Der Nazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf

Trauerspiel in Bad Nenndorf

Der jährliche Aufmarsch von Nazis in Bad Nenndorf gerät zur Kleinveranstaltung: 190 Nazis standen 1 200 Gegendemonstranten gegenüber.

Die Hoffnung war groß in diesem Jahr: Es sah aus, als müsste der »Trauermarsch« von Neonazis im niedersächsischen Bad Nenndorf wieder ohne Abschlusskundgebung enden. Der Grund hierfür sollte nicht wie im vergangenen Jahr eine Blockade von Gegendemonstranten sein, sondern eine Baustelle in unmittelbarer Nähe des Wincklerbads, das die britische Armee nach dem Zweiten Weltkrieg als Verhörzentrum genutzt hatte und das Nazis deshalb seit 2006 als Pilgerstätte für ihren jährlichen Aufmarsch diente. Doch es kam anders.
Am vergangenen Donnerstag hatten die Schaumburger Nachrichten gemeldet, die Stadt werde die Poststraße wegen einer Baustelle nicht für den diesjährigen Naziaufmarsch zur Verfügung stellen. Die Poststraße führt zum Wincklerbad. Doch wider Erwarten wurde die Straße am Freitag dann doch freigegeben. Der »Trauermarsch« der Nazis konnte wie geplant stattfinden. »Das war für uns vollkommen unverständlich«, sagte ein Sprecher der Initiative »Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf«. »Einschränkungen für die Neonazis wären zumindest vertretbar gewesen, wir hatten auf Unterstützung seitens der Politik gehofft.«

Doch in diesem Jahr störte weder eine Baustelle noch eine Blockade den Naziaufmarsch durch Bad Nenndorf. Die Teilnehmer zogen weitgehend unbehelligt bis vor das Wincklerbad. Die Bahnhofstraße wurde als Zeichen des Protests wieder zu einer Art Partymeile. Eine Gruppe Menschen verkleidete sich als Schlümpfe und tanzte auf der Straße. Andere waren eher frustriert. »Ich weiß nicht, ob man sich so geschichtsrevisionistischen Holocaust-Relativierern gegenüberstellen muss«, sagte ein Gegendemonstrant.
Seit 2006 veranstaltet das neonazistische »Gedenkbündnis Bad Nenndorf« den »Trauermarsch«. Ziel des Marsches ist stets das Wincklerbad. Nach 1945 wurden dort hohe NS-Funktionäre vom britischen Militär verhört, auch mit Foltermethoden. Noch bis 2030 haben die Nazis ihren »Trauermarsch« angemeldet. Das dürfte vielleicht zu ambitioniert sein. Denn dieses Jahr begaben sich nur 190 Teilnehmer nach Bad Nenndorf, um den Opfermythos auf der Straße zu propagieren. Neonazis hielten Schilder mit Aufschriften wie »Grausames Britannien« und »Besatzer raus, damals wie heute« hoch. Sven Skoda, der ehemalige Spitzenkandidat für »Die Rechte« im Europawahlkampf, und Peter Rushton, ein bekannter britischer Holocaust-Leugner, waren als Redner angekündigt worden.
Zu Hochzeiten waren bis zu 1 000 Neonazis aus ganz Deutschland nach Bad Nenndorf gekommen und hatten dort gegen die »Lüge der Befreiung« demonstriert. Die Teilnehmerzahlen sind seit einigen Jahren rückläufig, was mehrere Gründe hat. Nicht zuletzt haben sich die Demonstrations- und Blockadeformen der Nazigegner bewährt. 2010 war beispielsweise die Strecke der Neonazis durch eine Betonpyramide, an der sich vier Männer angekettet hatten, blockiert worden, wodurch sich die Kundgebung vor dem Wincklerbad um mehrere Stunden verzögert hatte. Im vergangenen Jahr blockierten zwei Antifaschisten eine Zugtür und legten den Bahnhof für längere Zeit lahm. Zudem schafften es Antifa-Gruppen, das Bündnis »Bad Nenndorf ist bunt« und Anwohner mit einer Sitzblockade, die Abschlusskundgebung vor dem Wincklerbad zu verhindern.

Aber dieser Erfolg blieb nicht ohne Nachspiel. Zahlreiche Verfahren wegen Landfriedensbruchs wurden eingeleitet. Einige Mitglieder von »Bad Nenndorf ist bunt« trugen in diesem Jahr gelbe Schilder mit der Aufschrift: »PMK. Politisch motivierte/r Kriminelle/r. Tatort. 03.08.2013 Bad Nenndorf«. Die meisten Verfahren wurden zwar eingestellt. Manche Demonstranten hätten aber immer noch mit den Repressionskosten aus den vergangenen Jahren zu tun, sagt eine Sprecherin der Initiative »Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf«. Der Protest werde unnötig kriminalisiert. Es brauche auch Menschen, die ungehorsam seien und sich dem Aufmarsch der Nazis in den Weg stellten, hieß es in einer Rede während der Auftaktkundgebung am jüdischen Gedenkstein.
In den Weg stellen oder setzen wollten sich die Mitglieder von »Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf« gern. Mit ihrem Slogan »Love 2 Block« rief sie zu Blockaden der Naziroute auf. »Blockaden sind sinnvoll und legitim, das hat Dresden gezeigt«, so eine Sprecherin. Das Design und die Pressearbeit von »Love 2 Block« stehen professionellem Marketing in nichts nach. Auf der Facebook-Seite der Kampagne werden Fotos mit Aufklebern, Flyern und Plakaten gepostet, die andernorts aufgenommen wurden. Die Kampagne heißt »Zeig’s uns«: »Du hast unterwegs unsere Plakate und Aufkleber entdeckt? Du warst mit unserem Beutel im Urlaub, in der Stadt, am See oder beim Festival? Zeig’s uns!« Die Werbung funktioniert, es fanden sich etwa 400 Menschen am vereinbarten Treffpunkt ein.
Insgesamt waren am späten Nachmittag etwa 1 200 Menschen in Bad Nenndorf, die sich dem »Gedenkmarsch« der Nazis entgegenstellen wollten. Um 11.30 Uhr hatte es eine erste Blockade auf der Bahnhofstraße in Nähe des Wincklerbads gegeben. Diejenigen, die an dieser Stelle ausgeharrt hatten, konnten gegen 14 Uhr eine Polizeikette überwinden. Gemeinsam standen sie dann vor Hamburger Gittern und riefen: »Wir wollen durch!« Sie forderten, die Absperrung zu beseitigen, damit ihr Protest nicht nur gehört, sondern auch gesehen werde. Nachdem auch an der Absperrung gerüttelt worden sei, berichtet die Grüne Jugend Niedersachsen, habe eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Polizei den Schutz der Gitter übernommen. »Besonders ein Beamter fiel durch seine im Vergleich zur restlichen Einheit nochmals deutlich gesteigerte Aggressivität auf«, schildert ein Mitglied der Grünen Jugend auf der Homepage der Organisation die Vorfälle. »Ohne in irgendeiner Art von Notwehrsituation zu sein, schlug er mit der Faust auf die vor ihm stehenden Demonstranten ein. Als diese weiterhin ihren Protest kundtaten, folgten gezielte Schläge auf Kopfhöhe.« Ein Demonstrant verlor das Bewusstsein. Zeugen berichteten, er sei direkt ins Gesicht geschlagen worden.

Die Abschlusskundgebung der Neonazis war selbst in unmittelbarer Nähe nur schwer zu verfolgen. Eigentlich sollte sie um 15.30 Uhr beendet sein. Es gab 15 Minuten Verlängerung. Der Tag sei anstrengend gewesen und habe wenig Möglichkeiten geboten, den Naziaufmarsch zu verhindern, resümiert eine Gruppe. Ob die Nazis ihre Kundgebung vorm Wincklerbad mit 190 Leuten als Erfolg verbuchen können, ist allerdings auch fraglich. Der spätere gemeinsame Protest an der Absperrung habe gezeigt, »dass hier absolut keinerlei Toleranz mehr gegenüber den Nazis und ihrem Aufmarsch« herrsche. Im nächsten Jahr heißt es dann wohl wieder: »Bad Nenndorf – do it again.«
Bei der Abreise wurden Personenkontrollen durchgeführt, eigenen Angaben zufolge wird die Polizei gegen etwa 50 Personen Strafverfahren einleiten. Eine Person führte eine Zwille mit, die schon zu Beginn sichergestellt wurde. In den nächsten Wochen dürften bei einigen Antifaschisten wohl Briefe eintreffen. Ende August soll es eine Party in Berlin geben, um gegen die Repressionskosten anzufeiern.