Querfront auf den Gaza-Demonstrationen

Das Ende der Zurückhaltung

Auf den Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg hat sich ein antisemitisches Querfrontbündnis in bislang ungewohnter Offenheit gezeigt. Zum Zusammenspiel von Linksreaktionären, Islamisten und anderen Feinden Israels.

Israel-Solidarität hat es nicht leicht. Wer dieser Tage auf proisraelische Kundgebungen geht, weiß das nur zu gut. Auf Straßen und Plätzen toben sich blanker Hass und Gewalt diverser Hilfstruppen von Hamas und Islamischem Jihad aus. Die Beteiligten scheinen umso aggressiver vor­zugehen, je offensichtlicher ihre terroristischen Freunde im Gaza-Streifen selbst in Bedrängnis geraten.

Dass sich nicht wenige vermeintliche Freunde der palästinensischen Bevölkerung als links bezeichnen, ist nichts Neues. Neu ist die Nonchalance, mit der sie mittlerweile faktische Querfrontbündnisse mit Islamisten eingehen. Ob man auf den einschlägigen Demonstrationen gerade »Hoch die internationale Solidarität« und »Viva Palästina« hört oder »Kindermörder Israel« und »Hamas, Hamas – Juden ins Gas«, hängt oft allein davon ab, in welcher Sekunde man ihnen gerade Aufmerksamkeit schenkt. Viele Linke zelebrieren mittlerweile auch in deutschen Innenstädten ganz unverblümt jene innige Nähe zu Islamisten, die sie vor vier Jahren bereits im Mittelmeer auf der Marvi Marmara einübten. Sie outen sich endgültig als das, was sie schon lange sind: als linksreaktionäre Antisemiten.
Nicht weiter überraschend haben neun der zehn Bundestagsabgeordneten der Linkspartei aus Nordrhein-Westfalen eine Demonstration ­ihres Jugendverbands in Essen verteidigt, die bereits vorher von Hamas- und Isis-Anhängern über Nazis und Graue Wölfe all diejenigen anlockte, die Israel hassen und es beseitigen wollen. Als Friedenskundgebung wurde der Aufmarsch ausgegeben. Bekanntlich war die Mavi Marmara, das Schiff, bei dessen Ablegen »Tod den Juden« skandiert wurde, ja ebenfalls ein Friedensdampfer. Doch während die Partei den seefahrenden Feinden Israels damals die Mär noch weitgehend abnahm, reagieren diesmal viele Mitglieder mit Empörung, der Ärger ist groß.
Der Worte gibt es derzeit viele. Der Bundes­geschäftsführer Matthias Höhn ist »sehr beschämt«, der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer fordert zum wiederholten Mal die »kri­tische Aufarbeitung eines als Antiimperialismus verbrämten Antisemitismus«, der Fraktions­vorsitzende im Bundestag, Gregor Gysi, und die Bundesvorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger verkünden: »Gemeinsames Agieren mit Antisemiten, mit Menschen, die ›gegen die Juden‹ offen oder unterschwellig agitieren und mit Menschen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, kommt für uns nicht in Frage.« ­Offenbar scheint manchen zu dämmern, dass Antizionismus eben doch nichts völlig anderes ist als Antisemitismus. Das muss jedoch nicht bedeuten, dass die Antisemiten in der Partei tatsächlich mehr als mahnende Worte zu befürchten haben.

Wer Israel unterstützt, wird von Linksreaktionären und Islamisten, die sich den linken Jargon und die einschlägigen rhetorischen Figuren längst angeeignet haben, bekanntlich gern als »Rassist« und »Kriegstreiber« bezeichnet. Diese Projektion benötigen sie einerseits, um ihr Selbstbild als gute und edle Friedensfreunde aufrechtzuerhalten, andererseits gehört sie auch zum ideologischen Kitt, der das Bündnis zusammenhält. Auf der Suche nach Bestätigung ihrer Projektion kommen ihnen rechtspopulistische Seiten wie das Internetforum »Politically Incorrect« ­gerade recht. Denn begutachtet man, was der deutsche Mob dort täglich massenweise und im Schutz der Anonymität gegen »Nichtdeutsche« absondert, so stößt man auch immer wieder auf eine angebliche Israel-Solidarität.
Bei genauerem Blick ist jedoch schnell zu erkennen: Was Rechtspopulisten antreibt, ist nicht die Solidarität mit Juden, sondern der Hass auf Muslime. Die Instrumentalisierung der Juden demons­triert exemplarisch ein User mit dem Namen »brueckenbauer« auf PI-News: »Sollte man da nicht erst einmal mit Herrn Graumann reden und fragen: Wieviel Solidarität können wir Ethnodeutschen eventuell von den Juden zurückbekommen? Ich habe nichts gegen ein Bündnis Ethnodeutsche-Juden; es muss aber auch wirklich ein Bündnis auf Gegenseitigkeit sein!« Die Emphase, mit der solche Leute gegen muslimischen Antisemitismus zu Felde ziehen, entspringt nicht der Erkenntnis der Notwendigkeit des Kampfes gegen Antisemitismus, sondern dem Entlastungsbedürfnis, die Antisemiten ganz woanders verorten zu wollen, bloß nicht bei den Deutschen. Zudem kommt Israel im fanatischen Kampf gegen »die Muslime« und »den Islam« nur die Rolle des Kanonenfutters zu.
Der Antisemitismus hat viele Ausprägungen. Der Versuch, Juden für die eigenen schmutzigen Ziele einzuspannen, gehörte schon immer dazu. Solche falschen Freunde halten sich israelsolidarische und antisemitismuskritische Initiativen zwar aus guten Gründen vom Leib. Linksreaktionäre und Islamisten aber reiben sich dennoch die Hände: »Da schaut her, wir sagen es doch: Wer Israel unterstützt, ist ein übler Rassist!« Gäbe es die Rechtspopulisten nicht, die Linksreaktionäre müssten sie erfinden.
Praktische Formen dieses Zusammenspiels waren kürzlich in Stuttgart zu beobachten. Wahrheitswidrig behaupteten Rechtspopulisten, die Deutsch-Israelische Gesellschaft habe sie zu einer Solidaritätskundgebung für Israel eingeladen. Umgehend verbreiteten linksreaktionäre Israel-Hasser die Geschichte weiter und revidierten sie auch nicht, nachdem sie der Verlauf der Veranstaltung Lügen gestraft hatte. Das gemeinsame Ziel der beiden antisemitischen Fraktionen, mit Verleumdung Verwirrung zu stiften, ging zu einem gewissen Grad auf – ein Doppelpass gegen die Solidarität mit Israel. Eine aufschlussreiche Dokumentation dazu findet sich auf der Internetseite www.emmaundfritz.de.

In durchsichtiger Absicht, wie man sie sonst eher aus rechtspopulistischen Foren kennt, fragte kürzlich auch Jasper von Altenbockum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Gehört selbst ein judenfeindlicher Islam zu Deutschland?« Die Überschrift des Textes war: »Grenzen der Willkommenskultur«. Der Autor schloss mit dem Satz: »Es gibt Einwanderer, die nicht willkommen sind.« Doch warum sollte ein »judenfeindlicher Islam« nicht genauso zu Deutschland gehören wie der Antisemitismus der Nichtmuslime? Spätestens seit den Ereignissen der vergangenen Wochen kann man wissen: Er gehört längst dazu, tritt nur viel offener zutage als noch vor einem Monat. Und er gehört zu einem antisemitischen Milieu, das aus verschiedenen Fraktionen und ihrem Zusammenspiel besteht: Nazis, Linksreaktionäre, Rechtspopulisten, Islamisten. So unverblümt und in aller Öffentlichkeit hat sich diese antisemitische Allianz allerdings bislang nicht zu erkennen gegeben.