Böser Zwilling

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Es brodelt, sägt und knarzt, die Stimme ist variationsreich und wird als Instrument eingesetzt – sehr modern, viele Künstlerinnen ex­perimentieren derzeit mit ihrem Gesang, verwenden stakkatohafte Laute als Percussion, Hauchen und Atmen als Texturen. Aber anders als Holly Herndon beispielsweise, die ihre Stimmbänder eher zu erforschen denn zu spielen scheint, setzt Gazelle Twin den Gesang weniger abstrakt ein: Vokalpassagen nähern sich klassischen Songstrukturen an. Was nicht bedeuten soll, dass es sich bei »Unflesh« um ein gefälliges Album handelt. Im Gegenteil: »Un­flesh« fängt an, wo »The Entire City«, das Debütalbum von Gazelle Twin, aufgehört hat. Damals verzückte die Musikerin, die mit bürgerlichem Namen Elizabeth Walling heißt, die Kritiker geradezu. So mancher verglich sie 2011 mit den Avantgardereferenzen und queeren Live-Darbietungen von The Knife. Gazelle Twin als Brightons Antwort auf Fever Ray – auf diese griffige Formel wurde das Album gebracht. Im Gegensatz zur ebenso durchgestylten wie sich mysteriös gebenden Fever Ray machte Gazelle Twin allerdings eher Art-Rock- als Dance-Anleihen fruchtbar und spielte offen mit Referenzen: »The Entire City«, »Die ganze Stadt«, hieß auch ein Werk des Malers Max Ernst, der Autor H. G. Wells sowie der Komponist William Byrd wurden inhaltlich verhandelt. Mit »Un­flesh« nimmt Gazelle Twin neben Grimes und Laurel Halo Platz, sie zählt zu den derzeit interessantesten Musikerinnen. Ein bisschen so würde man sich Björks bösen Zwilling vielleicht vorstellen.

Gazelle Twin: Unflesh (Anti-Ghost Moon Ray/Cargo)