schul­digte sich die irische Regierung nach Aufrufen von Menschenrechtsorganisationen bei den Frauen, die zwischen 1922 und 1996 in den Heimen des Magdalenen-Ordens interniert und zur Arbeit in Wäschereien gezwungen worden waren. Erfahrungsberichte aus jener Zeit verdeutlichen, dass die Schwangerschaft der ledigen Mutter als Sünde betrachtet wurde, die es zu bestrafen galt. Nicht nur durch harte Arbeit, sondern auch durch Verweigerung von Geburtshilfe wie Schmerzmitteln und ärztlicher Versorgung. Wehenschmerzen galten als die Strafe Gottes.
Der gesellschaftliche Status jener Mütter prägte auch deren Kinder, sofern diese nicht zur Adoption freigegeben wurden. Uneheliche Kinder wurden als eine Verkörperung der Sünden ihrer Mutter und als Menschen zweiter Klasse angesehen. Corless berichtet, dass die sogenannten Heim-Babys in der Schule ausgegrenzt wurden. Ihre bloße Existenz bedeutete eine Beleidigung Gottes und Irlands. Den von Corless gefundenen Dokumenten zufolge gehörten zu den Todesursachen der 796 Kinder in Tuam unter anderem Unterernährung, Masern, Tuberkulose, Magen-Darm- und Lungenentzündungen.

Kritiker wenden ein, dass die Ursache für den Tod der Kinder weniger in der unmenschlichen Behandlung und Vernachlässigung durch die katholischen Schwestern zu suchen sei, als in der in ganz Irland bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Armut. Die Kindersterblichkeit war damals tatsächlich wesentlich höher als heute, doch übertraf die Sterblichkeit der Heimkinder den nationalen Durchschnitt bei weitem. Die Armutsthese erklärt auch nicht die vielfache Misshandlung der Mütter und Kinder in katholischen Institutionen und die fehlende Markierung der Gräber der 796 toten Babys.
Dennoch sehen auch einige Anwohner Tuams die Kirche nicht in der Verantwortung und sind gegen eine Exhumierung der Leichen. Zum Teil wird bestritten, dass diese überhaupt mit dem Heim in Verbindung stehen, die gefundenen Knochen seien vielmehr Überbleibsel eines früheren Armenhauses. Auch die lokale Polizei sieht aufgrund fehlender Beweise für den Fund eines Massengrabs keinen Grund zu ermitteln. Es gebe viele nicht markierte Gräber aus der Zeit der Dürre von 1840 in ganz Irland, wodurch sich der Knochenfund ebenfalls erklären lasse.
Der Bon-Secours-Orden behauptet, aus dieser Zeit keine Unterlagen zu besitzen von den damals tätigen Schwestern sei keine mehr am Leben. Trotzdem spendete er für das Vorhaben von Corless, eine Bronzeplakette mit den Namen der Toten an der Grabstelle anzubringen. Dies ist ganz im Sinn von Pfarrer Fintan Monaghan, dem Sekretär der Diözese in Tuam, der die Vergangenheit nicht an heutigen Maßstäben messen, sondern lediglich für ein angemessenes Gedenken sorgen will. Eine bequeme Position. Wie zahlreiche andere katholische Priester und Nonnen wird er die Kinder sicher in seine Gebete einschließen und so die heutige katholische Kirche von ihren vergangenen Sünden reinwaschen.