Antiziganismus in Halle

Rassisten auf der Höhe

In einem Stadtteil von Halle hetzen Anwohner gegen vier kürzlich zugezogene Roma-Familien. Trotz einer antifaschistischen Intervention bleibt die Lage heikel.

»Zigeuner rauSS« und »Roma rauSS« – seit Mitte Juli zieren Parolen mit dem unmissverständlichen »SS« die Straßenzüge in der Silberhöhe. Der Zuzug von 60 Roma sorgt in dem Viertel für große Unruhe. Schnell entstand ein Shitstorm, wie er heutzutage in den sozialen Netzwerken üblich ist. »Erst reißen die unsere Kindheitserinnerungen weg (Schulen, Kindergärten und ganze Wohnviertel) und nun leert die Stadt noch Eimer voller Scheiße über unsere Köpfe«, echauffierte sich ein User auf Facebook, dessen Ansicht exemplarisch für die Stimmung ist.
Das Plattenbauviertel Silberhöhe liegt am südlichen Stadtrand von Halle. Die schlecht an die Stadt angeschlossene Trabantenstadt wurde Ende der siebziger Jahre errichtet, um den Wohnbedarf der Beschäftigten zu decken, die bei den Großbetrieben der Chemieindustrie in der Umgebung arbeiteten. 25 Jahre nach dem Ende der DDR ist die Nachfrage nach Arbeitskräften ebenso begrenzt wie das Bedürfnis, in den ehemaligen »Arbeiterschließfächern« zu wohnen. In den vergangenen Jahren wurde schon mit dem Abriss von Plattenbauten begonnen.

Im Internet wird die Lage an manchen Stellen anders dargestellt: »Bis vor kurzem war unsere Straße ruhig, bis dieses Pack kam. Hier zu wohnen, ist echt nicht mehr angenehm.« Die eigene Situation wird sentimental verklärt, der Einbruch der unerfreulichen Realität den Roma in die Schuhe geschoben. Dieser als Belästigung empfundene Einbruch des Neuen setzt Ressentiments frei: »Oh Mann, die sollen uns bloß in Ruhe lassen. Was wollen die hier? Es gibt tausend andere Städte und ausgerechnet nach Halle kommen sie. Sie werden uns alles versauen.« Dass sich »Fremde« in der Nachbarschaft niederlassen, erscheint manchen Kommentatoren in sozialen Netzwerken als Strafe. Dass es sich bei den Zuzüglern um Menschen handelt, deren soziale Lage alles andere als beneidenswert ist, wird nicht zur Kenntnis genommen oder gleich in Abrede gestellt. Widerstand, so lässt sich etlichen Meinungsäußerungen entnehmen, soll nicht nur legitim, sondern erste Bürgerpflicht zu sein. »Dann müssen die Einheimischen mal auf die Straße gehen und gegen so was vorgehen. Damit diese Version von Menschen aus unserem Stadtteil verschwindet.« Die Gewaltandrohungen im Internet werden dabei nicht nur Männern überlassen. »Alle in einen Sack und weg«, schreibt eine Frau. Eine andere fügt trocken hinzu: »Vorher noch draufhauen.«
Einige Mieter in Silberhöhe beschränkten sich jedoch zunächst darauf, Unterschriften zu sammeln. »Es geht vor allem um Ruhestörung und Lärmbelästigung«, sagte eine Anwohnerin der Mitteldeutschen Zeitung. Sie behauptete, dass die vier seit Mai im Viertel wohnenden Roma-Familien sich bis spät in die Nacht vor dem Haus versammelten, dass Grünflächen und Parkplätze in der näheren Umgebung immer stärker verdreckten. Die Vorsitzende des Bündnisses der Migrantenorganisationen in Halle, Satenik Roth, reagierte besorgt auf die Zuspitzung. »So etwas habe ich in Halle noch nicht erlebt«, sagte sie der Mitteldeutschen Zeitung. Für Sebastian Kranich, den Stadtvorsitzenden der Grünen, ist es an der Zeit, schnell zu handeln. »In Halle stellt sich jetzt noch dringender die Aufgabe, über antiziganistische Vorurteile und die tatsächliche Lage der Roma aufzuklären«, schrieb er Anfang der Woche auf der Homepage der Partei. »Zugleich gilt es, einem drohenden Abdriften benachteiligter Stadtteile strategisch entgegenzuwirken. Kommunale Einrichtungen müssen hier langfristig gesichert, private Initiativen unterstützt und befördert werden.«

Mit größter Empörung reagierten Bewohner des Stadtteils auf die Ankündigung von Antifaschisten aus Halle, am Wochenende in dem Viertel gegen die antiziganistischen Umtriebe zu demonstrieren. »Wir sind keine Nazis, so wie sie uns nennen! Wir sind einfache Bürger, die ihre Ruhe haben wollen vor diesen Menschen, die sich nicht benehmen können«, versuchte sich ein aufgebrachter Anwohner im Internet zu rechfertigen. Andere trieb es hingegen gleich auf die Straße. Die Organisatoren einer Kundgebung gegen die antifaschistische Demonstration riefen unter dem Motto »Wir wohnen hier! Wo wohnt ihr?« zur Teilnahme auf. Insgesamt folgten über 100 Personen diesem Aufruf. Rechte Fußballfans, rassistische Anwohner und Neonazis versammelten sich auf der Silberhöhe, um in erster Linie gegen die Roma zu demonstrieren. Redebeiträge wurden nicht verlesen, vereinzelt kam es zu Rufen wie »Wir wohnen hier. Und wo wohnt ihr?« und »Roma raus«. Die Polizei nahm insgesamt acht Strafanzeigen auf, unter anderem wegen Beleidigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Weiträumig davon getrennt demonstrierten etwa 100 Personen gegen die antiziganistische Stimmungsmache. Das lokale Bündnis gegen rechts hatte sich bereits vorher von der Demonstration distanziert, weil die Antifaschisten unter anderem eine Zwangsumsiedlung der rassistischen Bewohner der Silberhöhe forderten. Einige Politiker der Linkspartei waren trotzdem dort, um sich ein Bild der Lage zu machen. Gemeinsam mit den Antifaschisten wollten sie aber doch nicht demonstrieren. Wie die Mitteldeutsche Zeitung berichtete, beschimpfte nach der Demons­tration eine Gruppe »älterer deutscher Kinder, nicht alle mehr ganz nüchtern«, Kinder der Roma mit dem altbekannten »Ausländer raus«.