Der Comic-Salon in Erlangen

Kein Abschied vom Papier

Der Comic-Salon Erlangen, Deutschlands bedeutendste Comic-Messe, warf in diesem Jahr einen Blick in die Zukunft einer Kunstform, der immer mehr Beachtung geschenkt wird. Ein »Jungle World«-Comicstrip gehörte zu den Preisträgern.

Das Herz des Comic-Salons Erlangen schlägt in der Heinrich-Lades-Halle. Rund 200 Aussteller füllen die Flure des Gebäudes, dessen großer Saal – sonst Austragungsort für Konzerte und Bälle – die zentralen Ausstellungen zum diesjährigen Festivalthema »Erster Weltkrieg« beherbergen. Im Erdgeschoss des benachbarten Rathauses bieten Comic- und Comicartikel-Händler ihre Ware teilweise zum Kilopreis an.
Ganz Erlangen ist vom 16. bis 22. Juni vom Comic beseelt. Am Schlossplatz widmet sich Joe Sacco, der Star der Comicreportage, in einem 70 Meter breiten Panorama einer der größten Schlachten des Ersten Weltkrieges. Neben städtischen Kultureinrichtungen werden Ladengalerien, gastronomische Einrichtungen, die evangelische Kirche und der Botanische Garten als Ausstellungsorte genutzt. Auch das Jüdische Museum im benachbarten Fürth ist eingebunden. Dort hat das deutsch-französische Institut Erlangen um Loïc Dauvilliers Comic »Das versteckte Kind« eine Ausstellung inszeniert. In der für den Kindercomic-Preis des Comic-Salons nominierten Erzählung wird der Beginn der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten aus der Sicht eines kleinen Mädchens geschildert.
Schlendert man durch die Fußgängerzone Erlangens, trifft man auf »Glücklicher Montag«, eine Gruppe um den Zeichner Schwarwel. Dieser nennt sich selbst »politischer Karikaturist« und bezeichnet sich als jemanden, der nicht nur »introvertiert am Schreibtisch sitzen will«. Er postiert sich einen Tag lang mit Tisch und Stellwänden an verschiedenen Plätzen und fordert die Vorbeikommenden unter dem Motto »Wenn ich Bürgermeister von Erlangen wär« auf, ihre Wünsche an den neuen Erlanger Oberbürgermeister zu zeichnen. »Die Aktion war sehr erfolgreich«, bilanziert Schwarwel, nachdem er die behängten Stellwände dem sichtlich erfreuten Oberbürgermeister übergeben hat. »Es ging darum zu zeigen, dass Comic auch etwas mit dem normalen Leben zu tun hat«, erläutert er. »Der Comic hat ein Nerd- und Couchpotatoe-Problem, er spricht eher den introvertierten als den extrovertierten Teil im Menschen an. Es muss immer wieder gesagt werden: Comic ist nicht nur Micky Maus, man kann wirklich relevante Sachen machen, die Themenwahl ist endlos. Und man kann damit in der Normalbevölkerung andocken.«
Was längst passiert ist. Denn Comics sind seit einigen Jahren im Feuilleton präsent und stehen derzeit vor einer bedeutsamen Entwicklung: der Digitalisierung. »Comics 2.0 – vom Totholzmedium zum E-Book-Reader-Content« lautete der Titel der ersten Diskussionsveranstaltung des Comic-Salons, weitere Vorträge zum Thema sollten folgen. Erstes Fazit: Zahllose Comics erscheinen im Internet, einige finden große Beachtung. Finanziell ist das Onlinegeschäft jedoch kaum einträglich – davon leben kann fast niemand, die meisten versuchen es gar nicht erst. Doch die Szene organisiert sich. Zweites Fazit: Das nächste große Ding sollen interaktive Comics sein, auch wenn der Weg dorthin von kaum jemandem beschritten wird. Bislang werden nur einige interaktive E-Comic-Apps angeboten, die beispielsweise einen Wechsel des Blickwinkels und das Anzeigen von zusätzlichen Informationen ermöglichen.
Der Zeichner Felix Mertikat arbeitet für Netwars, eine Website, auf der eine solche Anwendung zum Download angeboten wird. Weltweit seien ihm nur zwei weitere Projekte für interaktive E-Comic-Apps bekannt, sagt er, der Aufwand für Technik und Marketing sei eben sehr hoch. Im Unterschied zur Internetseite, die, wie es während des Festivals gelegentlich hieß, als »unendliche Leinwand« fungiere, löst beim interaktiven E-Comic ein Panel das andere ab. Sprechblasen und kleinere Veränderungen einer Szene können automatisch erscheinen, E-Comics bewegen sich auch wegen ihrer Interaktivität auf Computerspiele zu.
Dem interessierten Nachwuchs bietet der Comic-Salon die Gelegenheit, an der »Zeichner-Lounge« teilzunehmen. Vier Tage lang bieten Künstler Kurse und Vorträge an, von »Sehen lernen« bis »Anatomie, aber geil! FSK 18!«, eigens für Fanzines wurde ein Bereich eingerichtet und 20 Kunst- und andere Hochschulen haben eigene Stände. Neben einem breiten Kino-Angebot, Interviews mit Szene-Stars aus dem In- und Ausland und Vorträgen aus den Reihen der Gesellschaft für Comic-Forschung ist einer der wichtigsten Programmpunkte des fast 200 Veranstaltungen umfassenden Festivals die Verleihung der Max-und-Moritz-Preise. In diesem Jahr gewann der Berliner Verlag Reprodukt in drei der sechs Kategorien. Als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin wurde Ulli Lust ausgezeichnet, deren autobiographisches Werk »Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens« 2010 den Publikumspreis erhielt und mittlerweile in ein Dutzend Sprachen übersetzt wurde. Dem im Ausland noch viel prominen­teren Ralf König, bekannt vor allem für seine Schwulen-Comics, wurde als erstem Deutschen in der 30jährigen Geschichte des Comic-Salons die Ehre zuteil, für sein Lebenswerk ausgezeichnet zu werden. Zum besten Comic-Strip wurde die erstmals in Buchform erschienene und zum Teil kommentierte Auswahl von »Totes Meer« gekürt, einem Comic-Strip von 18 Metzger, der wöchentlich in der Jungle World erscheint.
Die Trennung zwischen Feuilleton und traditionellen Comicfans auf der einen und dem Massengeschmack auf der anderen Seite ist beim Comic-Salon oft zu spüren und zeigt sich nicht nur durch die Präsenz der großen Manga-Szene, sondern auch bei der Verleihung der Max-und-Moritz-Preise. Von den 25 Titeln, die jedes Jahr für die verschiedenen Kategorien nominiert sind, werden drei per Internet-Abstimmung gewählt. Dieses Jahr waren zwei davon Internet-Comics, die aufgrund ihrer Beliebtheit von Kleinverlagen gedruckt wurden. Die Geschichten aus dem Alltag des Berliner Zeichners Marvin Clifford, die unter dem Titel »Schiss­laweng« online erhältlich sind, gewannen den Publikumspreis. Von den ebenfalls immer in Erlangen verliehenen Independent-Preisen des Interessenverbands Comic geht einer fest an ein Online-Projekt – und dieses Mal gewann mit Sarah Burrinis »Das Leben ist kein Ponyhof« ein weiterer Internet-Comic sogar den »Sonderpreis der Jury für eine besondere Leistung oder Publikation«.
Mag die Bedeutung der Digitalisierung im Comicbereich auch zunehmen, solange selbst die großen Verlage kein tragfähiges Geschäftsmodell für die technisch aufwendige Neuerung entwickelt haben, bleiben die gedruckten Comics das Kerngeschäft.