Antiziganistischer Mob in Spanien

Der Mob holt die Möbel

Im spanischen Estepa wurden dort lebende Roma von einem rassistischen Mob vertrieben. Solidarität erfahren nur die Täter.

Rund 1 000 Einwohner Estepas versammelten sich am 5. Juli auf dem zentralen Platz der südandalusischen Kleinstadt, um gegen eine Welle von Einbrüchen und Diebstählen zu protestieren und die Bestrafung der Täter zu fordern. Aufgerufen worden war über WhatsApp und Twitter. Dabei wurde gegen Roma-Familien gehetzt, die für die Einbrüche und Diebstähle verantwortlich gemacht wurden. Bezeichnet wurden diese nur als »die chorizos«. Das beziehe sich auf Menschen, die von der Landarbeit braungebrannt seien wie eine Paprikawurst, ein chorizo, betonten Einwohner Estepas in Interviews. Es sei nicht rassistisch gemeint, Estepa sei eine friedliche Stadt.
Die Guardia Civil erklärte die unangemeldete Kundgebung für aufgelöst, die Teilnehmenden zogen 200 Meter weiter in die Calle Federico García Lorca vor sechs Häuser, in denen die Roma-Familien wohnten. Junge Männer begannen, Steine, Flaschen und Gegenstände aller Art auf die Häuser zu werfen, Fenster zerbrachen. Dazu applaudierten Hunderte. Die Häuser wurden geplündert, zwei brannten aus. In Interviews wurde der Angriff von den Beteiligten bagatellisiert: Einige sagten, in keinem der sechs Häusern sei jemand gewesen, andere behaupteten, die gitanos (»Zigeuner«), wie Roma in Spanien oft genannt werden, hätten ihre Häuser selbst angezündet. Der Anwohner Roberto Chía erklärte in der Zeitung El Mundo: »Bei dem Protest haben wir uns die Sachen, die sie uns gestohlen haben, zurückgeholt. Ein Kapitän und ein Sergeant der Guardia Civil standen daneben und wir haben ihnen gesagt, ihr kennt uns ja, das sind unsere Sachen.«

»Wir mussten aus unseren Häusern fliehen«, sagte dagegen Consuelo Jiménez, die einige Tage später vom Fernsehsender Antena 3 als »Matriarchin des Chorizo-Clans« vorgestellt und interviewt wurde. »Eines meiner Kinder wurde durch einen Stein am Kopf verletzt. Unsere Häuser wurden ausgeraubt. Alles Wertvolle haben sie mitgenommen.« Sie schilderte, wie ihre Familie durch den Hinterausgang vor der aufgebrachten Menge fliehen musste. Interviewt wurde sie in Sevilla – aus Estepa waren die Familien geflohen.
Doch die Beteiligten behaupten, mit dem pogromartigen Überfall hätten sie sich nur gegen die Gewalt und Delinquenz des »Chorizo-Clans« zur Wehr gesetzt. Das ist auch der Tenor in den Medien. Miguel Fernández Baena, der Bürgermeister Estepas von der regionalistischen Andalusischen Partei (PA), die im Bündnis mit der konservativen Volkspartei (PP) regiert, rief nach der gewalttätigen Vertreibung der Familien Jiménez, die er »Vorfälle« nannte, dazu auf, die »Ruhe zu bewahren« und »auf den Rechtsstaat zu vertrauen«.

Während die 22 durch Aufnahmen identifizierten, namentlich bekannten Beteiligten des Angriffs nach kurzem Verhör durch die Polizei ohne Auflagen wieder nach Hause gehen konnten, übt die Polizei erheblichen Druck auf die Familien Jiménez aus – und erfüllt so die Forderung der Angreifer. Elf Mitglieder der Familie flohen mit einem Transporter aus Estepa. In der nahegelegenen Ortschaft Puente Genil besetzten sie ein leerstehendes Haus, wurden aber auf Betreiben des sozialdemokratischen Bürgermeisters umgehend durch die Polizei des Ortes verwiesen. In Sevilla wurden sie von der Guardia Civil kontrolliert, alle Erwachsenen vorübergehend festgenommen, die Kinder sich selbst überlassen. Über die von ihnen mitgenommenen Möbelstücke wurde behauptet, sie seien Diebesgut. Zwei Männer der Familie sitzen seitdem ohne die Möglichkeit einer Freilassung auf Kaution in Haft. In der vergangenen Woche wurden zwei weitere Männer der Familie verhaftet, als sie versuchten, leerstehende Häuser zu besetzen.
Estepas Bürgermeister beeilte sich festzustellen, dass fünf der sechs Häuser, in denen die Familien gewohnt hatten, besetzt gewesen seien und Banken gehörten, beziehungsweise, wie die beiden niedergebrannten Häuser, der Stadt. Eigentlich sei so die Stadt geschädigt worden, nicht die Familien. Diese werden wohl ohnehin nicht nach Estepa zurückkehren. Am 12. Juli wurde in Estepa wieder demonstriert – aus Solidarität mit den 22 wegen des Überfalls Angeklagten.